Monat: August 2013

[5 lesen 20] Jonas Lüscher: Frühling der Barbaren

Preising erzählt eine Geschichte aus Tausendundeiner Nacht, von Palmen, Kamelen und Zelten in einer Oase. Aber Preising erzählt keine erotischen Märchen, um einen Herrscher gnädig zu stimmen, sondern die bemerkenswerte Geschichte seines Urlaubs im „Thousand and One Night Resort“. Dies ist ein Luxushotel in der Wüste, in das ihn sein tunesischer Geschäftspartner, der nicht nur Platinen für das Schweizer Unternehmen Preisings lötet, sondern auch noch einige Hotels zu seinem wohl weitverzweigten Unternehmen zählt, eingeladen hat. Im „Thousand and One Night“ residiert auch eine Hochzeitsgesellschaft aus London. Es sind junge Bankangestellte, die in die tunesische Wüste gereist sind, um eine möglichst romantische, möglichst orientalische, möglichst exotische Hochzeit zu feiern, wollen dabei aber auf keinen Luxus verzichten. So amüsieren sich sechzig bis siebzig Finanzjongleure am Pool: Junge Leute in ihren späten Zwanzigern und frühen Dreißigern. Laut und selbstsicher. Schlank und durchtrainiert. (…) Wer sich ins Wasser wagte, trug eine jener Badehosen, wie man sie von Fotos kannte, die den jungen JFK am Strand von Martha´s Vineyard zeigten, oder knappe Bikinis, die die flachen Bäuche gut zur Geltung …

Die bebilderte Besprechung – Vea Kaiser: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam

Gerade ist Sommerferienzeit und einige Urlauber machen sich auf den Weg in den Süden, aber nicht ans Meer, nein, ins Gebirge. Sie alle reisen dorthin, um in Tälern und an Bergflanken durch Wälder und an Bächen zu spazieren, um in den klaren, von Gletschern gespeisten Seen zu schwimmen, um auf Almwiesen mit ängstlich pochenden Herzen dem Rindvieh auszuweichen oder um über felsige Gipfelgrate zu kraxeln. Und manch einer der Reisenden, gestresst von der Hektik und Fülle der Großstadt, wird sich wohl beim Blick auf die vielen Gipfel fragen, wie es sich wohl anfühlt, hier, in dieser Landschaft und in einem kleinen ruhigen Dorf das ganze Jahr zu leben. Und auf diese Frage liefert Vea Kaisers Roman „Blasmusikpop“ eine Antwort. Johannes A. Irrwein und sein Großvater Johannes Gerlitzen nämlich leben in so einem Dorf in den Bergen, in St. Peter am Anger. Das Dorf liegt sehr einsam, denn es hat nur einen Zugang von Lenk im Angertal aus, ansonsten ist es von unüberwindbaren gletscherbedeckten Gipfeln mit 4000 Meter Höhe umgeben. Die Dorfbewohner sind seit Jahrhunderten nicht …

5 lesen 20 – Longlist des Deutschen Buchpreises 2013

Nun ist es also soweit, die Longlist zum Deutschen Buchpreis ist gerade bekanntgegeben worden. Auf ihr sind die 20 Titel zusammengetragen, die ins Rennen gehen um den Buchpreis des Jahres 2013. Und weil wir gerne lesen und weil wir gerne über Literatur diskutieren und weil wir unsern Lesern gerne eine  Orientierung geben möchten über die Romane, die auf der Longlist versammelt sind, haben wir uns in diesem Jahr zusammengeschlossen und veröffentlichen unter dem Projekttitel 5 lesen 20 unsere Eindrücke zu den „erlesenen“ Romanen. Und vielleicht ergibt sich ja auch ein spannender Austausch über unsere ganz persönlichen Buchpreisfavoriten. Zu 5 lesen 20 tragen Mara von buzzaldrins, die Initiatorin und Organisatorin dieses Projektes (DANKE!), Sophie von Literaturen, Caterina von Schöne Seiten und Atalante von Atalantes Historien bei – also 5 Blogs, die die 20 Titel vorstellen wollen. Und das sind die Titel, die die Jury des Buchpreises ins Rennen schickt: • Mirko Bonné: Nie mehr Nacht (Schöffling & Co., August 2013) • Ralph Dutli: Soutines letzte Fahrt (Wallstein, März 2013) • Thomas Glavinic: Das größere Wunder (Hanser, August …

Robert & Edward Skidelsky: Wie viel ist genug? Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens

„Damals, als es mir beschissen ging, gab es Liebe und Freunde, wo kamen sie hin?“ fragt Charles Aznavour in seinem Chanson von 1977. Hier wird besungen, wie es war, in der alten Zeit, als er zwar kein Geld hatte, aber viele Freunde, mit denen er nächtelang „über Gott und die Welt“ diskutierte. Aber da war auch der Ehrgeiz, etwas erreichen zu wollen, „es zu schaffen“ und so opferte er alles, auch Liebe und Freunde, um „Macht und Geld“ zu bekommen. Als Aznavour dieses Chanson für seine CD „Duo“ zusammen mit Herbert Grönemeyer 2008 aufgenommen hat, hat der beschriebene Konflikt nichts von seiner Brisanz verloren: Finanzieller Erfolg geht oft auf Kosten der Zeit, die für Freundschaften zur Verfügung steht – finanzieller Erfolg wird oft erreicht auf Kosten des „guten Lebens“. Mit der Frage, was denn ein gutes Leben sei in einer Gesellschaft, in der doch alles vorhanden ist, beschäftigen sich Robert Skidelsky, Wirtschaftswissenschaftler und Keynes-Experte, und sein Sohn Edward, der Philosophieprofessor ist, in ihrem gemeinsamen Buch. Sie wollen, so schreiben sie zu Beginn, mit ihrem Buch …

John Lanchester: Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückbezahlt. Die bizarre Geschichte der Finanzen

Wer etwas wissen möchte über die Hintergründe von Bankenkrise, Finanzkrise und Eurokrise oder wer etwas erfahren möchte über die Begriffe Eigenkapitalisierung von Banken, Derivate, Swaps, Subprime-Hypotheken, das AAA der Ratingagenturen und die Immobilienblase, der kann dies alles nicht nur als äußerst kenntnisreich und spannend beschriebene Geschichte der letzten Jahre, sondern vor allem auch auf geradezu unterhaltsame Art und Weise in John Lanchesters Essay mit dem etwas sperrigen Titel „Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückbezahlt“ nachlesen. Im Spätsommer des Jahres 2007 begann John Lanchester, sich mit der Finanzindustrie, ihren Produkten, ihrem Geschäftsgebaren und ihrer Entwicklung zu beschäftigen. Es war die Zeit, in der Kunden ihre Bank Northern Rock stürmten, um möglichst alle Guthaben abzuräumen. Damit brachten sie die Bank in so massive Bedrängnis, dass das Institut wenige Monate später Schutz unter dem weiten Mantel des Staates suchen musste. Lanchester recherchiert seitdem das Ge-schehen um Börsen, Wertpapier- und Immobilienhandel und hat somit die Finanzkrise von Beginn an beobachtet. Verarbeitet hat er seine Erkenntnisse nicht nur in Artikeln für den New Yorker und die …