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Mukoma wa Ngugi: Nairobi Heat

Ngugi_2Ishmael ist Kriminalkommissar in Madison in Wisconsin. Wenn er gefragt wird, warum er Polizist geworden ist, dann erklärt er es damit, dass er ein Rebell sei. Er habe rebelliert gegen den Konformitätszwang, dem sich die Schwarzen unterwerfen, die sich in der amerikanischen Mittelklasse etablieren wollen. Nein, so ein angepasstes, langweiliges Leben, ein Leben als Professor-Roboter mit jährlich gleichen Vorlesungen an einer Universität, das wollte er nicht. Und tatsächlich, als Polizist fühlt er sich mehr als er selbst, als er es sonst hätte sein können. Dabei hat seine Frau ihn genau wegen dieses Berufs verlassen. Nicht, weil er gefährlich ist oder Ishmael ständig Überstunden gemacht hat, sondern weil sie ihn als Verräter sieht, als Verräter gegen seine eigene Rasse, denn Ishmael ermittelte durchaus auch gegen schwarze Kriminelle.

Mukoma wa Ngugi skizziert zügig die Gemengelage, in der der Ich-Erzähler Ishmael einen Mord aufklären muss. Es ist die Suche nach der Identität, die Ishmael persönlich umtreibt, es ist seine Suche nach einem Mörder und sein Versprechen, Gerechtigkeit herzustellen. Thema ist aber auch der Rassismus, der im Roman in seinen verschiedenen Facetten, und durchaus auch neben den ausgetretenen Wegen zwischen Schwarz und Weiß, ausgeleuchtet wird. Und es ist damit letztlich auch die Frage, wer die Deutungshoheit hat über Richtig und Falsch, Gut und Böse. Die rasante und komplexe Geschichte, die Mukoma wa Ngugi uns erzählt, mit immer wieder neuen und überraschenden Wendungen, führt uns bei den Ermittlungen von Wisconsin nach Nairobi und wieder zurück, beschreibt Ausschnitte des verheerenden Völkermords in Ruanda und deckt korrupte, ja mafiöse Praktiken beim Spendensammeln, beim sehr lukrativen Geschäft mit dem schlechten Gewissen, auf.

Die Geschichte beginnt mit dem Auffinden einer jungen ermordeten Frau vor der Tür eines Professors in Maple Bluff, eines wegen seiner besonderen Steuervorteile reichen Vororts von Madison. Die Tote ist sehr weiß – blond, mit weißer Bluse, weißen Strümpfen und Turnschuhen -, der Professor ist schwarz. Er, Joshua Hakizimana, gibt an, die junge Frau noch nie gesehen zu haben, er habe sie vor seiner Haustür gefunden, als er von einem Barbesuch mit Bekannten nach Hause gekommen sei. Und auch wenn Ishmael irgendetwas stört an dem Auftritt Joshuas, so hat der doch einen tadellosen Leumund. Er gilt als Held, weil er während des ruandischen Völkermordes in seiner Schule Flüchtlinge aufgenommen und ihnen Sicherheit gewährt hat, weil er so ein paar tausend Menschen retten konnte. In Kenia unterstützt er nun eine Stiftung, die Spenden sammelt zur Unterstützung der Opfer, die Never Again Foundation, deren offizielles Aushängeschild Joshua mit seiner ganz besonderen Geschichte ist, ein Aushängeschild, mit dem sich Politiker und Hollywood-Stars gerne fotografieren lassen.

Mit diesem Fall, eine tote weiße Frau und ein schwarzer Verdächtiger, stehen Ishmael und sein Chef, der schwarze Polizeichef von Wisconsin, unter besonderem Druck. Der Druck erhöht sich schnell, weil die Ermittler weder den Namen der Toten herausfinden noch irgendeine andere Spur zu ihrem Mörder entdecken können. Ishmael gibt die Geschichte an die Presse, in der Hoffnung, einen Hinweis auf die Identität der toten Frau oder eine Verbindung zwischen ihr und Joshua zu bekommen, doch der Artikel, der von allen großen Zeitungen und Sendern weiter verbreitet wird, schürt nur die sowieso schon bestehenden Rassenprobleme.

Nach wenigen Stunden stand das Mädchen für alles, was gut und was falsch gelaufen war in Amerika. Die Weißen fühlten sich von den Schwarzen umzingelt, während der schwarzen Bevölkerung die Anschuldigungen der weißen Justiz gegen Joshua zu weit gingen. (…) Die Sprecher der Schwarzen (…) tauchten plötzlich aus dem Unterholz auf, um sich mal wieder fünfzehn Minuten in Publicity zu baden, indem sie sich demonstrativ hinter Joshua stellten und ihn zum schwarzen Schindler ernannten. Der Bürgermeister und der Gouverneur garantierten schnelle Ergebnisse – und hofften auf weiße Stimmen, solange sie lebten. Sogar der KuKluxKlan fand neue Anhänger. (S. 24-25)

Erst als Ishmael einen dubiosen Anruf bekommt, den anonymen Hinweis, diese Geschichte ließe sich erst in Nairobi klären, wenn Ishmael dort etwas über die Wahrheit aus der Vergangenheit erfahre, kommt wieder Bewegung in die Ermittlungen. Und so reist Ishmael nach Afrika. Von O, eigentlich David Odhiambo, einem Kollegen bei der keniaischen Polizei, lernt er erst die Genüsse eines warmen Tusker Bieres und gegrillten Fleisches kennen. Dann versuchen sie gemeinsam die Ermittlung aufzunehmen, bei der sie nicht recht wissen, wo sie beginnen sollen. Also werden sie erst einmal dort vorstellig, wo es Verbindungen zu Joshua gibt, in der Hoffnung, auf sich aufmerksam zu machen, sodass der Anrufer Kontakt zu ihnen aufnimmt. Und ganz schnell und unverhofft werden ihre Ermittlungen so gefährlich, dass nur der schnellere Finger an der Pistole ihr Überleben sichert.

Mukoma wa Ngugi hat einen spannenden Krimi geschrieben, in dem nicht nur der Mord an der unbekannten Frau aufgeklärt wird. Er hat aber viel mehr geschrieben, als einen Krimi, in dem es „nur“ um die Lösung eines komplexen und kompliziertenFalles geht, bei dem Ishmael mit ganzem Körpereinsatz ermitteln muss, in dem er die Hintergründe des Mordes Schicht für Schicht aufklärt. Denn der Autor erzählt auch die schon klassische Geschichte eines Helden, der auf eine Mission geschickt wird und nicht nur diese Mission erfüllt, sondern auch selbst geläutert aus dem magischen Wald, hier ist der Wald Afrika, zurückkommt. Ishmael nämlich ist, nicht zuletzt weil seine Frau sich von ihm getrennt hat, selbst auf der Suche danach, wie es in seinem Leben weitergehen könnte. Und so wird die Reise nach Afrika, bei der er in O einen Freund gewinnt und sich in die Sängerin Marlene verliebt, auch eine Reise zu neuen Optionen für seine Zukunft. Und mit O zusammen, später, nach Madison zurückgekehrt, auch alleine, sorgt er dafür, dass die Gerechtigkeit wiederhergestellt wird. Und hier gilt es als Leser aufzupassen, denn zu schnell und bereitwillig folgt man diesem sympathischen Ishmael bei seiner Lösung, ist erleichtert, dass endlich das Böse zu Fall gebracht und fast mit eigenen Mitteln geschlagen wird.

Einmal im Roman wird Ishmael auf seinen Vornamen angesprochen und gefragt, ob er denn auch gegen den weißen Wal kämpfe. Ishmael kontert, er sei nicht Ahab, der auf der Jagd sei, der Ishmael in Moby Dick sei nur der Erzähler der Geschichte. Vielleicht ist dieser Ishmael in „Nairobi Heat“ aber doch derjenige, der, auf verschiedene Weise auch selbst getroffen vom Wal „Rassismus“, mit allen Mitteln den Kampf Gut gegen Böse kämpft, für Gerechtigkeit ohne Ansehen der Hautfarbe und der Rasse. Um dieses Ziel zu erreichen kämpft er nicht blindwütig und ohne Verstand, sondern überlegt genau, wie er das Spiel mitspielen und für seine eigenen Zwecke nutzen kann. Das ist dann eine Gerechtigkeit, die mit dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit nichts mehr zu tun hat – uns Leser aber doch irgendwie zufrieden zurücklässt.

„Fünf Leben gegen eines. (…) Aber besser, die bösen Jungs sterben als die guten“, sagt Ishmael zu O, als sie sich gegen fünf junge Männer zur Wehr setzen mussten, um eine Schülerin aus einer Vergewaltigung zu befreien. Und O antwortet:
„Ishmael, ich oder du, wir sind nicht die Guten. Wir haben einiges richtig und einiges falsch gemacht… Aber Janet ist ein guter Mensch, und sie hat überlebt. Das kann nicht schlecht sein.“

Ishmael und Ol werden weiter ermitteln, als Privatdetektive in Nairobi. Ein zweiter Fall ist schon veröffentlicht, hoffentlich müssen wir nicht zu lange auf die Übersetzung warten.

Mukoma wa Ngugi (2014): Nairobi Heat, Berlin, Transit Buchverlag

12 Kommentare

  1. Crime time bei Claudia, wie schön! Das liest sich spannend und außergewöhnlich! Aber jetzt lüfte mal Du noch ein Rätsel: Wie schaffst Du es denn, zu arbeiten, zu stricken, zu lesen, zu bloggen, den Hund zu bewegen usw. usf…?

    • Liebe Birgit,
      es liegen noch ein paar Krimis auf dem SUB. So ab und zu muss das ja auch mal sein. Und manche Krimis sind ja auch literarisch gut gemacht – wie dieser eben. Und um auf Dein Rätsel zu kommen: in letzer Zeit habe ich es ja kaum geschafft mit dem Bloggen. Nun ist aber unterrichtsfreie Zeit, juchu, und da kann ich auch mal wieder ein bisschen was schreiben. Stricken geht gut beim Fußballgucken, wird also gerade auch mal wieder weniger und die Hunde achten ganz selbstständig darauf, dass sie bespielt werden. Und bei all dem schaffe ich ja auch längst nicht so viele Artikel wie so manche andere Bloggerinnen :-)!
      Viele Grüße, Claudia

      • Das klingt so bestrickend einfach 🙂 Dann bin ich mal gespannt auf weitere Krimis!
        Grüßlis, Birgit

  2. Danke für diese gute Besprechung. Und: der zweite Roman von Mukoma wa Ngugi »Black Star Nairobi wird bereits übersetzt und erscheint Ende Februar 2015. Viele Grüße, Gudrun Fröba

  3. Wie finde ich das denn, dass du gleich die unterrichtsfreie Zeit nutzt, um anderen die Bücherwunschlisten anschwellen zu lassen?! Klingt zu verlockend 🙂 LG, Anna

    • Liebe Anna,
      an Krimis mag ich ja, dass sie oft viel schneller und deutlicher gesellschaftliche, wirtschaftliche und natürlich auch menschliche Abgründe zeigen. Und „Nairobi Heat“ spielt sehr schön die verschiedenen Facetten des Rassismus durch, die Abwertungen auf der einen Seite, das unkritische Zusammenhalten auf der anderen, das Geschäft mit der Scham usw. Und politisch völlig unkorrket, aber sehr deutlich und geradeheraus, wird immer wieder von „schwarz“ und „weiß“ gesprochen. So angetan vom Roman schäme ich mich jedenfalls nicht, Euch dieses Buch auf die Leseliste zu setzen :-)!
      Viele Grüße, Claudia

  4. Liebe Claudia,
    ist ja schade, dass ich nicht stricken kann, das scheint ja die Lösung für alle Zeitprobleme zu sein – ach, oder war es anders rum, man muss Fussball kucken um zu stricken, schade, das klappt mit gleichzeitig lesen natürich nicht so gut, irgendwie gibt es keine einfahe Lösung für dieses Problem…

    Na egal, dieses buch jedenfalls hört sich nach einem interessanten Krimi an – aber ich glaube, im Moment habe ich noch so viel anderes auf der Liste und Krimis sind sowieso nicht unbedingt mein Ding, aber Deine Besprechung hat mir gefallen.
    Liebe Grüsse, Kai

    • Lieber Kai,
      ich kann nur zum Stricken raten, denn Stricken schafft wirklich Zeit, weil man ja neben dem Sticken auf jeden Fall noch etwas Anderes machen kann: Anfänger im Level A gucken Fußball (braucht man nicht so oft zum Fernseher zu schauen), etwas weiter fortgeschtittene Anfänger in Level B können auch schon mal einen Tatort anschauen (muss man ja auch nicht immer so konzentriert hinschauen) oder einem Hörbuch lauschen :-). – Bei Ngugis Krimi sollte man auf jeden Fall die Finger vom Strickzeug lassen, denn da muss man schon genau lesen, damit man alle Entwicklungen der Geschichte mitbekommt. – Und wenn „Nairobi Heat“ es nicht auf deine Liste schafft, dann bin ich auch nicht traurig, denn dann wirst Du mir bestimmt demnächst wieder einen anderen Titel empfehlen. Und über Deine lobenden Worte freue ich mich natürlich auch.
      Viele Grüße, Claudia

  5. Pingback: Sonntagsleserin KW #27/28 – 2014 | buchpost

  6. Das klingt nach einem außergewöhlichen Buch, auf das ich ohne diese schöne Besprechung nie gestoßen wäre. Vielen Dank dafür!

    • Gerne, lieber Uwe. Dann konnte ich mich weigstens einmal etwas zurückgeben für Deine vielen schönen Empfehlungen!
      Viele Grüße, Claudia

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