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[5 lesen 20] Nellja Veremej: Berlin liegt im Osten

Als Kind wünscht Lena sich, Kosmonautin zu werden. Sie lebt ganz im Osten der Sowjetunion, dort, wo ihr Vater als Pilot die Grenze sichert nach Japan. In ärmlichen Verhältnissen leben sie dort, zwei Familien teilen sich eine Küche, sitzen, in verschiedenen Ecken des Raumes, beim Frühstück, beim Abendessen zusammen. Später, als ihr Vater bei einem Flugzeugabsturz stirbt, stellt sich heraus, dass er ein Verhältnis mit der Nachbarin hatte. Nun ziehen Lena und ihre Mutter zur Großmutter „in den Süden“, in eine Stadt am Kaukasus. Dort leben sie in der Nähe des Fleischkombinates, je nach Windrichtung ziehen Geruchsschleier vorbei. Das Fleischkombinat betreibt auch eine  Bibliothek, in einem Palais untergebracht und geleitet von Vera Antowna Gutova. Vera führt Lena nicht nur an die Weltliteratur heran, sie legt auch immer wieder neu eingetroffenen Bücher für sie zurück und liebt es, ausgiebig mit Lena über die Bücher zu diskutieren. Lena liest Victor Hugo, Tolstoi, Puschkin, Balsac, Stendhal, Gracia Marquez und eines Tages „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“. Beeindruckt ist Lena mehr von den Radierungen, weniger von der Geschichte, denn sie …

[5 lesen 20] Urs Widmer: Reise an den Rand des Universums

Urs Widmer, in diesem Frühsommer 75 Jahre alt geworden, hat eine Autobiografie mit dem merkwürdigen Titel „Die Reise ans Ende des Universums“ geschrieben. Er beginnt seine Lebenserzählung ganz am Anfang, bei seiner Zeugung, die wohl im Sommerurlaub im Lötschental stattgefunden hat. Seine Eltern  verbrachten die ersten Sommerurlaube dort, in diesem Jahr zusammen mit einem befreundeten Ehepaar, das just an diesem Nachmittag zu einer Bergtour aufbrach, an der Widmers Vater sowieso nie teilnahm, seine Mutter an diesem Nachmittag auch nicht. Und er endet seine Erinnerungen 30 Jahre später auf dem Campingplatz in Barcelona, auf dem er mit seiner Frau May ein Zelt aufgebaut hat. Dort hat er ihr seine erste Geschichte zum Lesen gegeben, die zwar schon seit längerer Zeit fertig ist, die er aber bisher noch niemandem zum Lesen gegeben hat, und wartet nun mit bangem Herzen auf ihr Urteil. Diese beiden Geschichten, der Anfangs- und der Endpunkt, geben bereits eine deutliche Auskunft darüber, welcher Prinzipien sich Widmer in seiner Autobiografie bedient: er erinnert, erstens, den Zeitraum seiner ersten dreißig Jahren, er erzählt, zweitens, Episoden …

[5 lesen 20] Die Shortlist – Ein Interview

Seit gestern Vormittag ist sie heraus, die Shortlist zum Deutschen Buchpreis. Aus den 20 Titeln sind nun noch sechs Romane im Rennen, die unter sich den Sieger ausmachen werden, der dann am 7.10.2013 zur Eröffnung der Buchmesse in Frankfurt gekürt wird. Mich hat die Liste der „Letzten Sechs“ überrascht. Dem Vorwurf, dass die Jury des Buchpreises sich mit dem „ganz normalen“ Leser gemein macht, dass sie vor allem pekuniäre Ziele des Buchhandels verfolgt, hat sie sich nun wirklich nicht schuldig gemacht. Auf der Liste sind Titel, deren experimentelle und artifizielle Art des Umgangs mit Sprache eher abschreckend wirken und deren Themen eher schmermütig machen als dass sie die Lust aufs Lesen und die Auseinandersetzen mit Literatur und gesellschaftlichen Verhältnissen fördern. Natürlich muss Literatur einen Anspruch haben, natürlich ist sie kunstvoll, vielleicht auch künstlich, natürlich soll sie anstrengend sein, soll hinter einer Geschichte verschiedene Deutungsebenen verbergen, natürlich braucht sie kein Happy End (dafür sorgen Rosamunde Pilcher und ähnliche Autoren), soll zum Inhalt eine passende Form haben, vielleicht gar einen kritischen Blick auf die Gesellschaft werfen. Aber …

[5 lesen 20] Monika Zeiner: Die Ordnung der Sterne über Como

Liebe, natürlich. Musik. Und Freundschaft. Tom Holler sitzt im Wohnzimmer mit Leonardo Hermanns, Ehemann von Anne, die wiederum Toms Klavierschülerin ist – und seine Geliebte. Sie trinken Whisky und plaudern, weil Anne beim Einkaufen offensichtlich die Zeit vergessen hat und nur ihr Ehemann, Physiker und als Manager sonst viel unterwegs, ausnahmsweise zu Hause ist. Beim Plaudern hat Hermanns Tom die Frage nach den wichtigen Dingen des Lebens gestellt. Nun schaut er nachdenklich den Klavierlehrer seine Frau an und bescheinigt ihm auf seinee Antwort hin, wohl doch noch sehr jung zu sein und er solle es genießen, es bliebe nicht immer so. Hermanns liegt mit seiner Einschätzung richtig, aber das ahnt jetzt noch niemand. Liebe, Musik und Freundschaft sind die Themen, die Monika Zeiner in ihrem Roman um Tom, Marc und betty auslotet. Und Berlin und Italien spielen auch eine große Rolle, das Berlin und das Lebensgefühl auf aufstrebenden Künstler in den frühen 1990er Jahre, und Italien, weil außer einem alle wichtigen Geschichten dieses Romans mit Italien zu tun haben, sei es die italienische Woche in …

[5 lesen 20] Thomas Stangl: Regeln des Tanzes

Walter Steiner, pensionierter Wissenschaftler, wandert ziellos durch die Straßen Wiens. Er wandert durch Stadtteile, in denen er einmal gewohnt hat, in denen er sich gut auskennt, in denen sich über die Jahre nichts verändert hat, durch Straßen mit sanierten Altbauten, in denen nun Firmen mit modernen Namen ihren Sitz haben, durch Gassen, die er noch nie betreten hat: Nichts passte mehr zum anderen, die Häuser nicht zu den Straßen, die Straßen nicht zu den Menschen, die Menschen nicht zu den Erinnerungen, die Häuser waren keine Häuser, die Straßen keine Straßen, (sie passten nicht zu sich selbst), die Menschen keine – nun das heißt nur, er passte nicht hierher, sonst passte alles. (S. 11) Und dann, in einem Loch in der Hausmauer eines neu gebauten Hauses, findet Steiner zwei Filmdosen, in denen sich auch tatsächlich Filme befinden; alte Filme mit Bildern, die entwickelt werden und auf Papier abgezogen werden müssen. Wie mit einem Geheimfund läuft Steiner nun durch die Stadt, zu Hause versteckt er seinen Schatz in der Schublade seines Schreibtisches, seine Frau Pre soll nichts …

[5 lesen 20] Jonas Lüscher: Frühling der Barbaren

Preising erzählt eine Geschichte aus Tausendundeiner Nacht, von Palmen, Kamelen und Zelten in einer Oase. Aber Preising erzählt keine erotischen Märchen, um einen Herrscher gnädig zu stimmen, sondern die bemerkenswerte Geschichte seines Urlaubs im „Thousand and One Night Resort“. Dies ist ein Luxushotel in der Wüste, in das ihn sein tunesischer Geschäftspartner, der nicht nur Platinen für das Schweizer Unternehmen Preisings lötet, sondern auch noch einige Hotels zu seinem wohl weitverzweigten Unternehmen zählt, eingeladen hat. Im „Thousand and One Night“ residiert auch eine Hochzeitsgesellschaft aus London. Es sind junge Bankangestellte, die in die tunesische Wüste gereist sind, um eine möglichst romantische, möglichst orientalische, möglichst exotische Hochzeit zu feiern, wollen dabei aber auf keinen Luxus verzichten. So amüsieren sich sechzig bis siebzig Finanzjongleure am Pool: Junge Leute in ihren späten Zwanzigern und frühen Dreißigern. Laut und selbstsicher. Schlank und durchtrainiert. (…) Wer sich ins Wasser wagte, trug eine jener Badehosen, wie man sie von Fotos kannte, die den jungen JFK am Strand von Martha´s Vineyard zeigten, oder knappe Bikinis, die die flachen Bäuche gut zur Geltung …

5 lesen 20 – Longlist des Deutschen Buchpreises 2013

Nun ist es also soweit, die Longlist zum Deutschen Buchpreis ist gerade bekanntgegeben worden. Auf ihr sind die 20 Titel zusammengetragen, die ins Rennen gehen um den Buchpreis des Jahres 2013. Und weil wir gerne lesen und weil wir gerne über Literatur diskutieren und weil wir unsern Lesern gerne eine  Orientierung geben möchten über die Romane, die auf der Longlist versammelt sind, haben wir uns in diesem Jahr zusammengeschlossen und veröffentlichen unter dem Projekttitel 5 lesen 20 unsere Eindrücke zu den „erlesenen“ Romanen. Und vielleicht ergibt sich ja auch ein spannender Austausch über unsere ganz persönlichen Buchpreisfavoriten. Zu 5 lesen 20 tragen Mara von buzzaldrins, die Initiatorin und Organisatorin dieses Projektes (DANKE!), Sophie von Literaturen, Caterina von Schöne Seiten und Atalante von Atalantes Historien bei – also 5 Blogs, die die 20 Titel vorstellen wollen. Und das sind die Titel, die die Jury des Buchpreises ins Rennen schickt: • Mirko Bonné: Nie mehr Nacht (Schöffling & Co., August 2013) • Ralph Dutli: Soutines letzte Fahrt (Wallstein, März 2013) • Thomas Glavinic: Das größere Wunder (Hanser, August …