Monat: August 2016

Ben Rawlence: Stadt der Verlorenen. Leben im größten Flüchtlingslager der Welt

Wer Luftbilder (z.B. hier oder hier) der Flüchtlingslager von Dadaab im Nordosten Kenias betrachtet, der sieht Zeltstädte oder Hüttensiedlungen soweit das Auge reicht, mit Straßen durchzogen, an manchen Stellen sind Plätze oder größere Gebäude. Wie viele Menschen mögen in diesen Flüchtlingslagern wohnen, unter welchen Bedingungen und wie lange, fragt man sich sofort. Und kann sich leicht ausmalen, was es für die Menschen bedeutet, in solch einem künstlich angelegten Gebilde zu leben, ohne wirkliche Privatsphäre zu den Nachbarn, in einer Nachbarschaft, die nicht gewachsen ist, sondern hier willkürlich entstanden, und mit den Konflikten, die sich allein daraus ergeben. Und dann bringt ja auch noch jeder Flüchtling seine Geschichte mit, ist traumatisiert vom langen Bürgerkrieg, hat alles aufgegeben, weil der Hunger zu groß geworden ist, ist geflohen von den al-Shabaab-Milizen, die ganze Landstriche unter ihre Herrschaft gebracht und ihre Willkürherrschaft etabliert haben. Tatsächlich beherbergt Dadaab je nach politischer oder meteorologischer Situation zwischen 300.000 und 500.000 Menschen. Das Lager ist 1992 gegründet worden, als in Somalia der Bürgerkrieg ausbrach und die ersten 90.000 Flüchtlinge über die Grenze nach …

Rasha Khayat liest in Düsseldorf

Natürlich ist erst einmal das Wetter ein Thema, denn es ist ja schon ein bisschen verrückt, mitten im August, zur besten Schulferienzeit und bei sommerlichen Temperaturen in die Stadtbibliothek zu einer Lesung zu gehen. So eine Wasserglas-Lesung ist ja eher etwas für einen verregneten und vernebelten Novemberabend, wenn man sich in einem warmen Raum zusammendrängeln kann, um gemeinsam einer Geschichte zu lauschen. Und so freut sich Michael Serres, der Leiter des Literaturbüros NRW, auch ganz besonders über die vielen Zuhörerinnen und Zuhörer, die an diesem „vierten Sommertag“ des Jahres in das Lernstudio der Stadtbibliothek gekommen sind, so viele, dass die Mitarbeiterinnen unentwegt neue Stühle herangeschafft haben.  Und Rasha Khayat freut sich auch über die sommerlichen Temperaturen in Düsseldorf, denn in Hamburg sei sie bei tatsächlich 11 Grad in den Zug gestiegen. Das Thema der frühabendlichen Lesung ergab sich dann auf augenzwinkernde Art sehr schnell, als Serres nämlich die Delegation des Dumont-Verlages begrüßte, die aus einer – natürlich namenlosen – Stadt in der Nähe extra angereist sei. Köln und Düsseldorf, das sind die seit Ewigkeiten verfeindeten …

Heinz Bude: Gesellschaft der Angst

Sie wird gerade wieder kräftig bespielt, die Klaviatur der Angst. Mit jeder neuen Gewalttat werden nahezu reflexhaft und manchmal so schnell, dass noch gar keine gesicherten Informationen vorliegen, Beschuldigungen in verschiedene Richtungen laut, es werden Ausgrenzungen und Abgrenzungen vorgenommen, es wird konsequent vereinfacht und es werden einfachste Lösungen feilgeboten: die Angst vor „den Anderen“ wird ganz gezielt geschürt, es entsteht eine mehr und mehr aufgeheizte, hysterische Atmosphäre, die vor allem eines ist, nämlich politisches Kalkül. Heinz Bude, der an der Universität Kassel Soziologie lehrt, hat sich in diesem 2014 erschienen Band nicht nur mit dieser „Angst vor den Anderen“– und auch der „Angst der Anderen“ – auseinandergesetzt, sondern geht weiteren soziologischen Facetten der zahlreichen Ängste nach, die die Menschen unserer Gesellschaft umtreiben, je nachdem, in welcher Situation und in welcher gesellschaftlichen Schicht sie sich befinden. Bude belässt es nicht bei dieser Darstellung, sondern setzt sich auch mit den Folgen der Ängste für die Politik auseinander und skizziert Lösungsansätze, die gerade auch mit Blick auf die lauten populistischen Äußerungen unserer Tage interessant sind. Angst, so stellt …

Abbas Khider: Die Orangen des Präsidenten

Wer sich angesichts der einen oder anderen aktuell beunruhigenden Nachricht noch einmal vergewissern möchte, was es heißt, in einer Diktatur zu leben, der kann auf den Spuren des Abiturienten und Taubenzüchters Mahdi schnell herausfinden, dass das Leben in einem solchen Land höchst unsicher und unvorhersehbar ist – und sehr gefährlich. Mahdi lebt im Irak Saddam Husseins. Durch den Iran-Irak-Krieg verliert er seinen Vater, die Mutter, Analphabetin, verkauft den Renault und das Grundstück, großzügige Gaben des Staates zum Ausgleich des Verlustes, kauft eine Wohnung und betreibt fortan einen Gemüseladen, um für sich und Mahdi sorgen zu können. Ein paar Jahre später stirbt die Mutter an Krebs, Mahdi zieht zu seinem Onkel nach Nasrija. Und nach seinen Abiturprüfungen landet er quasi direkt in den Katakomben des Hussein-Regimes, denn bei einer Spritzfahrt mit seinem Freund Ali wird er festgenommen, Ali hatte wohl die falschen politischen Freunde und Mahdi war zur falschen Zeit mit Ali zusammen. Und wie es politischen Häftlingen in einem absolut rechtsfreien Raum ergeht, davon erzählt Mahdi in seinem Roman. Zu Beginn der Vernehmungen glaubt Mahdi …