Monat: August 2018

Verena Lueken: Anderswo

In „Alles zählt“, ihrem ersten Roman, folgte Verena Luekens Erzählung der Geschichte einer Journalistin, die sich eine Auszeit nimmt in New York, der Stadt, in der sie sich so gerne aufhält, um ihre Gedanken zu sortieren, um aufzutanken, um neue Schreibideen zu entwickeln. Dort erkrankt sie aber wieder an Lungenkrebs und muss nach ihrer OP eine lange und qualvolle Schmerzenszeit überstehen, bis sie endlich wieder gesundet und bei einer Reise nach Asien Hoffnung und eine neue Perspektive für ihr Leben findet. In ihrem neuen Roman „Anderswo“ ist es wieder eine weibliche Protagonistin mittleren Alters, die sich auf eine Suche begibt. Auf die Suche nach einer Leerstelle in der Biografie ihres Vaters, die sie klären möchte, auch wenn der Vater schon tot ist und sie ihm mit ihrer Recherche keinen Liebesdienst mehr erweisen kann. Es ist überhaupt eine für die Tochter ziemlich abträgliche Beziehung, die die beiden zueinander haben. Der Vater, Jugendlicher und junger Erwachsener während der Nazi- und Kriegszeit, kann schon während ihrer Kindheit wenig Empathie oder gar Liebe aufbringen für die Tochter. Sie ist …

Margriet de Moor: Von Vögeln und Menschen

    Vor ein paar Tagen stellte Anna auf ihrem Blog buchpost die Autobiografie Anthony Ray Hintons vor, der 1985 in Alabama zu Unrecht wegen angeblichen Mordes zum Tode verurteilt und erst dreißig Jahre später aus dem Gefängnis entlassen wurde. Seine Geschichte ist ein Paradestück dafür, wohin rassistische Vorverurteilungen führen, wenn es denn im gesamten Rechtsapparat so gar niemanden gibt, der seine Arbeit ernsthaft betreibt und auf Widersprüche und eklatante Ermittlungsfehler hinweist. Fast zeitgleich habe ich Margriet de Moors Roman „Von Vögeln und Menschen“ gelesen, dessen erzählerischer Kern auch solch ein „Justizirrtum“ ist. Auch wenn in de Moors Roman schließlich ein Geständnis vorliegt, wenn auch ein falsches, durch Schlafentzug und andere Formen der psychischen Folter erpresst, die Ermittlungen sind genauso schlampig durchgeführt wie in Hintons Geschichte. Weil die Schuldige, wie in Hintons Fall, schon sehr schnell feststand. Diese Geschichte ist wohl wirklich passiert, in den Niederlanden der 1980er Jahre, nur dass hier die Vorverurteilung keine rassistische Grundlage hat, sondern eine soziale, vielleicht auch eine frauenfeindliche. Margriet de Moors Augenmerk liegt jedoch nicht so sehr auf …

Terézia Mora: Die Liebe unter Aliens

Aus dem Buchregal genommen habe ich Terézia Moras Erzählband, weil die Autorin, so wurde Anfang Juli bekannt, die diesjährige Büchner-Preisträgerin ist. Eine gute Gelegenheit also, die Lektüre des vor zwei Jahren schon veröffentlichten und immer noch ungelesenen Erzählbandes endlich nachzuholen. Und dann ergab sich auf einmal ein ganz stimmiger Zusammenhang mit den vorher gelesenen Büchern – denn auch Terézia Moras Geschichten umkreisen das Thema Stille. Angefangen hat meine kleine, wenn auch ungeplante Reihe zum Thema mit Céline Minards Protagonistin, die die einsame Bergwelt aufsucht, um zu erproben, ob ihr Leben dort, und auch die dazugehörende Stille, sie zu einer Erleuchtung führe – oder eben nicht. Erling Kagge stellt schon mit dem Titel seines Buches klar, dass er sich mit dem Phänomen der Stille beschäftigt, und beleuchtet dann Momente der Stille und Wege zur ihr. In Moras Erzählungen sind es wiederum die Protagonisten, die ein besonderes Verhältnis zur Stille haben. Es sind oft Figuren, die alleine leben oder die sich selbst dann  einsam fühlen, wenn es Lebenspartner gibt. Es ist eine Stille, die sie umgibt, die …

Erling Kagge: Stille. Ein Wegweiser

Nach der Reise mit der Protagonistin in Céline Minards Roman „Das große Spiel“ in die Abgeschiedenheit, Einsamkeit und vor allem auch Stille der Berge, ist der Schritt zur Lektüre von Erling Kagges „Wegweiser: Stille“ nicht weit. Wie Minards Erzählerin eine Abenteurerin ist, die keine Scheu hat vor dem einsamen und ausgesetzten Leben auf dem Berg, so ist auch Kagge ein Mensch, der sich in der Auseinandersetzung mit den extremen Bedingungen der Natur in Arktis, Antarktis und auf dem Mount Everest ausprobieren möchte. Solche Situationen zu suchen bedarf eines besonderen Mutes und Zutrauens, auch der guten Vorbereitung mit „kühlem Kopf“, vor allem aber auch des Wissens, die lange Einsamkeit, die lange Stille, ertragen zu können. Aber nicht nur das: Kagge sucht geradezu die Stille, sucht immer wieder Momente, in denen er die Welt aussperren kann; „Es zu lernen, hat eine Weile gedauert. Erst als ich begriff, dass ich ein tiefes Bedürfnis nach der Stille habe, begann ich, die Stille zu suchen – und dort, tief unter einer Kakophonie von Verkehrslärm und Gedanken, Musik und Maschinengeräuschen, iPhones …