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Erling Kagge: Stille. Ein Wegweiser

Nach der Reise mit der Protagonistin in Céline Minards Roman „Das große Spiel“ in die Abgeschiedenheit, Einsamkeit und vor allem auch Stille der Berge, ist der Schritt zur Lektüre von Erling Kagges „Wegweiser: Stille“ nicht weit. Wie Minards Erzählerin eine Abenteurerin ist, die keine Scheu hat vor dem einsamen und ausgesetzten Leben auf dem Berg, so ist auch Kagge ein Mensch, der sich in der Auseinandersetzung mit den extremen Bedingungen der Natur in Arktis, Antarktis und auf dem Mount Everest ausprobieren möchte.

Solche Situationen zu suchen bedarf eines besonderen Mutes und Zutrauens, auch der guten Vorbereitung mit „kühlem Kopf“, vor allem aber auch des Wissens, die lange Einsamkeit, die lange Stille, ertragen zu können. Aber nicht nur das: Kagge sucht geradezu die Stille, sucht immer wieder Momente, in denen er die Welt aussperren kann;

„Es zu lernen, hat eine Weile gedauert. Erst als ich begriff, dass ich ein tiefes Bedürfnis nach der Stille habe, begann ich, die Stille zu suchen – und dort, tief unter einer Kakophonie von Verkehrslärm und Gedanken, Musik und Maschinengeräuschen, iPhones und Schneefräsen, lag sie verborgen und wartete auf mich. Die Stille.“

So geht er nun in seinen 33 Kurz-Essays der Frage nach, was sie denn sei, die Stille. Wo sie sei und warum sie heute so eine große Bedeutung habe. Nicht nur für ihn scheinen diese Fragen wichtig zu sein, sondern auch für viele andere stress- und lärmgeplagte Menschen, wenn man bedenkt, wie viele Bücher – und dabei auch Anleitungen – es gibt, die Wege aufzeigen, wie durch Meditation und Achtsamkeit das eigene Selbst wieder gehört und gespürt werden könne, welches große Wellness- und Freizeitangebot besteht, in dem es tatsächlich auch Kurse gibt, in denen der moderne Mensch das Waldbaden lernt. „Zentren für Stille“, so schreibt auch Kagge, seien eine Wachstumsindustrie, ein Luxus für diejenigen, die ihn sich leisten können.

Es ist sicher ein großes Verdienst dieses Buches, dass Kagge sich gerade nicht über diese Anleitungen und Trainingsprogramme der Stille nähert. Vielmehr blickt Kagge aus ganz verschiedenen Perspektiven auf das Phänomen, blickt auf eigene Erfahrungen während seiner Expeditionen zurück, liest in philosophischen Texten und schaut, welche Bedeutung Stille in den Religionen hat. Er befragt andere Menschen über ihr Verhältnis zur Stille, recherchiert wissenschaftliche Untersuchungen und schildert, welchen Zusammenhang von Kunst und Stille es gibt.

Mit einem Fußballspieler spricht er über die Stille während des Spiels. Wir Zuschauer nehmen im Stadion oder beim Fußballschauen am Fernseher immer einen enormen Geräuschpegel wahr, der sich noch einmal deutlich erhöht, wenn auf dem Platz eine besondere Situation zu sehen war, erst recht, wenn ein Tor geschossen wurde. Der Spieler, der gerade aufs Tor schießt, aber hat durchaus andere, viel differenziertere Wahrnehmungen:

„Wenn er den Ball abschlägt, hört er keinen Ton, obwohl der Geräuschpegel enorm ist. Dann beginnt er zu jubeln. Er weiß als Erster, dass es ein Tor wird. Einen Augenblick später scheint es im Stadion wieder komplett ruhig zu sein. Als nächstes begreifen die Teamkollegen, dass der Ball die Torlinie passiert hat, er hört sie jubeln. Kurz darauf realisieren es auch die Fans, und dann jubeln alle. Das Ganze dauert eine Sekunde oder zwei.“

Es ist die von Kagge immer wieder vorgenommene Unterscheidung zwischen der äußeren Stille und der inneren, die in diesen Eindrücken des Fußballers eine Rolle in seiner Wahrnehmung spielt und die auch für Kagge eine besondere Bedeutung hat. Die äußere Stille gehört zu seinen Extremreisen als fast selbstverständlicher Teil hinzu. Und so führt die äußere Ruhe dazu, dass Kagge den Weg zum Südpol auf sich selbst zurückgeworfen verbringt, mit den Gedanken, die ihm durch den Kopf schießen. Die äußere Ruhe kann er auch suchen, wenn er wandert, wenn er in der Natur ist. Als Mensch, der aber in Oslo lebt und arbeitet, der dort einen Weg zu seinem Arbeitsplatz bewältigen muss, mit Lärm und Verkehr und dessen Arbeitstag dann durch äußere Vorgaben getaktet ist, ist die innere Stille, die Stille, die jeder in sich erschaffen kann, auch wenn es um ihn herum noch so turbulent und laut zugeht, eine ganz besondere Qualität. Es ist diese innere Stille, in der der Fußballspieler seinen Schuss platziert und dem Ball nachschaut, bis erst er jubelt und er dann erst den Jubel der Zuschauer wahrnimmt.

Kagge spürt den Momenten der Stille nach, die jeder suchen kann und die auch kein finanzieller Luxus sind. Es sind die fünf Extraminuten morgens im Bett, die Entscheidung gegen das Radio oder das Smartphone, die Entscheidung dafür, einen Weg zu Fuß zu bewältigen. Es ist der ganz bewusste Blick auf die Besonderheiten der Natur, einen Stein, ein Moos. Und es ist natürlich auch das bewusste Hören von Musik, der konzentrierte Blick auf ein Gemälde, mit dem dann fast eine Kommunikation entsteht, und das Lesen von Literatur bzw. Gedichten. Wenn aus dem Gelesenen ein Bild wird, eine Landschaft entsteht oder eine bestimmte Szenerie, wenn wir die Zeit vergessen haben, aus der Welt sind und doch ganz präsent in diesem Moment, dann, so Kagge

„wird [die Welt] einen Augenblick ausgesperrt, eine innere Ruhe und Stille übernimmt. Dies sind Gefühle, die wir alle in unterschiedlichem Maß und auf verschiedene Weise empfinden und von denen ich meine, dass man sie kultivieren und ausbauen sollte.“

Kagge also versammelt in seinen Essays viele Ansätze, wie wir uns der inneren Stille nähern können. Er erklärt aber auch, welche Stoffe in unserem Hirn bewirken, dass wir den Verlockungen – und der Ablenkung – der digitalen Techniken so schwer entkommen können. Und zeigt ein ganz überraschendes wissenschaftliches Experiment auf, dass zeigt, wie schwer es vielen Menschen fällt, Stille zu ertragen.

Probanden aller Altersklassen und sozialen Herkünfte sollen sechs bis fünfzehn Minuten in einem Raum der Stille bleiben, ohne dass sie eine Ablenkung in Form eines Buches, von Musik oder ihres Smartphones mitnehmen dürfen. Übereinstimmend erklären sie nachher, wie unwohl sie sich gefühlt haben, und dass sie sich nicht hätten auf etwas Bestimmtes konzentrieren können. Bei einer Verschärfung des Experimentes nutzt die Hälfte der Teilnehmer die Möglichkeit, die 15 Minuten im Raum der Stille zu verkürzen, indem sie einen schmerzhaften elektrischen Schlag in Kauf nimmt.

Kagge führt dieses Ergebnis darauf zurück, dass wir auf der ständigen Flucht vor uns selbst seien. So können wir die Stille um uns herum nicht ertragen und lassen uns gerne von Technik und anderen Dingen ablenken. Er folgt damit dem Philosophen Blaise Pascal, der schon im 17. Jahrhundert der Meinung war, „das Unglück der Menschen kommt davon her, dass sie nicht verstehen, sich ruhig in der Stube zu halten.“  Es ist schade, dass Kagge hier nicht genauer ausführt, welche Gründe die Wissenschaftler gefunden haben, dass Menschen sich während der kurzzeitigen Stille so unwohl fühlen, sich sogar Schmerzen zufügen, um die Zeit abzubrechen. Immerhin ist der Mensch ein soziales Wesen, gewohnt, mit anderen zusammen zu sein. Auch ein Wesen, das neugierig ist und seine Umgebung erkundet, das Entwicklungen anstößt, weil es eben nicht nur ruhig in der Stube sitzt. Genau diese beiden Aspekte haben im Laufe der Menschheitsentwicklung auch unser Überleben gesichert.

Es sind diese Ungenauigkeiten, die Kagges Essays manchmal zu einseitig, manchmal auch fraglich erscheinen lassen. Natürlich, es ist seine Meinung, es sind seine Erlebnisse, es ist seine Auseinandersetzung mit dem Thema, die er hier in Form von Mosaiksteinen  zusammenträgt. Darin stecken viele gute Ideen, Ansätze, philosophische Aspekte, die nachdenkenswert und nachahmenswert sind, in einer Zeit, in der die Menschen immer lauter werden. Es ist auch klar, dass ein Band zum Thema „Stille“ nicht unbedingt die negativen Aspekte der Stille, des Still-Seins oder des Stille-Suchens beleuchtet, alles Aspekte, die einen Menschen ja gerade den sozialen Bindungen entzieht – nicht umsonst sind Bezeichnungen wie Einsiedler nicht nur positiv besetzt.

Aber ob Stricken und Holzhacken wirklich gute Beispiele für Stille sind, nicht viel mehr für Konzentration auf genau diese Tätigkeit, die man gerade ausführt, ob die nur kritische Auseinandersetzung mit der Technik wirklich in ein Buch der Stille gehört und ob die Hinweise auf den Luxus, im Beruf auch mal nicht erreichbar sein zu können und Aufgaben an Kollegen zu delegieren (was ist dann mit deren Suche nach Stille?), eine angemessene Lösung sind – das alles wirkt nicht ganz konsequent durchdacht.

Erling Kagge (2017): Stille. Ein Wegweiser, Berlin, Insel Verlag

 

 

12 Kommentare

  1. Nun, ich denke, es kommt darauf an, wie man Stille definiert und ich denke Kagge meint das nicht unbedingt als Abwesenheit von Geräuschen sondern auch als das Möglichmachen von Räumen. So habe ich das Buch gelesen und ich fand es großartig. Großartig auch wegen der Kritik daran, dass sogar mit Stille Geld verdient wird heutzutage – und das nicht wenig. Man denke nur an Spas und Ressorts und Wellnessurlaube. Ungenau oder unscharf empfand ich ihn ebenfalls nicht. Er gab mir die richtigen Leerstellen, die ich mit meinen Gedanken füllen konnte. Ich kenne viele Menschen, die immer beschäftigt sind, mit Dingen, mit anderen Menschen, aber nie mit sich selbst, weil sie – wie eine Freundin selbst von sich sagte – „Die Büchse der Pandora nicht öffnen“ wolle. Vielleicht kannst Du das ja einfach nicht nachvollziehen, weil es für dich keine Problem ist, Dir selbst zu begegnen, aber vielen Menschen macht das Angst oder sie nehmen sich nicht wichtig genug. Wie gesagt, ich fand es großartig das Buch. Wenn es Dich genauer interessiert, wie ich das gelesen habe, dann gerne hier kucken: https://feinerbuchstoff.wordpress.com/2018/05/01/den-eigenen-suedpol-finden/ Liebe Grüße, Bri

    • Liebe Bri,
      ich mochte auch an Kagges Buch, dass er Stille nicht nur als Abwesenheit von Geräuschen sieht, sondern vor allem auch als Einssein mit dem Moment, entweder beim Betrachten von Kunstwerken – toll ja, wie er gerade Munchs „Schrei“ als ganz außergewöhnlichen Moment der Stille empfindet – beim Anblick des Mooses auf einem Stein, beim Lesen eines Gedichtes oder eben auch in einem überaus lauten Fußballstadion, wenn der Spieler den Ball aufs Tor schießt und hier einen Augenblick absoluter Konzentration empfindet, eine Stille in sich, die den Krach des Stadions völlig überdeckt.
      Und ja, die ganzen Angebote zu Wellnessurlauben, Spas und dem Lernen von Waldbaden empfinde ich auch als höchst fragwürdig. Gerade bin ich zum Wandern in den Alpen gewesen und bin jedes Mal wieder erschüttert, wie es den Tourismusverbänden bloß in den Sinn kommen kann, die Bergstationen des Seilbahnen mit riesigen Spaßgeländen und Spielplätzen auszustatten und die vor allem mit so lauter Musik zu beschallen, dass man da eigentlich kein Kind spielen lassen kann. Entfernt man sich ein wenig von diesen Plätzen, rennen immer Menschen herum, die laut telefonieren, sogar im Konferenzmodus, sodass man gleich die andere Seite auch noch hört. Da fällt es mir dann auch schon schwer, eins zu sein mit der wunderbaren Natur, die Berge zu bestaunen, die Vögel zu beobachten oder einfach nur ganz in Ruhe meinen Weg zu gehen.
      Trotzdem – und das ist, was mich ein wenig stört an Kagges Mosaiksteinchen zur Stille – der Autor überhöht die Stille immer wieder, indem er hier und da und dort durchscheinen lässt, dass Stille eben ein ganz besonderer Wert ist, den viele nicht finden, wenn sie nich einfach mal ruhig in ihrer Stube sitzen (um Blaise Pascal noch einmal zu zitieren). Und wenn Menschen Angst haben vor Stille, dann finde ich das einfach völlig in Ordnung, wenn sie eben nicht ruhig in ihrer Stube sitzen, auch wenn sie auf den Berg rennen (oder fahren), um dort beschallt zu werden. Vielleicht, bestimmt sogar, sind sie damit genauso glücklich, ausgeglichen und kreativ, wie ich mit meiner Suche nach äußerer und innerer Stille.
      Es kommt halt immer irgendwie auf das für jeden individuelle rechte Maß an.
      Viele Grüße, Claudia

      • Liebe Claudia, danke für die ausführliche Antwort. Das kann ich nachvollziehen, das verstehe ich, dass Du das so meinst. Aber es ist schon erstaunlch wie wenig gegenwärtig Menschen heute in Situationen sind, die es notwendig machen. Aber im Prinzip kann man ihnen das nicht vorschreiben, da hast Du schon Recht. Was ich aber unsäglich finde ist die Tatsache, dass die Aufmerksamkeit, die immer so geteilt wird auch bei den eigenen Kindern geteilt wird. Immer ist Ablenkung vorhanden. Das wird so weiter gegeben, ohne Filter und das ist äußerst schwierig, finde ich. LG, Bri

  2. Ich hatte einige Minuten des Hörbuchs gehört und habe dann beendet, weil mich die Abenteuergeschichten des Autoren nicht interessierten. Für die Stille braucht es auch keine Antarktis und mit einer Anleitung wird es auch schwierig. Denn sie hat mit Bewusstwerdung und Achtsamkeit zu tun. Leute, die das Buch lesen, werden das aber ohnehin schon wissen und die anderen lesen es erst gar nicht.
    Viele Grüße

    • Liebe Marina,
      ja, durch den Anfang muss man durch. Das hat mich zunächst auch ein wenig befremdet, denn dass solche Abenteurer wie er ganz besonders Stille suchen müssen und mit Stille umgehen können müssen – sonst könnten sie ihre Expeditionen ja gar nicht in Angriff nehmen – ist ja schon klar. Dann legt er aber schon ganz interessante Aspekte zur Stille dar und zeigt auch die vielen Beispiele dafür auf, dass es eben nicht die Arktis braucht, um diese (innere) Stille finden zu können. Dass es die innere Stille eben auch in Oslo gibt, auf dem Weg zur Arbeit oder in ein paar ruhigen Minuten während der Arbeit. Insofern schreibt er auch keine wirkliche Anleitung, sondern nähert sich der Stille mehr aus verschiedenen Perspektiven, wie und wo man sie denn im normalen Leben finden kann.
      Aber, das Zauberwort ist im Prinzip, wie du schon schreibst, der Aspekt der Achtsamkeit, der Berwusstwerdung des Momentes. Erinnert fühlte ich mich auch an die Überlegungen zum „Flow“, die Mihaly Csikszentmihalyi in seinem Buch zur „Kreativität“ dargelegt hat, der nämlich dann entsteht, wenn jemand Interesse und Spaß an einer Sache, einem Thema, einer Aufgabe, einem Ding hat und sich deshalb ganz konzentriert und auf den Moment bezogen damit beschäftigt (so wie ich jetzt beim Schreiben meiner Antworten auf die vielen Kommentare ).
      Und du hast sicher auch recht, wenn du schreibst, dass genau diejenigen das Buch lesen, die sich für Stille interessieren und schon auf einem guten Weg dahin sind; die anderen Menschen, die sich eher nach Ablenkung sehnen, werden sich wohl nicht damit auseinandersetzen. Und damit sind wir ja ganz nah an Annas wirtschaftlicher Kritik an dem Buch.
      Viele Grüße, Claudia

      • „Flow“ hat mir damals auch gut gefallen. Vielleicht bin ich durch Yoga und Meditation auch schon tief in der Materie drin. Was nicht heißt, dass es mir immer gelingt Stille zu erlangen.

      • Nein, wenn es gerade so richtig im eigenen Kopf rumort und knallt und alles laut dureinander spricht, wenn alles ganz besonders schnell getaktet ist, dann ist es einfach schwer, Ruhe und Stille herzustellen. Das schreibt Kagge auch so. Da ist aber eigentlich Bewegung und ein bisschen „auspowern“ gut, um dann zur Stille zu kommen. Deshalb finde ich, offensichtlich genau wie du es auch machst, Yoga gut. Dann fällt am Ende die Ruhephase ein bisschen leichter. Ein schönes – vielleicht auch stilles – Wochenende wünscht Claudia

  3. Hallo Claudia,
    danke für deine Besprechung. Ich hatte das Buch auch schon länger auf der Wunschliste und denke nun, dass ich es vielleicht doch nicht benötige. Letztendlich kann ich mich – so ich das möchte und aushalte – ja sofort in meinen Sessel setzen und genau das tun, was mich in die Stille führt. So paradox es ist, auch er klinkt sich mit seinem Buch ja ein in den Markt, der mit Stille veranstaltet wird und bei dem es um viel Geld geht (das finde ich nicht verwerflich und es gibt da ohne Frage wunderbare Bücher und Angebote), aber dass er diesen Markt kritisiert, scheint mir putzig.
    Liebe Grüße
    Anna

    • Liebe Anna,
      es lohnt sich sicherlich schon, das Buch zu lesen, es sind viele interessante Aspekte darin enthalten, wie und wo Stille entsehen kann, eben immer auch in der Auseinandersetzung mit Kultur – oder im Sport. Das Fußballbeispiel fand ich schon toll. Ich habe den Band eben auch gelesen, weil er überall auf den Blogs positiv besprochen wurde und er so gut zu Minards Erzählerin in der Bergeinsamkeit passt (und wir auch gerade unseren Urlaub in den Bergen verbracht haben). Passte also alles gerade gut. Und du fändest beim Lesen bestimmt andere Aspekte, die dir gut gefallen und könntest vielleicht auch meine Kritik gar nicht nachvollziehen.
      Vielleicht habe ich dann auch zu viel erwartet nach den vielen positiven Äußerungen. Gut ist ja zweifellos, dass Kagge nicht wieder eine Anleitung (eben keinen Wegweiser) zur Stille geschrieben hat, sondern mehr schaut, auf welchen unterschiedlichen Wegen man die Stille erreichen kann.
      Einiges ist aber aus meiner Sicht nicht ganz gut durchdacht. Und dann kommt schnell die Idee, die ich ja auch gehabt habe, dass das Buch eben gerade ganz wunderbar zu einer Zielgruppe passt, jener nämlich u.a., die sich gerade die Stille bei exotischen Reisen und auf Wellness abgestimmten Hotels ganz besonders viel ksoten lässt. Das ist aber vielleicht auch eine zu harsche Kritik. Jedenfalls scheint mir die Auseinandersetzung mit der Stille und ihren verschiedenen Facetten manchmal auch widersprüchlich und nicht richtig durchdacht, manchmal auch ein bisschen ideologisch, so als gebe es keinen anderen Weg zum Glück – oder sagen wir mal: erfülltem Leben.
      Viele Grüße, Claudia

  4. Hmm. Da kommen der Autor und sein Buch nun nicht so ganz positiv weg. Ich hatte in einer Kultursendung ein Interview mit ihm gesehen und war ganz angetan. Eben weil es auch um die Thematik ging, dass wir Menschen uns immer weniger konzentrieren können je mehr Medien wir um uns haben, die uns zerstreuen. Ich merke in meinem Alltag manchmal schon sehr, wie mir Stille fällt, wie schwer es aber auch fällt, Stille auszuhalten: Und vielleicht auch ein Altersphänomen: Mit 18 oder so war es kein Thema in der Disco unterm Lautsprecher rumzuhampeln, heute nerven mich schon die Lkw`s, die auf der Pflasterstraße vor meinem Bürofenster runterrattern. Vielleicht besorge ich mir die Essays dennoch – einfach um still zu lesen.

    Liebe Grüße Birgit

    • Liebe Birgit,
      du solltest die „Stille“ ganz unbedingt selber lesen. Vielleicht stimmst du ja dann mit den vielen anderen positiven Stimmen zu dem Buch überein und meine kritischen Anmerkungen gehen dir zu weit. Eine Annäherung an das Phänomen aus ganz verschiedenen Blickwinkeln ist es allemal. Und meinen „Ideologieverdacht“ (nur wer still ist, kann als Mensch wachsen) siehst du vielleicht gar nicht so.
      Ich denke auch, dass es ein Altersphänomen ist, Stille zu suchen. Ich bin zwar nicht sonderlich häufig in Discos gewesen, habe aber ganz viel Sport gemacht und war immer mit irgendwelchen Mannschaften unterwegs, in Sporthallen, Kneipen und Restaurants. Das könnte ich heute gar nicht mehr ertragen. Viel zu laut, viel zu unruhig, viel zu wenig Zeit für mich. Ich wäre auch mit 20 nicht stundenlang über irgendwelche einsamen Berge gewandert, da mussten schon mindestens ein Ball und viele andere Menschen im Spiel sein, dass ich mich bewege. So ändert sich im Laufe des Lebens schon das Objekt der Begierde ziemlich.
      Und wenn du die „Stille“ liest, dann würde mich schon interessieren, wie sie dir gefällt.
      Viele Grüße, Claudia

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