Heute beantwortet Jacqueline Masuck, Literaturbloggerin und Buchhändlerin im KulturKaufhaus Dussmann in Berlin, meine Fragen zur Longlist und zum Buchpreis.
Die Longlist des Deutschen Buchpreises 2014 ist seit ein paar Wochen bekannt. Sind Sie überrascht von Titeln auf der Liste, vermissen Sie den ein oder anderen Titel oder sind Sie insgesamt zufrieden?
In wenigen Tagen wird bereits die Shortlist veröffentlicht und ich frage mich, warum nicht direkt damit starten? Das funktioniert im Frühling, wenn es um den Preis der Leipziger Buchmesse geht, auch immer sehr gut. 5-7 Titel fände ich super – und dann am Ende den Sieger. Den 20 Titeln der Longlist in dem kurzen Zeitraum angemessen Aufmerksamkeit zu schenken, ist kaum möglich. Weder als Käufer, noch als Buchhändler. Parallel zur Longlist erscheinen außerdem unzählige neue Romane, denen dann noch weniger Aufmerksamkeit geschenkt werden kann.
Ob ich überrascht war von der Liste? Nein, ich war weder überrascht noch zufrieden. Eher enttäuscht. Sie widerspiegelt für mich lediglich eine subjektive Auswahl einer kleinen Gruppe von Jury-Mitgliedern.
Eine große Anzahl der Titel sind vom Frühjahr 2014. Das finde ich wirklich schade!
Es finden sich nur wenige Romane aus dem aktuellen Herbstprogramm – aus einem Programm, das unzählige spannende und wundervoll literarische Romane von Autoren wie Nino Haratischwili, Steven Uhly, Judith W. Taschler, Olga Grjasnowa, Susanne Schädlich, Lisa Kränzler, Kerstin Preiwuß, Regina Scheer, Ricarda Junge und Bodo Kirchhoff vereint. Diese Autoren beispielsweise vermisse ich auf der Liste.
Andreas Platthaus hat in der FAZ zur Longlist gesagt, die Juroren hätten vor allem auf das „Bewährte“ gesetzt, so sei ungewöhnlichen und wagemutigen Projekten kein Platz auf der Longlist eingeräumt worden und es sei auch nur wenig Bereitschaft zu sehen, auch mal den Roman eines unbekannteren, kleineren Verlags zu nominieren. Hat Platthaus mit seiner Einschätzung nicht recht?
Doch, ich stimme Andreas Platthaus unbedingt zu. Auch ich würde gern mehr unabhängige Verlage auf der Liste sehen.
Im Verlag Secession beispielsweise finde ich Uhlys Projekt über Displaced Persons im Europa der 40er und 50er Jahre unglaublich spannend. Sein Roman „Königreich der Dämmerung“ hat mich fasziniert, aufgerüttelt und viele Fragen beantwortet. Ich wünsche dem Roman unzählige Leser.
Genauso ging es mir mit „Das achte Leben“ von Nino Haratischwili – einem Roman, der ein ganzes Jahrhundert in Georgien und der ehemaligen Sowjetunion umspannt. Mit dieser sehr jungen und unglaublich klugen Autorin sowie dem Autor Bodo Kirchhoff hat die Frankfurter Verlagsanstalt gleich zwei Kandidaten, die ich mir bei den Nominierten gewünscht hätte.
Der Deutsche Buchpreis tritt, seinen Leitsätzen zufolge, mit dem Ziel an, „den besten Roman“des Jahres auszeichnen zu wollen. Über einzelne Titel kann man ja lange streiten. Gibt es für Sie bestimmte Kriterien, die den „guten“ Roman, um nicht zu sagen: den „besten“ Roman, ausmachen?
Wenn im Oktober der Deutsche Buchpreis verliehen wird, dann wünsche ich mir als Buchhändlerin, dass dies ein Roman ist, der einen großen Publikumskreis interessiert. Männer und Frauen gleichermaßen. Junge und ältere LeserInnen. Ich möchte als Buchhändlerin zu 100 % hinter dem Roman stehen können und mit Leidenschaft und Begeisterung sagen können, „das ist DER deutsche Roman des Herbstes 2014“.
Aber auch über unsere Grenzen hinweg sollte er Leser in anderen Ländern begeistern. Ich messe diesen Preis gern an dem Kriterium, ob die Story auch einen Leser in Frankreich, Spanien, Japan oder den USA interessieren könnte.
Der Deutsche Buchpreis wird ausgelobt vom Börsenverein des Buchhandels. Steht da nicht, den Kriterien des „guten Romans“ zum Trotz, viel mehr der Verkauf der Bücher im Vordergrund des Interesses? Die Marketingmaschine, die nun angeworfen wird, spricht doch dafür.
Ich glaube, beide Kriterien können gut „Hand in Hand“ gehen. Was ich meine ist, dass wir alle (Autor, Verlag, Buchhändler, …) uns doch nichts so sehr wünschen, als dass „Der gute Roman“ schließlich auch gelesen wird. Die mediale Aufmerksamkeit unterstützt diesen Wunsch.
Wie ist denn Ihre Erfahrung in diesen ersten Tagen dieses Jahres, wie aus den letzten Jahren: Bringt der Buchpreis mit seiner medialen Aufmerksamkeit mehr Kunden in den Buchhandel, werden mehr Bücher verkauft, insbesondere die Titel der Long- und Shortlist, des Gewinners, die auch in jedem Laden an prominenter Stelle ausgestellt werden?
Es gibt ein ganz großes Interesse und ich finde das toll. Die Stimmung ist knisternd und voller Spannung. Sehr beliebt ist neben den Verkaufstischen mit den nominierten Titeln bzw. dem Gewinner im Oktober aber auch das Heft mit den 20 Leseproben, das es für den Kunden umsonst in der Buchhandlung gibt. Was für ein schönes Bild: Leute kommen in den Laden, um sich zu orientieren, zu diskutieren und schließlich zu kaufen.
Wenn man die Abverkäufe der nominierten Titel vergleicht, stellt man fest, dass es einen leichten Anstieg gibt gegenüber der Zeit vor der Nominierung. Ich freue mich über jeden zusätzlich verkauften Roman, egal ob von Stanisic, Nawrat, Poschenrieder oder Klüssendorf.
Mit der Verkündung der Shortlist steigern sich die Abverkäufe erfahrungsgemäß.
Autoren wie Lutz Seiler oder Thomas Hettche hätten meiner Meinung nach aber auch ohne Longlist eine große Aufmerksamkeit bekommen. „Kruso“ und „Pfaueninsel“ sind sowohl inhaltlich als auch sprachlich interessant. Genauso, wie Nino Haratischwilis Roman ohne die Nominierung bereits ein ganz großes Leserinteresse weckt. Weil Presse und Buchhandel „Das achte Leben“ einstimmig für außergewöhnlich und großartig befinden.
Wir haben in der Buchhandlung beispielsweise zusätzlich einen Tisch gestaltet – „Wen wir gern auf der Longlist gesehen hätten“. Diese Aktion hat viel Zuspruch gefunden. Dort liegen neben Haratischwili und Uhly die Romane von Seethaler, Scheer, Grjasnowa, Sander und Kirchhoff.
Der Schriftsteller Michael Lentz hat vor ein paar Jahren gefordert, den Preis sofort abzuschaffen. Er würde die nominierten zwanzig Titel so stark in den Vordergrund stellen, sodass alle nicht nominierten Romane nicht mehr wahrgenommen werden. Mit unserem Blogprojekt tragen wir ja zu genau dieser Sichtweise auch bei. Sehen Sie das auch so kritisch?
Ich denke, man muss nicht gleich den Preis abschaffen. Warum nicht einfach mit Gelassenheit die Longlist anschauen und sich inspirieren lassen. Vielleicht entdeckt man einen Roman, der in der Fülle der Titel untergegangen wäre.
Andererseits werde ich ein Buch, das ich schon im Februar nicht lesen wollte, bestimmt nicht lesen, nur weil es auf der Longlist steht. Ich sehe das ganz entspannt. Und vor allen Dingen sehe ich gern beide Seiten.
Weshalb ich finde, dass der Deutsche Buchpreis unbedingt weiterhin verliehen werden sollte.
Und es sollte über die 20 Titel gesprochen und diskutiert werden (in Presse, Blogs, e.t.c.), ohne übertrieben hohe Bewertungen. Denn auch die Titeln jenseits der Longlist haben unsere ganze Aufmerksamkeit verdient. Ich mag deshalb das Blogprojekt zu Haratischwilis Roman, bei dem ich selbst mitmache, sehr.
Haben Sie einen persönlichen Favoriten auf der Liste?
Nein, momentan habe ich keinen, denn meine Favoriten stehen leider nicht auf der Liste. Das erspart mir eine Menge Aufregung. Ich lasse mich einfach überraschen.
VIelen Dank, liebe Jacqueline, für die Antworten.
„“das ist DER deutsche Roman des Herbstes 2014″.“
Ich glaube, das ist einer der Hauptprobleme des Buchpreises: Einerseits soll er der Preis für zwölf Monate sein, andererseits tauchten in den letzten Jahren schon auf der Longlist oft über 50% Bücher auf, die zwischen Juli und September, also im letzten Viertel des berücksichtigten Zeitraums erschienen sind. Dieses Jahr schafften es ausnahmsweise ein paar Bücher mehr aus dem Frühjahr auf die Longlist, aber immer noch ist der Zeitraum August/September überproportional stark vertreten – offenbar, weil die Verlage sich bemühen, ihre Perlen passend zur Frankfurter Buchmesse in den Handel zu bringen. Vielleicht sollte man wirklich statt dem „besten Roman des Jahres“ den „besten Roman des Herbstes“ küren. Für Leipzig bliebe dann der „beste Roman des Frühlings“. Der Vorschlag, gleich mit der Shortlist anzufangen, passt da auch gut ins Konzept.
Schönes Interview! Ich bin überhaupt ein Fan dieser interessanten Reihe. Spannend, mal zu lesen, wie Persönlichkeiten aus dem Buchhandel das Ganze wahrnehmen.
Hat dies auf masuko13 rebloggt und kommentierte:
Danke, Claudia für die spannenden Fragen und die Motivation, die sich daraus ergab, etwas tiefer nachzudenken über die Longlist des Deutschen Buchpreises. Auch wenn die Shortlist nun da ist … hier das Interview.