Alle unter Mittelmeer verschlagworteten Beiträge

Karl-Heinz Ott: Und jeden Morgen das Meer

Wie brüchig eine Existenz sein kann, das erfährt Sonja Bräuning mit über sechzig. Fast geflohen ist sie vom Bodensee nach Wales, ans Ende der Welt, könnte man meinen, dorthin, wo der Blick aufs meistens wild tosende Meer Weite und Grenzenlosigkeit und Ewigkeit verspricht – und die größtmögliche Freiheit, weil sie sich hier Tag für Tag für oder gegen das Leben entscheiden kann. Zu einem Zeitpunkt, zu dem Menschen ihres Alters darüber nachdenken, wie sie die Zeit ohne Arbeitsverpflichtung verbringen wollen, steht Sonja da mit einem in die Jahre gekommenen Hotel, das dringend renoviert werden müsste, und so hohen Schulden, dass die Banken im Ort, deren Vertreter jahrelang bei ihr ein- und ausgegangen sind, ihr kein weiteres Geld mehr leihen. Selbst Arno, ihr Schwager, der in besseren Zeiten mit seinem Bruder und dessen Michelin-Stern geprahlt hat, gewährt ihr keinen Kredit mehr. Er drängt sie aus dem Haus, das früher einmal die Gaststätte seiner Eltern gewesen ist, eines der „bodenständigen“ Häuser, in denen die Sauce zum Braten aus der Tüte kam. Bruno und sie haben Restaurant und …

Reinhard Kleist: Der Traum von Olympia. Die Geschichte von Samia Yusuf Omar

Samias Geschichte ist unglaublich – und dramatisch. Ein Leben, wie es sich kein Autor ausdenkt, der sich nicht den Vorwurf einhandeln möchte, völlig abwegige Geschichten zu schreiben. Ein Leben im Scheinwerferlicht einer Olympiade, das dann doch auf der Flucht über das Mittelmeer nach Europa endet. Samia Yusuf Omar ist Sportlerin gewesen in einem Land, in dem Sport nicht weit entwickelt ist, in dem Sport von Frauen sowieso angefeindet wird. Sie stammt aus Somalia, ist die Tochter einer Obstverkäuferin, die selbst Sportlerin war, der Vater ist tot, wahrscheinlich ein Opfer der Bürgerkriege im Land, das seit den 1990er Jahren keine stabile Regierung mehr hat, sondern aufgeteilt ist zwischen unterschiedlichen Machtinteressen, radikale Islamisten bilden eine davon. Samia aber liebt den Sport und besonders die Leichtathletik. Sie trainierte die Sprintdisziplinen, den 100- und den 200-Meter Lauf. Bei der Olympiade 2008 in Peking marschierte sie mit der kleinen Delegation Somalias stolz ins Stadion, in ihrem 200-Meter-Vorlauf schied sie, zwar mit persönlicher Bestzeit, als letzte Läuferin aus; Veronica Campell-Brown ist alleine im gleichen Vorlauf wie Samia Omar über 10 Sekunden …

Wolfgang Bauer: Über das Meer. Mit Syrern auf der Flucht nach Europa. Eine Reportage

Gerade die vergangene Woche hat uns wieder Beispiele der menschenverachtenden Taten der Schleuserbanden sehr deutlich vor Augen geführt: In Österreich wurde ein Kühltransporter gefunden, in dem über 70 Menschen erstickt sind, auf dem Meer vor Libyen sind wiederum zwei Schiffe mit Flüchtlingen an Bord gekentert. Wer Di Nicolas und Musumecis Bericht, wer Wolfgang Bauers Reportage gelesen hat, wundert sich fast schon mehr darüber, dass solche Funde, dass solche Unglücke auf dem Meer nicht noch viel häufiger passieren. Haben Di Nicola/Musumeci in ihren Recherchen „Bekenntnisse eines Menschenhändlers“ die Arbeitsweisen der Schleuser- und Schmugglernetzwerke, die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und Afrika nach Europa bringen, beschrieben, so zeigt uns Wolfgang Bauer in seiner beeindruckenden Reportage die andere Seite der Flucht, nämlich die traumatischen Erlebnisse der Flüchtlinge. Er hat versucht, zusammen mit dem tschechischen Fotografen Stanislav Krupar, mit syrischen Flüchtlingen im April 2014 aus Ägypten über das Meer nach Italien zu gelangen. Täglich kommen zigtausend Flüchtlinge auf diesem Weg an den Küsten Italiens und Griechenlands an. Welche Erlebnisse sie bis dahin schon hinter sich gebracht haben, können wir …