Monat: Juli 2014

Marlene Streeruwitz: Nachkommen.

Was soll Literatur leisten in Zeiten der wirtschaftlichen Krise? Hat sie eine besondere Aufgabe in einer bedrängenden Situation, die Finanzkrise genannt wird, tatsächlich aber Familien bis zur Mittelschicht in ausweglose Armut stürzt, so als ob ein Krieg herrscht, Reich gegen Arm? Nelia Fehn, die zwanzigjährige Protagonistin dieses Romans, hat die Auswirkungen der Krise in Griechenland besichtigt, sie hat in einer Athener Familie gesehen, wie schnell der wirtschaftliche Abstieg gehen kann, durchaus unter tätiger Mitwirkung von nationaler und internationaler Politik und der Verwaltung: Die Ohnmacht, wie die eigenen Politiker einen morden. Das Schleichende an den Morden. Langsam und stetig. Die himmelschreienden Ungerechtigkeiten. Die Polizei, die den Eliten alles ermöglichte und den Bürgern die Füße zerschlug. (…) Es war eine ungeheure Schnelligkeit in diesem zähen Niedergang. Jede Stufe hinunter. Da blieb gar keine Zeit. Nicht einmal Zeit für wirklich lautes Schreien. Ein kurzer Ausruf und schon der nächste Schmerz. Das ist also mein Leben, musste man da rufen und schon den nächsten Verlust verbuchen und um Luft ringen. (S. 92) Über ihre Reise nach Griechenland hat Nelia …

Heinrich Steinfest: Der Allesforscher

Wale scheinen gerade in der Literatur groß in Mode zu sein. Einmal schwimmt einer titelgebend durch London, einmal strandet einer nach einem Unwetter auf einem Dorfplatz in Island. Auch Heinrich Steinfest setzt in seinem Roman „Der Allesforscher“ auf den Wal. Bei ihm erscheint der Wal in modernen Versionen, trotzdem aber mit deutlichen Bezügen zur biblischen Jonas-Geschichte. Um einen Auftrag scheint es auch hier zu gehen, um ein Überleben – ein Wiedergeborenwerden ?- in stürmischer See und um die Frage nach Schicksal und Zufall. Steinfests Geschichte fängt damit an, dass sein Protagonist Sixten Braun ein Organ eines gestrandeten Wals, der beim Transport durch die Innenstadt von Tainan, einer Stadt im Süden Taiwans, explodiert, so unglücklich an den Kopf bekommt, dass er mit einem Schädel-Hirn-Trauma in einem Krankenhaus landet. Sein Zwei-Tages-Koma wird dort von der deutschen Gehirnspezialistin Dr. Lana Senft fachkundig betreut – und natürlich verliebt sich Sixten beim Erwachen postwendend in sie. Vielleicht passiert dies, so erklärt er es sich, weil sich durch das explosionsartig durch die Luft gesauste und vor seinem Schädel gelandete Walorgan doch …

Zsófia Bán: Als nur die Tiere lebten

„Als nur die Tiere lebten“ ist für die dreijährige Anna der Ausdruck dafür, dass etwas aus einer Welt stammt, in der es noch keine Menschen gab, dass etwas also „sehr lange“ her ist – und dabei ist das Gestern durchaus mit eingeschlossen. Und tatsächlich erzählt Zsófia Bán fünfzehn Geschichten aus verschiedenen Zeiten, von verschiedenen Orten, von verschiedene Menschen und nimmt so den Leser mit in eine Zeit, als nur die Tiere lebten. Da freut sich Maja zum Beispiel schon seit langem auf das Rolling-Stones-Konzert am 18. August 1990 in Prag. Deutlich sichtbar hängen zwei Karten an der Pinnwand, die endlich, endlich den Jugendtraum in Erfüllung gehen lassen, dass es einmal, in einer anderen Welt, auf einem anderen Planeten, einem anderen Sonnensystem ein Stones-Konzert geben wird, das sie besuchen können, und dann werden sie gerettet sein, dann werden sie davongekommen sein. Wie wenn die Titanic mit dem Eisberg kollidiert, und, o Wunder, nicht die Titanic, sondern der Eisberg untergeht. (S. 46) Die andere Welt ist nun da, dafür braucht Maja gar nicht den Planten zu verlassen …

Mukoma wa Ngugi: Nairobi Heat

Ishmael ist Kriminalkommissar in Madison in Wisconsin. Wenn er gefragt wird, warum er Polizist geworden ist, dann erklärt er es damit, dass er ein Rebell sei. Er habe rebelliert gegen den Konformitätszwang, dem sich die Schwarzen unterwerfen, die sich in der amerikanischen Mittelklasse etablieren wollen. Nein, so ein angepasstes, langweiliges Leben, ein Leben als Professor-Roboter mit jährlich gleichen Vorlesungen an einer Universität, das wollte er nicht. Und tatsächlich, als Polizist fühlt er sich mehr als er selbst, als er es sonst hätte sein können. Dabei hat seine Frau ihn genau wegen dieses Berufs verlassen. Nicht, weil er gefährlich ist oder Ishmael ständig Überstunden gemacht hat, sondern weil sie ihn als Verräter sieht, als Verräter gegen seine eigene Rasse, denn Ishmael ermittelte durchaus auch gegen schwarze Kriminelle. Mukoma wa Ngugi skizziert zügig die Gemengelage, in der der Ich-Erzähler Ishmael einen Mord aufklären muss. Es ist die Suche nach der Identität, die Ishmael persönlich umtreibt, es ist seine Suche nach einem Mörder und sein Versprechen, Gerechtigkeit herzustellen. Thema ist aber auch der Rassismus, der im Roman in …

Werkstatt: Aus Holst Noble wird eine rote Celtic-Jacke

So schnell kann es gehen und ein Projekt gerät ins Hintertreffen, wandert auf dem Sofa weiter zur Seite, weggedrängt von den neuen roten Wollknäulen, immer weiter an den Rand, bis es schließlich im großen Strickkorb in der Ecke landet. Dieses schlimme Schicksal hat nun also die Cocoa-farbige Breckon-Jacke ereilt – aus verschiedenen Gründen. Zum einen nervt mich irgendwann diese rechts-links Strickerei, ich mag eigentlich  solche Strukturmuster gar nicht gerne stricken (hätte ich ja eigentlich vorher wissen können). Dann hat mich die Anleitung geärgert – vielleicht lag es aber auch an meinem Unvermögen, mit der amerikanischen Anleitung, obwohl ich davon ja schon einige bewältigt habe. Jedenfalls passen die Musterstreifen des Vorder- und Rückenteils nicht zusammen, wenn ich die Schulternähte schließe. Irgendwo habe ich mich also total verzählt. Und dann der allerwichtigste Grund: Sind die Farben nicht toll? Die schreien doch geradezu danach, sofort in einem mehrfarbigen Muster verstrickt zu werden. Rot und bordeauxrot sind außerdem noch meliert, lila leider nicht, soll aber auch nur als Schmuckband in den Bündchen auftauchen. Es ist wieder einmal Holst-Garn, und …