Monat: Juli 2013

Sascha Reh: Gibraltar

Bernhard Milbrandt hat die Bank ausgeraubt und ist nun auf dem Weg nach Gibraltar. Dort, bei einer Offshorebank, will er ein Konto eröffnen, um an das Geld zu gelangen, dass er gerade bei seinen Deals zur Seite geschafft hat. Er ist kein Bankräuber alten Stils, der mit Strumpfmaske über dem Kopf und Pistole in der Hand in der Schalterhalle einer Bank Angst und Schrecken verbreitet, sodass der Kassierer ihm das Bargeld in die mitgebrachten Taschen packt. Bernhard Milbrandt hat seine eigene Bank abgezockt, die Bank, bei der er seit Ende seines Studiums als Händler arbeitet und bei der er sich im Laufe der Jahre wegen seiner guten Erfolge und hohen Erträge eine Ver-trauensstellung erarbeitet hat – obwohl sein aggressiver und risikoreicher Spekulationsstil so gar nicht zum Firmenleitbild passt. Vor eineinhalb Jahren konnte er Johann Alberts, den Komplementär der Bank, überreden, ihn Eigenhandel betreiben zu lassen, also mit dem Eigenkapital der Bank Geschäfte zu tätigen. Diese Geschäfte sind höchst riskant, denn seit der Bankenkrise 2008 sind die Vorschriften für die Höhe des Eigenkapitals heraufgesetzt worden. Milbrandt …

Holst Garne – Neues von Noble und Coast

Der Leaving-Pulli von Anne Hanson aus der Coast Nutmeg nimmt so langsam Form an. Rücken- und Vorderteil sind fertig, es warten noch die Ärmel. Die Musterbeschreibung funktioniert tadellos, wobei ich ziemlich umrechnen musste, weil meine Maschneprobe überhaupt nicht zur Vorlage passt. Das Muster wird auch so, wie ich es gehofft habe: Beim Stricken des Rückenteils, mit dem fange ich immer an, passte dann aber meine Rechnerei überhaupt nicht zum Ergebnis, was mir schon Sorge und die ein oder andere Schweißperle auf der Stirn bereitete. Das ganze Werk aufzuziehen ist ja auch kein großer Spaß. Also habe ich das Rückenteil erst einmal gewaschen und gedämpft – und schon hatte es die richtigen Maße.  Ich denke, die Baumwolle hat noch ein wenig Eigenleben und muss sich erst noch an ihre Verarbeitung gewöhnen. So ist mein Rückenteil ein wenig breiter geworden, dafür kürzer. (Das Kürzer-Werden habe ich nämlich bei dem Waterhouse-Pulli nicht so richtig einkalkuliert und so ist dernach der Wäsche schon recht kurz geworden.) Hier ist also eine Maschenprobe dringend anzuraten. Wie die Wolle vor und nach …

Philipp Schönthaler: Nach oben ist das Leben offen

„Arbeit als Hochleistungssport“ überschreibt die Süddeutsche Zeitung vor einigen Tagen einen Artikel, der von den „World Skills“ berichtet, einem Wettbewerb, der in diesem Jahr in Leipzig stattgefunden hat und bei dem die Teilnehmer, Berufsanfänger aus 46 nicht-akademischen Berufen, gegeneinander antraten. Unter den Augen der Öffentlichkeit mussten sie in einer knapp bemessenen Zeit das Design für eine Jacke entwickeln und diese nähen, ein Auto lackieren, Fliesen legen, einen Gartenweg oder eine Wandfläche nach einer Vorlage gestalten. Und damit der Pinsel ruhig in der Hand liegt, hat sich die Maler-Meisterschülerin mit autogenem Training und mit Yoga gut vorbereitet. Die Menschen, die in diesem Artikel beschrieben werden, könnten Figuren sein aus Philipp Schön-thalers Erzählungen. Allen gemein ist ihr Streben nach Höchstleistungen, sowohl im Beruf als auch in Freizeitaktivitäten, die aber längst so professionell ausgeführt werden, dass sie zum Beruf ge-worden sind. Da ist zum Beispiel Termann, Apnoetaucher, dessen Ziel es ist, 200 Meter tief zu tauchen ohne Sauerstoff, nur mit seiner eigenen Luft. Diese Art des Tiefseetauchens ist nicht ganz ungefährlich, denn die eingeatmete Luft muss auch dazu …

Gabriele Goettle: Der Augenblick. Reisen durch den unbekannten Alltag

Gabriele Goettle hat diesem Band mit 26 Reportagen, die zwischen 2007 und 2009 entstanden und bereits in der TAZ erschienen sind, den Untertitel „Reisen durch den unbekannten Alltag“ gegeben. Tatsächlich erzählen die in diesen Reportagen porträtierten Frauen von ihrem Alltag und konzentrieren sich bei ihrem Reden und Erzählen vor allem auf ihre Berufe oder ihr sozialpolitisches Engagement, sodass ganz ungewöhnliche, eben unbekannte Bereiche des Alltags beleuchtet werden. Es sind Texte entstanden, in denen außergewöhnliches Expertentum deutlich wird und das vor allem auch in seiner hier zusammengetragenen Vielfalt ungewöhnlich, interessant und spannend ist. Die Kioskfrau berichtet über ihre jahrzehntelange Arbeit und beschreibt dabei, fast nebenbei, nicht nur ihr Arbeitsethos, sondern auch die soziale Entwicklung in ihrem Umfeld. Die Körperhistorikerin schildert die Ergebnisse ihrer Forschungen und ihre Erkenntnis, dass sich Körper- und Krankheitswahrnehmungen im Laufe der Jahre und Jahrhunderte geändert haben, von einer ganz unmittelbaren, fast bildlich-naiven Beschreibung von Krankheitssymptomen hin zu unserem eher mathematisch-statistisch geprägten Blick auf Krankheiten, der Risiken fast vorhersehbar macht. Die Gründerin des Krisentelefons „Pflege in Not“ berichtet von den schon irrwitzigen Zuständen …

Tobias Wenzel, Carolin Seeliger: Was ich mich immer schon fragen wollte. 77 Schriftsteller im Selbstgespräch

Tobias Wenzel ist Journalist und hat schon viele Schriftsteller interviewt. Und dabei ist ihm die Idee zu einem Experiment gekommen, das so geht: Kurz bevor Carolin Seeliger, die Fotografin, hinter dem Tuch ihres Plattenfotoapparates verschwindet, bekommen die von ihr fotografierten Schriftsteller die Aufgabe, sich während des Fotografierens eine Frage auszudenken, die sie sich immer schon einmal gern stellen wollten und die sie nach dem Fotografieren dann auch im Selbstgespräch beantworten sollen. Nun sitzen sie ganz ruhig, damit auch keine Verwacklungen entstehen, vor der Kamera und grübeln gleichzeitig über diese eine wichtige Frage. Und das Experiment wirkt tatsächlich ganz wunderbar und gleich auf mehrern Ebenen: Zum einen sind bei diesem Fotoshooting mit der fast altertümlich wirkenden Technik, ganz intensive Porträts der 77 Schriftsteller herausgekommen. Sie alle schauen geradewegs in die Kamera und der Fokus liegt auf der Augenpartie, die scharf ist, während alle Bereiche des Gesichtes, die weiter vorne und weiter hinter den Augen liegen, unscharf werden. Dass der Blickkontakt, der unverstellte Blick auf die Augen, eine ganz wichtige Funktion beim Gespräch hat, wird spätestens dann …