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Salman Rushdie: Golden House

Erzähler dieser „goldenen Geschichte“ ist René Unterlinden, Sohn eines belgischstämmigen Professorenpaares – die beiden sitzen gerne abends beim Schein ihrer Lampen über ihre Bücher gebeugt – und angehender Filmemacher. René hat gerade sein Studium abgeschlossen und möchte einen Film über seine Nachbarschaft drehen, aber es fehlt ihm der Plot, der seiner Geschichte antreibt und ihr Spannung verleiht. Immer wieder sinniert René über sein Erzählkonzept, fügt Passagen des Filmscripts in die Erzählung ein, ergeht sich in Andeutungen und Bewertungen und macht so den Leser zum Mitwisser – fast wie Frank Underwood es in House of Carts betriebt. Seinen Plan für ein recht ambitioniertes Epos jedenfalls hat René schon zu Beginn formuliert: „Mit der grenzenlosen Ichbezogenheit der Jugend hatte ich begonnen, mir einen großen Film vorzustellen oder einen Filmzyklus im Stil eines Dekalogs, der von Migration handeln sollte, von Transformation, Angst, Gefahr, Rationalität, Romantik, sexueller Umwandlung, der Stadt, von Feigheit und Mut; nicht weniger als ein panoramaartiges Porträt meiner Zeit. Mein bevorzugter Stil sollte etwas sein, das ich für mich Opernhafter Realismus nannte, mein Thema der Konflikt …

Paul Auster: 4 3 2 1

Wie wäre unser Leben wohl verlaufen, wenn eine kleine Facette der äußeren Einflussfaktoren anders gewesen wäre? Oder wenn wir uns an irgendeiner Stelle anders entschieden hätten? Wenn die Eltern sich hätten scheiden lassen, oder wenn sie es eben nicht getan hätten; wenn ein Elternteil nicht so früh gestorben wäre, wenn die Familie in eine andere Stadt gezogen wäre, wenn die finanzielle Situation anders gewesen wäre, wenn die Eltern andere Freunde gehabt oder wir in andere Schulen gegangen wären, wenn wir uns anderen Freunden angeschlossen hätten, uns in andere Menschen verliebt, eine andere Sportart oder einen anderen Sportverein gewählt hätten? Wenn die gesellschaftspolitischen Entwicklungen andere gewesen wären? Wären wir dann ganz andere geworden als die, die wir heute sind? Paul Auster ist in seinem Roman „4 3 2 1“ genau diesen Fragen nachgegangen. Er erzählt uns die Geschichte von Archibald Ferguson, aber nicht nur von einem, sondern gleich von vier. Alle sind sie Enkel Isaac Reznikoffs, der genau am 1.1.1900 in New York an Land gegangen ist. Er kam aus Minsk, hat sich mit ein paar …

Colum McCann: Wie spät ist es jetzt dort, wo du bist?

In drei Erzählungen und einer Novelle erzählt uns Colum McCann von Menschen, die ganz „unerhörte“ Situationen erleben. Es sind die Brüche, die passieren können im Leben, die diesen vier Figuren widerfahren, und die so eine Klammer bilden für die vier Geschichten. Dass drei der Geschichten dann auch noch Formen von Gewalt thematisieren mag eine weitere Klammer sein. Aber so misslich die Lage der Figuren auch jeweils ist, so erweisen sie sich doch als erstaunlich widerständig, als ganz starke und gradlinige Persönlichkeiten, die. Und sie haben die ganz erstaunliche Fähigkeit, uns direkt für sich einzunehmen. Hier erweist sich die große Erzählkunst McCanns, der mit ein paar Sätzen, Federstrichen nachempfunden, Figuren erschafft, mit denen wir mitfühlen und mitleiden, mit denen wir lachen und weinen. In der buchtitelgebenden Erzählung bereitet sich eine Soldatin im winterlich eisigen Afghanistan darauf vor, ihre Geliebte und den Sohn zu Hause in South Carolina anzurufen, um zum Neuen Jahr gratulieren zu können. Sandi hat die Wache draußen im Unterstand alleine übernommen, damit die anderen Soldaten feiern können und sie um Mitternacht Ruhe für …