Monat: September 2014

Antonio Fian: Das Polykrates-Syndrom

Ein Gastbeitrag von Tina aus Stuttgart Ich-Erzähler Artur ist Historiker. Er verdient aber in einem Copyshop, als freiberuflicher Sketchschreiber und Nachhilfelehrer seinen Lebensunterhalt. Schnell wird dem Leser klar, dass Artur bisher ein recht monotones Leben hatte und in seiner Ehe mit Lehrerin Rita, die kurz vor der nächsten Karrierestufe steht, nicht den Ton angibt. Mit einem Mal ändert sich alles: Eine gewisse Alice („Aließ“) taucht im Copyshop auf und hinterlässt Artur eine Nachricht. Er hat nun die Wahl, dieser mysteriösen Unbekannten zu folgen oder eben nicht. Das war die letzte Handlung in meinem alten Leben, von dem ich heute weiß, dass es kein Leben war, und in das ich doch, wenn das möglich wäre, ohne zu murren zurückkehren würde. Seine Entscheidung trifft er schnell. Er folgt ihr. Nach und nach wird dadurch sein Leben auf den Kopf gestellt. Im Laufe der Geschichte hadert Artur immer wieder mit sich, denn impulsive Entscheidungen widersprechen seinem eigentlichen Wesen. Der „alte“ Artur wollte sein Glück nie herausfordern. Um das Schlimmste zu umgehen hat er beispielsweise eine Reihe Versicherungen abgeschlossen, …

Und noch eine – ganz persönliche – Shortlist

Bärfuss und Köhlmeier sind schon erlesen, aber ich komme und komme nicht dazu, eine Besprechung zu schreiben. Es ist nämlich so, dass ich noch eine andere Shortlist nicht auf dem Nachttisch, sondern auf dem Schreibtisch liegen habe. Für einen Prüfungsaufgalopp Anfang Oktober. Und die sind nicht so richtig spannend, die Bücher dieser Shortlist. Und sie müssen einfließen in Entwürfe und Konzepte, Verlaufsplanungen, Motivationsgründe, Ziele und Entwicklungsideen, Kompetenzumsetzungen und Förderansätze, zusätzliche Angebote und langsfristige Strategien, in Analysen und Evauationen, in Beratung und Beurteilung, in Transparenz, konstruktivistische Arbeitsanregungen, in Outputorientierung und Effektivitätssteigerung, in Messbarkeit unf Zählbarkeit – und natürlich alles unter dem großen Ziel der Qualitätssicherung und -verbesserung. (Wer nun meint, es gehe hier um eine neue Fertigungstechnologie, der ist nur ein wenig auf dem Holzweg….) Ich nehme dabei vieles mit, was ich aus dem „Koala“ und den „Zwei Herren am Strand“ gelernt habe: trotz allem auch an Faulheit denken und ein bisschen wenigstens erholsam im Baum schaukeln und immer die Methode des Clowns anwenden: „Der Irrsinn kann nur mit Irrsinn geheilt werden.“ (Köhlmeier: Zwei Hrren am …

LLL 2014 – Gertrud Leutenegger: Panischer Frühling

Weil der Vulkan auf Island so einen unaussprechlichen Namen ha, über den auch die Nachrichtensprecher der Reihe nach gestolpert sind, können wir uns noch ganz gut erinnern an seinen Ausbruch im April 2010. Wegen der vielen Aschepartikel, die er in die Luft gespuckt hat, musste tagelang der Flugverkehr eingestellt werden und viele Fluggäste strandeten auf irgendeinem Flughafen. Für diejenigen, die nichts aufs Fliegen angewiesen waren, gab es ein paar Tage blauen Himmel ohne Kondensstreifen und ohne Fluglärm. In diesen Tagen streift die Ich-Erzählerin – wir erfahren ihren Namen nicht, erfahren nur etwas über ihre Kindheit in der Schweiz und können auf ihr Alter schließen, da sie den Mauerbau in Berlin als Kind erlebt hat – durch London. Sie lebt für einige Monate in einer kleinen Wohnung im East End, neben ihren hauptsächlich pakistanischen Nachbarn, die Bars betreiben, Esslokale, Basare, die Hochzeiten feiern und mit einer gewissen Verwunderung im Fernsehen verfolgen, wie Großbritannien die eigenen in Europa gestrandeten Bürger mit Schiffen nach Hause holt, gerade so, als müssten sie aus einer schweren Katastrophe befreit werden. Die …

Meinungen des Buchhandels zum Buchpreis (4): Jacqueline Masuck

Heute beantwortet Jacqueline Masuck, Literaturbloggerin und Buchhändlerin im KulturKaufhaus Dussmann in Berlin, meine Fragen zur Longlist und zum Buchpreis. Die Longlist des Deutschen Buchpreises 2014 ist seit ein paar Wochen bekannt. Sind Sie überrascht von Titeln auf der Liste, vermissen Sie den ein oder anderen Titel oder sind Sie insgesamt zufrieden? In wenigen Tagen wird bereits die Shortlist veröffentlicht und ich frage mich, warum nicht direkt damit starten? Das funktioniert im Frühling, wenn es um den Preis der Leipziger Buchmesse geht, auch immer sehr gut. 5-7 Titel fände ich super – und dann am Ende den Sieger. Den 20 Titeln der Longlist in dem kurzen Zeitraum angemessen Aufmerksamkeit zu schenken, ist kaum möglich. Weder als Käufer, noch als Buchhändler. Parallel zur Longlist erscheinen außerdem unzählige neue Romane, denen dann noch weniger Aufmerksamkeit geschenkt werden kann. Ob ich überrascht war von der Liste? Nein, ich war weder überrascht noch zufrieden. Eher enttäuscht. Sie widerspiegelt für mich lediglich eine subjektive Auswahl einer kleinen Gruppe von Jury-Mitgliedern. Eine große Anzahl der Titel sind vom Frühjahr 2014. Das finde …

Meinungen des Buchhandels zum Buchpreis (3): Daniela Dobernigg

In meiner kleinen Reihe mit Beiträgen aus dem Buchhandel hat mir heute Daniela Dobernigg von der Buchhandlung cohen + dobernigg in Hamburg Rede und Antwort zur Longlist 2014 und zum Deutschen Buchpreis gestanden:   Die Longlist des Deutschen Buchpreises 2014 ist seit ein paar Tagen bekannt. Sind Sie überrascht von Titeln auf der Liste, vermissen Sie den ein oder anderen Titel oder sind Sie insgesamt zufrieden? Ehrlich gesagt ist es wie jedes Jahr: Viele Bücher habe ich noch nicht gelesen, da kann man keine Meinung haben. Ich finde den Buchpreis aus persönlicher Sicht nicht sehr spannend, und erstelle lieber meine eigenen, sehr variablen Listen. Für unsere Buchhandlung ist der Buchpreis auch nicht wahnsinnig relevant. Die Longlist hatte auch in den letzten Jahren kaum Auswirkungen. Selbst bei der Shortlist reagieren die Kunden kaum. Das hat meiner Meinung nach zwei Gründe: 1. Wir machen keine Sonderpräsentation, Werbung usw. 2. Die Bücher, die in den letzten Jahren gewonnen haben, waren für viele durchschnittliche Leser nicht besonders attraktiv. Wir hadern immer wieder mit dem Deutschen Buchpreis, nicht weil wir …

LLL 2014 Kurzporträts (6): Charles Lewinsky: Kastelau

Letzter Autor in meiner kleinen Reihe zur Longlist ist wiederum ein mir bisher ganz unbekannter Schriftsteller, von dem aber schon im Begleitheft zum Buchpreis viel Interessantes, Ungewöhnliches, manchmal durchaus auch Witziges berichtet wird. Die harten Fakten zuerst: Geboren wurde Charles Lewinsky 1946 in Zürich, ging dort zur Primarschule, musste dann aber zum Gymnasium jeden Tag nach Luzern reisen, denn die Zürcher Schulen nahmen nun einmal keinen Schüler auf, der aus religiösen Gründen samstags nicht schreiben durfte. Nach der Schule studierte er Germanistik und Theaterwissenschaften, arbeitete dann als Dramaturg und Regisseur an verschiedenen Bühnen in der Schweiz und in Deutschland, ehe er als Ressortleiter beim Schweizer Fernsehen für die „Wort-Unterhaltung“ zuständig war. Seit 1980 arbeitet er als freier Autor und hat in dieser Zeit bemerkenswert unterschiedliche Dinge geschrieben: die Bühnenprogramme für „Mary“, ein paar Geschichten für die „Traumschiff-Serie“, Drehbücher für Sitcoms im Schweizer Fernsehen, sogar als Ghostwriter für Harald Juhnkes Show „Musik ist Trumpf“ – falls sich da noch jemand der Leser erinnern kann – ist Lewinsky tätig gewesen, so wie er auch einen Titel zum …