Alle unter Tod verschlagworteten Beiträge

David Fuchs: Bevor wir verschwinden

Als Praxisschock bezeichnet man die Erschütterungen des Berufsanfangs. Wenn endlich das ganze Gelernte in der Praxis angewendet werden soll, stattdessen aber Kenntnisse gefordert sind, die auf keinem schulischen oder universitären Lehrplan standen. Weil es auf einmal Berufsrollen und Hierarchien zu beachten gibt, weil Leistungen ständig gefordert, überprüft und bewertet werden, weil Disziplin über acht Stunden notwendig ist und der Arbeitsalltag in hohem Maße fremdbestimmt ist. Wenn vom Praxisschock schon in den technischen und wirtschaftlichen Bereichen berichtet wird, wie ist es erst, wenn Medizinstudenten mit dem Krankenhausalltag konfrontiert werden? Wenn sie gar auf eine Station gelangen, auf der weniger das Gesundwerden Ziel der Behandlung ist, sondern den Weg bis zum unvermeidlichen Tod zu gut wie möglich zu gestalten? Und wenn dann noch einer der Patienten der Ex-Freund ist, gerade Mitte Zwanzig und viel zu jung zum Sterben? Auf diese Station, der Onkologie, hat es Benjamin, Ben, verschlagen, Medizinstudent kurz vor den universitären Abschlussprüfungen. Im Keller der Klinik arbeitet er an Versuchen, Schweine zu defibrillieren, nachdem sie narkotisiert sind und bei ihnen Kammerflimmern ausgelöst worden ist. Die …

Niroz Malek: Der Spaziergänger von Aleppo

Als Niroz Malek 1946 in Aleppo geboren wurde, um genau zu sein am 17. April, feierte Syrien genau an diesem Tag seine Unabhängigkeit von Frankreich, der vom Völkerbund in Syrien und Libanon seit dem Ersten Weltkrieg eingesetzten Mandatsmacht. „Sohn des Friedens“ wurde Malek also wegen seines ganz besonderen Geburtstages genannt und er habe, so schreibt er in seinem Nachwort, lange daran geglaubt, dass es nie wieder Weltkriege geben werde. Die Demonstrationen, die in Syrien 2012 sechs Monate lang friedlich stattfanden, bei denen breite Schichten der Bevölkerung und vor allem die jungen Menschen solche Dinge einforderten wie „Freiheit“ und „Würde“, die „Reformierung der staatlichen Institutionen“ und das „Ende der Korruption“ gingen dann aber, statt in eine Kommunikation mit allen beteiligten zu kommen, doch in einen „internationalen, zerstörerischen, barbarischen, schmutzigen Krieg“ über. So schmutzig und barbarisch, dass immer wieder – und gerade in diesen Tagen  – von Giftgastoten die Rede ist. Und so wird Malek, was er nie vermutet hätte, er wird zu einem „Sohn des Kriegs“ und erlebt in Aleppo den Krieg aus nächster Nähe. Viele …

Hans Platzgumer: Am Rand

Gerold Ebner ist früh am Morgen aufgestanden, hat die Wohnung aufgeräumt, sich bereit gemacht für den Aufstieg auf den Berg. Dort sitzt er nun in der beginnenden Morgendämmerung, dick bekleidet, denn es ist Oktober, und beschreibt die 100 Blätter, die er mitgebracht hat, mit seiner Lebensgeschichte. Er sitzt am Rand des Gipfels und blickt – auch aus der Distanz, die sich durch den Blick von oben ergibt – auf sein Leben. Er will aufschreiben, wie es gekommen ist, dass er nun hier oben sitzt. Am Abend, wenn er die 100 Blätter mit seiner Lebensgeschichte (seiner Lebensbeichte?) gefüllt hat, will er den einen Schritt tun vom Rand in den Abgrund. [Zum Weiterlesen hier entlang.]

Karen Köhler: Wir haben Raketen geangelt

Ihren Erzählungen stellt Karen Köhler ein Zitat von Frieda Kahlo voran, das, viel besser als es der verspielt wirkende Titel und der ebenso gestaltete Buchumschlag vermuten lassen, das Leitmotiv aller versammelten Geschichten verdeutlicht: I tried to drown my sorrows, but the bastards learned how to swim. Dabei haben Karen Köhlers Figuren, in dem Moment, in dem sie sie uns zeigt, nicht nur mit Sorgen zu kämpfen, sondern sind geradezu in existenzielle Nöte geraten, ausgelöst durch Tod oder Krankheit oder weil sie verlassen worden sind. Dieses Thema variiert die Autorin, zeigt uns verschiedene traumatisierende Situationen, die ihren Figuren, mit einer Ausnahme sind sie alle um die dreißig Jahre alt, allesamt den Boden unter den Füßen wegzieht, Situationen, die Hilflosigkeit erzeugen, Ohnmacht. In der ersten Erzählung „Il Comandante“ steckt die Protagonistin mitten in einer Krebsbehandlung, kein Haar hat sie mehr am Körper, einen künstlichen Darmausgang mitten auf dem Bauch und die Diagnose zeigt, dass der Krebs bereits gestreut hat, weitere Behandlungen stehen an, Ausgang ungewiss. Ihr Freund hat sie seit ein paar Tagen nicht mehr besucht, das …

LLL 2014 – Lukas Bärfuss: Koala

Der Bruder hat seinen Suizid genau geplant. Erst hat er seinen letzten Willen formuliert, seinen Besitz unter Freunden und Familie verteilt, bestimmt, wie er beerdigt werden möchte. Sechs Wochen später dann hat er sich in eine Badewanne gelegt und eine Überdosis Heroin gespritzt. Die Wohnung hat er vorher aufgeräumt, die Wohnungstür unverschlossen gelassen, damit sie nicht unnötig aufgebrochen werden muss, die geliehenen Gegenstände mit Zetteln versehen, sodass sie schnell zurückgegeben werden können. In die Wanne hat er sich gelegt, weil er keinen Schmutz hinterlassen will. Der Ich-Erzähler reist, als er die Nachricht vom Tod des Bruders erhält, zurück in seine Heimatstadt, die er vor vielen Jahren verlassen hat. Abends sitzt er mit Freunden des Bruders zusammen, alle sind überrascht, denn vor ein paar Tagen noch haben sie zusammen gesessen, so erzählen die Freunde, zusammen gewürfelt. Bestimmt habe er sich da von ihnen verabschiedet „im Geheimen, er für sich alleine, ohne sich zu offenbaren“. Und dann, später am Abend, als sie sich gefasst haben, beharren die Freunde darauf, dass ein Erstaunen über die Tat nicht richtig …

Ulrike Draesner: Sieben Sprünge vom Rand der Welt

Die Stimme der Großmutter Lilly habe sie zuerst gehört, so berichtet Ulrike Draesner in ihrem Werkstattessay  zum Roman. Plötzlich sei sie da gewesen, die Großmutterstimme, und habe von der Vertreibung aus Oels erzählt, ohne Punkt und Komma, atemlos immer wieder, wenn sie die Bilder der Erinnerung kaum ertragen konn-te. Schnell habe sie notiert, was Lilly zu erzählen hatte, obwohl sie doch eigentlich an einem ganz anderen Roman arbeitete und obwohl ihr doch die Idee, die eigene Familiengeschichte in einem Roman zu verarbeiten auch immer als viel „zu nah“ erschienen war. Aber die Stimme der Großmut-ter und ihre zu Lebzeiten nie erzählte Geschichte ließ Ulrike Draesner nicht mehr los. Vielleicht war nun auch, 60 Jahre nach Kriegsende, endlich die Zeit gekommen, diese Geschichten zu erzählen. Die Autorin begann zu recherchieren, reiste nach Breslau und traf Vertriebene aus Ostpolen, die, da diese Gebiete nun zur Ukraine gehörten, von dort vertrieben wurden, in Breslau in die verlassenen Wohnungen der Deutschen einzogen und sich in dieser Umgebung entwurzelt und fremd fühlten, wie die Breslauer in Deutschland. Da, so berichtet …

Wolfgang Herrndorf: Arbeit und Struktur

An dem Wochenende, als Wolfgang Herrndorfs Buch veröffentlicht wurde, musste man im Zeitschriftenladen eines Vorortbahnhofs, der üblicherweise über ein recht schmales Buchsortiment nicht allerhöchsten Niveaus verfügt, geradezu über Herrndorfs Tagebuch klettern, denn es lag dort gleich in mehreren großen Stapeln bereit. Offensichtlich erwartete man auch im Vorort einen reißenden Absatz. Und in den Feuilletons überschlugen sich die Rezensenten vor Begeisterung. In der ZEIT verstieg sich die Kritikerin gar zu diesen schier unglaublichen Aussagen: Arbeit und Struktur trifft Deutschland zur Adventszeit. Nicht nur zur kalendarischen, sondern zu einer gefühlt schon viel zu lange andauernden emotionalen Festzeit, in einem Zustand kollektiver Weihnachtsmarktverfettung, in dem das Land es sich gemütlich gemacht hat, ohne sich dabei selbst ganz geheuer zu sein. Wie ein Weckruf schrillt die Ich-Geschichte durch die „Deutschland geht es gut“-Melodie, diese ewig frohe Lähmungsbotschaft der Kanzlerin. Gibt es hierzulande vielleicht doch mehr Menschen, als man denkt, die das Einbetoniertsein im Positiven als Stillstandshorror empfinden? Schade. So viel Hype, soviel merkwürdige Begeisterung, so viel Spiel mit Voyeurismus und Sensation, die Instrumentalisierung des Autors gar zum Erwecker einer …

Marion Poschmann: Hundenovelle

Es ist wohl sehr vorschnell gewesen, vor der Lektüre von Marion Poschmanns „Hundenovelle“ die Erzählatmosphäre in Nellja Veremejs Roman „Berlin liegt im Osten“ als melancholisch zu beschreiben. Wie, bitteschön, soll dann die Stimmung in der „Hundenovelle“ beschrieben werden? Als „zutiefst melancholisch“? Oder als „depressiv“? Jedenfalls drängt sich so schnell kein weiterer Text auf, der auf so eine brillante Art eine so bedrückte, schwermütige und hoffnungslose Stimmung heraufbeschwört, der sich der Leser kaum entziehen kann. Die bedrückende Stimmung ergreift den Leser gleich auf den ersten Seiten: Die namenlose Ich-Erzählerin sitzt mitten in der Hitze des Sommers, es sind gerade die Hundstage, in einer Industriebrache und schaut sich genau an, wie schnell die Werke der Menschen, wenn sie denn verlassen und nicht mehr gepflegt werden, verwahrlosen, wie schnell die Natur sich das von den Menschen Geschaffene wieder zurückholt: es bröckelt und zerfällt, einfache Pflanzen wachsen in den Betonspalten und durch den Asphalt, am Rand des Platzes haben sich schon erste Büsche breitgemacht. Stadtbrache, vages Terrain. Nichtort, wo jederzeit alles möglich war und nie etwas geschah. Ruderalflora siedelte …

Michael Köhlmeier: Idylle mit ertrinkendem Hund

Der Lektor hat für den Schriftsteller eine ambivalente Funktion: Er hilft bei der Erstellung des Romans, unterstützt, liest kritisch, gibt Anregungen, motiviert und begleitet so den gesamten Schaffensprozess. Er ist aber auch derjenige, der alle Schnitzer sieht, jede inhaltliche und sprachliche Schwäche erkennt und aufdeckt, den Schriftsteller immer wieder mit seinen Unzulänglichkeiten konfrontiert und trotzdem natürlich eine jederzeit konstruktive Zusammenarbeit erwartet. So ambivalent sieht auch Michael Köhlmeier, der Ich-Erzähler, der keinen Hehl daraus macht, auch der Autor zu sein, seinen Lektor, Dr. Johannes Beer. Dr. Beer ist in der Branche ein anerkannter Experte, ein Lektor, um den ihn andere Schriftsteller durchaus beneiden. Aber es ist auch nicht immer die reine Freude, mit ihm, dem Genauen, dem Anspruchsvollen, zusammenzuarbeiten. Und so erzählt Köhlmeier seiner Frau Monika, dass der Lektor den Autor die Passage, die sprachlich nicht so gelungen scheint, vorlesen lasse – wenn der Autor uneinsichtig sei, durchaus mehrmals: Wenn ich meiner Stimme zuhörte, die bei dieser Prozedur nichts anderes war als ein Messgerät zum Aufspüren meiner eigenen Unzulänglichkeit, dann kam es vor, dass ich mich …

[5 lesen 20] Monika Zeiner: Die Ordnung der Sterne über Como

Liebe, natürlich. Musik. Und Freundschaft. Tom Holler sitzt im Wohnzimmer mit Leonardo Hermanns, Ehemann von Anne, die wiederum Toms Klavierschülerin ist – und seine Geliebte. Sie trinken Whisky und plaudern, weil Anne beim Einkaufen offensichtlich die Zeit vergessen hat und nur ihr Ehemann, Physiker und als Manager sonst viel unterwegs, ausnahmsweise zu Hause ist. Beim Plaudern hat Hermanns Tom die Frage nach den wichtigen Dingen des Lebens gestellt. Nun schaut er nachdenklich den Klavierlehrer seine Frau an und bescheinigt ihm auf seinee Antwort hin, wohl doch noch sehr jung zu sein und er solle es genießen, es bliebe nicht immer so. Hermanns liegt mit seiner Einschätzung richtig, aber das ahnt jetzt noch niemand. Liebe, Musik und Freundschaft sind die Themen, die Monika Zeiner in ihrem Roman um Tom, Marc und betty auslotet. Und Berlin und Italien spielen auch eine große Rolle, das Berlin und das Lebensgefühl auf aufstrebenden Künstler in den frühen 1990er Jahre, und Italien, weil außer einem alle wichtigen Geschichten dieses Romans mit Italien zu tun haben, sei es die italienische Woche in …

[5 lesen 20] Thomas Stangl: Regeln des Tanzes

Walter Steiner, pensionierter Wissenschaftler, wandert ziellos durch die Straßen Wiens. Er wandert durch Stadtteile, in denen er einmal gewohnt hat, in denen er sich gut auskennt, in denen sich über die Jahre nichts verändert hat, durch Straßen mit sanierten Altbauten, in denen nun Firmen mit modernen Namen ihren Sitz haben, durch Gassen, die er noch nie betreten hat: Nichts passte mehr zum anderen, die Häuser nicht zu den Straßen, die Straßen nicht zu den Menschen, die Menschen nicht zu den Erinnerungen, die Häuser waren keine Häuser, die Straßen keine Straßen, (sie passten nicht zu sich selbst), die Menschen keine – nun das heißt nur, er passte nicht hierher, sonst passte alles. (S. 11) Und dann, in einem Loch in der Hausmauer eines neu gebauten Hauses, findet Steiner zwei Filmdosen, in denen sich auch tatsächlich Filme befinden; alte Filme mit Bildern, die entwickelt werden und auf Papier abgezogen werden müssen. Wie mit einem Geheimfund läuft Steiner nun durch die Stadt, zu Hause versteckt er seinen Schatz in der Schublade seines Schreibtisches, seine Frau Pre soll nichts …

Erwin Koch: Von dieser Liebe darf keiner wissen. Wahre Geschichten

Gute Reportagen zu lesen, ist ein wahrer Genuss. Zu einer Zeit entstanden, als es weder Kameras noch Facebook gab, um uns auch noch die letzten Ecken der Erde auszuleuchten, kam dem Journalisten die Aufgabe zu, besondere Ereignisse aus den Metropolen und Winkeln der Welt so zu berichten, dass die Leser den Eindruck gewinnen konnten, unmittelbar vor Ort bei dem Ereignis dabei gewesen zu sein. Neben dem eigenen Augenschein und der Recherche von Hintergrundinformationen hat der Reporter also die Aufgabe, möglichst anschaulich und unmittelbar zu schreiben, mit der Sprache so zu malen oder zu filmen, dass der Leser bei der Lektüre sinnliche Eindrücke entwickeln kann, dass eigene Bilder entstehen, ein „Kino im Kopf“. So bewegt sich die Reportage auf der Grenze zwischen dem (objektiven) Tatsachenbericht, denn Tatsachen sind jeweils die Grundlage der Geschichten, und dem (subjektiven) Erleben. Als Experte vor Ort wählt der Reporter nicht nur aus den Geschehnissen aus, was ihm interessant, merk- und denkwürdig oder auch fremd erscheint, sondern arbeitet durch die Art seiner Textgliederung, seines Spannungsaufbaus und der Wahl seiner Sprache eher wie …

Gerbrand Bakker: Der Umweg

Es gibt diese Fragen, die bei den Antworten ganz grundsätzliche Entscheidungen einfordern und auf die wahrscheinlich keiner eine ehrliche Antwort finden kann, solange er nicht selbst in der ganz konkreten Situation ist. Agnes, die Heldin in Bakkers Roman, hat ihre ganz persönliche Antwort gefunden auf die Frage, die ihr gestellt worden ist: „Was würdest Du tun, wenn Du nur noch einige wenige Monate zu leben hast.“ Und die Frage kann sicherlich nicht beantwortet werden, wenn nicht auch das Leben bis hierher bilanziert wird, die Beziehungen zu Familien und Freunden geklärt werden, die Zufriedenheit mit dem Beruf – und im schlechtesten Fall auf einmal feststeht, dass man das falsche Leben gelebt hat. Agnes und ihr Mann haben sich in ärztliche Behandlung begeben, um ein Kind zu bekommen. Im Rahmen der notwendigen Untersuchungen ist bei Agnes eine bösartige Krankheit, den Symptomen nach Krebs, auch wenn dies im Roman nie explizit benannt wird, diagnostiziert worden. Agnes spricht mit niemandem darüber, mit ihrem Mann nicht und nicht mit ihren Eltern. Auch über ihre Kündigung als Literaturdozentin an der Uni …

Eva Menasse: Quasikristalle

Xane verbringt die letzten Tage der Sommerferien bei ihrer Freundin Judith. Die beiden 14-jährigen liegen Musik hörend und träumend im Garten, tratschen über Lehrer und Mitschülerinnen, essen abends zusammen mit Judiths Vater, probieren ihre ersten Drogen. Xane möchte gerne die Schule wechseln, statt Altgriechisch will sie lieber Französisch lernen. Ihre Eltern haben nichts gegen einen Schulwechsel, die Freundin ist auch schnell überredet und um Judiths Eltern zu überzeugen, organisiert Xane einen Anruf ihrer Mutter. Die dritte Freundin, Claudia, werden sie in der alten Schule zurücklassen, sie ist sowieso eher das fünfte Rad am Wagen, denn Claudia ist die merkwürdige Freundin mit den Vollkornkeksen und der selbst getöpferten Teekanne, die Blumen aus Seidenpapier bastelt und den Sommer bei ihren Großeltern auf dem Land verbringt. Das alles gibt Judith und Xane viele Anlässe zum Lästern, in der Schule aber verteidigen sie Claudia gegen jede dumme Bemerkung, als wäre sie gegen sie selbst gerichtet. Claudia stirbt noch vor Beginn der Schule plötzlich und so gerät der erste Schultag nicht nur zum Beginn einer neuen Zeit für Judith und …

Connie Palmen: Logbuch eines unbarmherzigen Jahres

Sieben Wochen nach dem Tod ihres Mannes beginnt Connie Palmen mit ihrem „Logbuch“, sie will in dem Jahr nach dem Tod Hans van Mierlos „Notizen über Liebe und Tod“ machen: Ich tue es, weil ich weiß, dass man dies vergisst, diesen Horror der ersten Monate, des ersten Jahres, man vergisst es, wie man Zahnschmerzen vergisst – oder Wehenschmerzen, wie man erzählt. Man weiß noch, dass es schlimm war, schrecklich, der schlimmste Schmerz, den man je hatte, aber fühlen kann man es nicht mehr. Vergessen dient einem Zweck: Niemand würde je wieder ein Kind bekommen oder einen anderen lieben wollen, wenn er noch genau wüsste, wie weh es getan hat, das Liebste zu bekommen, und weh es getan hat, es eines Tages verlieren zu müssen. (S.14) Viele Menschen neigen dazu, den Gedanken an den Tod, unseren eigenen und den unserer Angehörigen und Freunde, zu vergessen oder zu verdrängen, weil er zu entsetzlich scheint. „Der Tod“, so der Philosoph Wilhelm Schmid (1), „ist das Ende der Zeit für den, der stirbt, und, zumindest für einen Augenblick, der …