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Virginie Despantes: Das Leben des Vernon Subutex 3

Vernon Subutex sitzt im Zug von Bordeaux nach Paris. Als die Landschaft beginnt, immer schneller vor seinem Fenster vorbeizuziehen, fällt ihm wieder ein, wie gerne er immer mit dem Zug gefahren ist. Er erinnert sich an die verschiedenen Fahrten mit der Bahn, in den Urlaub oder zu Weihnachtsfeiern, zu Freunden aufs Land oder zu Festivals. Und er fühlt wieder diese ganz besondere Stimmung, die im Zug entsteht, weil alle Passagiere sich in dieser Übergangssituation zwischen zwei Situationen, zwischen zwei Orten befinden und „für ein paar Stunden nicht gestört werden können“. Auch wenn er hier in schönen Erinnerungen schwelgt, der Grund für seine Paris-Reise ist ein ziemlich unangenehmer. Es sind ganz furchtbare Zahnschmerzen, die ihn quälen. „Wenn der kranke Zahn oben den Zahn unten berührte, durchbohrte ein Schwert seinen Körper, der Schmerz riss ihn hoch und zermalmte ihn. Er brüllte, ohne sich beherrschen zu können.“ Kein Mittel hilft, selbst Spülungen mit reinem Alkohol verschaffen nur kurze Erleichterung, Zahnschmerzen und Kater am nächsten Tag sind dann noch unerträglicher. Die Freunde im Camp beginnen zu organisieren. Rufen in …

Virginie Despentes: Das Leben des Vernon Subutex 2

Nun ist Vernon also ganz unten angekommen, als Obdachloser im Norden Paris´. Sein sozialer Abstieg, etwas abgemildert durch seine Freunde und Bekannten, die ihn – mehr oder weniger begeistert – immer wieder für ein paar Tage aufgenommen haben, hat ihn jetzt also auf eine Parkbank verschlagen in der Nähe des Parc Buttes-Chaumont. Und da liegt er nun in den kalten Vorfrühlingstagen, krank und mit hohem Fieber, oft halluziniert er. Und droht selbst hier vertrieben zu werden, weil ein Anderer ihm diesen Platz streitig macht. So also beginnt der zweite Teil der Geschichte Vernon Subutex´, der sich somit nahtlos an die Erzählung des ersten Bandes anschließt. Doch ganz schnell wird deutlich, dass dieser zweite Band in einem ganz anderen Ton erzählt ist als der erste. Hier finden sich nicht mehr die oft kurzen und knappen Sätze, die beim Lesen so eine unheimliche Geschwindigkeit entwickeln, die gespickt sind mit schnodderigen Wendungen, mit abfälligen und beleidigenden, mit Begriffen der Gewalt, des sozialen Abstiegs und des politischen Extremismus, mit Ausdrücken aus dem Drogenmilieu, der Musikszene und dem Börsenparkett und …

Virginie Despentes: Das Leben des Vernon Subutex

Es sind im Moment die französischen Autoren, die die aktuellen und spannenden Geschichten erzählen, die realistischen, die lauten und schrillen Geschichten, die in schönster Selbstverständlichkeit Risse und Brüche in der Gesellschaft ausleuchten und dabei kein Blatt vor den Mund nehmen: Yannick Haenel gehört zu diesem Autoren mit seinem Roman „Die bleichen Füchse“, in dem er seinen erst arbeits- und dann obdachlosen Protagonisten Jean Deichel in die Gesellschaft der Flüchtlinge aus Mali führt, die Gesellschaft der Sans-Papiers, der illegal Eingewanderten, die ein „Manifest der bleichen Füchse“ entwickeln. Oder Shumona Sinha mit „Erschlagt die Armen.“ und einer Protagonistin, die, selbst nach Frankreich eingewandert, bei Asylverfahren ihrer Landsleute dolmetscht und dadurch tiefe Einblicke in die verfahrene Situation des europäischen Asylrechts geben kann und die nun einem Migranten in der Metro eine Flasche Wein über den Kopf geschlagen hat. In diesen Kanon lässt sich auch Virginie Despentes mit ihrem Roman über Vernon Subutex einreihen. Sie verortet ihre Romanhandlung allerdings nicht in den Einwanderungsmilieus und sie gestaltet ihre Geschichte mit einem großen Figurenensemble auch wesentlich vielschichtiger als Haenel und Sinha. …