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[5 lesen 20] Jonas Lüscher: Frühling der Barbaren

Lüscher_1Preising erzählt eine Geschichte aus Tausendundeiner Nacht, von Palmen, Kamelen und Zelten in einer Oase. Aber Preising erzählt keine erotischen Märchen, um einen Herrscher gnädig zu stimmen, sondern die bemerkenswerte Geschichte seines Urlaubs im „Thousand and One Night Resort“. Dies ist ein Luxushotel in der Wüste, in das ihn sein tunesischer Geschäftspartner, der nicht nur Platinen für das Schweizer Unternehmen Preisings lötet, sondern auch noch einige Hotels zu seinem wohl weitverzweigten Unternehmen zählt, eingeladen hat. Im „Thousand and One Night“ residiert auch eine Hochzeitsgesellschaft aus London. Es sind junge Bankangestellte, die in die tunesische Wüste gereist sind, um eine möglichst romantische, möglichst orientalische, möglichst exotische Hochzeit zu feiern, wollen dabei aber auf keinen Luxus verzichten. So amüsieren sich sechzig bis siebzig Finanzjongleure am Pool:

Junge Leute in ihren späten Zwanzigern und frühen Dreißigern. Laut und selbstsicher. Schlank und durchtrainiert. (…) Wer sich ins Wasser wagte, trug eine jener Badehosen, wie man sie von Fotos kannte, die den jungen JFK am Strand von Martha´s Vineyard zeigten, oder knappe Bikinis, die die flachen Bäuche gut zur Geltung brachten und die Intimrasur rechtfertigen. Selbst nahezu nackt wirkten sie wie in Uniform. (S. 33)

Preising freundet sich mit der Mutter des Bräutigams, mit Pippa, einer Lehrerin, die ebenso gerne liest wie er, und ihrem Mann, Sanford, einem Professor, an. Die Eltern begutachten die Hochzeit ihres Sohnes argwöhnisch, zu groß ist ihnen, die bei ihrer eigenen Hochzeit darauf geachtet haben, möglichst allen bürgerlichen Konventionen zu entgehen, der Pomp, der hier umgesetzt wird. Zweihundertfünfzigtausend Pfund soll der Spaß kosten, berichtet Pippa. Die Eltern der Braut, der Vater Betriebsrat einer Werkzeugfabrik,, die Mutter Hausfrau, seien so erschlagen von ihrer Umgebung, dass sie es kaum aus ihrem Zelt schafften.

In der Nacht, in der die Gesellschaft Hochzeit feiert – hier kommt die Braut nicht in einem Oldtimer vorgefahren, sondern auf einem Kamel, das von einem Tunesier geführt wird, der in einem selbst geschneiderten Tuaregkostüm auftreten muss – kämpft die englische Regierung mit den Konsequenzen ihrer Finanzpolitik. Noch bevor die Hochzeitsgesellschaft zum Frühstück erscheint, verkündet der milchgesichtige britische Premier den Bankrott Großbritanniens.

Und nun sitzt eine gestrandete englische Hochzeitsgesellschaft in 1001-Nacht-Umgebung in der Wüste; die Kosten für die Hochzeit sind, nach der Abwertung des Pfunds, in unermessliche Höhen gestiegenen, die britischen Kreditkarten aber ohnehin gesperrt; und die Hotelbesitzerin, bald selbst auf der Flucht, verweigert jede weitere Leistung. So wird Preising nun Zeuge, was eine Gesellschaft alles auf die Beine stellen kann, wenn sie meint, auf sich selbst gestellt zu sein, welchen Führern sie folgt, wie schnell jeder gesunde Menschenverstand über Bord geworfen, wie schnell die Konventionen, die ein normales Zusammenleben ermöglichen, in den Wind geschlagen werden. Hier scheint nun Barbarei ausgebrochen zu sein.

Lüscher hat seiner nach allen Regeln der Novelle verknappten, nichtsdestotrotz wunderbar komplexen Geschichte von Gründen und Folgen eines Staatsbankrotts die Erklärung des Begriffes „Barbarei“ vorangestellt, wie der Philosoph Franz Borkenau sie formuliert hat:

[Barbarei] ist ein Zustand, in dem viele der Werte der Hochkultur vorhanden sind, aber ohne jede gesellschaftliche und moralische Kohärenz, die eine Vorbedingung für das rationale Funktionieren einer Kultur ist. (S. 5)

Dass die Barbarei ausbricht, als eine Gruppe der Hochzeitsgesellschaft meint, sie müsse nun dem Veteran Quickie folgen – „einem Oberarschloch unter gewöhnlichen Arschlöchern“, wie Sanford meint; einem selbstsicher wirkenden Anführer, wie die verstörten und verunsicherten Derivatehändler meinen – ist sicherlich unstrittig und in seinen Folgen schier unbegreiflich. Schließlich hat Quickie seine Erfahrungen im Irakkrieg gesammelt und weiß genau, was zu tun ist, wenn es gilt, das Überleben zu sichern.

Aber – lebt die Gesellschaft nicht schon eine ganze Weile in der Barbarei? Sind nicht schon bei Preisings Reise durch Tunesien, sogar schon bei der Darstellung der Verhältnisse in seinem Unternehmen in der Schweiz, Anzeichen dafür zu identifizieren, dass unter dem weichen Mantel des guten Verhaltens keine Moral herrscht? Kinderarbeit, so wird Preising überzeugend erklärt, sei ja nicht auf jeden Fall ein Problem, und dass die tunesische Landbevölkerung nur dann dort bleiben kann, wo sie schon seit Jahrhunderten lebt, wenn sie sich nahtlos ins folkloristische Programm für Touristen einpasst, kann Preising auch immer wieder beobachten. Und so scheint zu gelten:

Wo das Geld ist, ist die Wahrheit. (…) Denn wenn James recht hatte (…), dann sei die Problematik der sich seit den Tagen Margaret Thatchers immer weiter öffnenden Einkommensschere nicht nur eine der ungleichen Verteilung von Geld, sondern auch eine der ungleichen Verteilung von Wahrheit. (64-65)

Die Protagonisten in diesem Konflikt zwischen Moral und Geld zeigt und demaskiert Lüscher in diesem Mikrokosmos in der tunesischen Wüste: Preising, der Vertreter der Old Economy, des Bereichs der Gesellschaft, der immerhin noch ein Objekt produziert, ist geckenhaft gekleidet ist und gefällt sich in seiner altväterlicher Sprache. Er lässt sich zum neutralen Beobachter seiner Umwelt degradieren und hat viele Gründe, warum er keine Entscheidung treffen kann. Pippa und Sanford, die linken Intellektuellen, träumen vielleicht von Macht und Einfluss, erfreuen sich sonst aber mehr daran, ihre eigene Zufriedenheit zu gestalten. Dem gegenüber stehen die obszönen Gehälter ihrer Kinder, die im Finanzbereich arbeiten, aber im Prinzip keinerlei gesellschaftlichen Wert erstellen, dafür aber die Spielregeln des Zusammenlebens bestimmen. Der Arbeiter, der Betriebsrat, die tunesische Landbevölkerung, Kinder – sie alle haben nichts (mehr) zu sagen. Das ist Barbarei im Sinne Borkenaus, lange bevor es nach der Staatspleite zu den chaotischen Zuständen am Pool kommt. Und so hat Jonas Lüscher mit seiner Erzählung aus der Wüste eine Parabel unserer modernen Gesellschaft geschaffen, eine Beschreibung der Handlungs- und Verantwortungslosigkeit wichtiger sozialer Gruppen und Institutionen.

Scheherazade hat ihre Geschichten aus Tausendundeiner Nacht erzählt, nicht nur, um Nacht für Nacht ihr Leben zu erhalten, sondern auch, um ihren Mann, den persischen König Schahrayâr, zu überzeugen, nicht weiter barbarisch vorzugehen und jeden Morgen, nach der Hochzeitsnacht, seine Frau zu töten. Sie ist mir ihren Geschichten nach Tausendundeiner Nacht erfolgreich gewesen. Ob Preising mit seiner Geschichte einen ähnlichen Erfolg hat, ist angesichts der aktuellen Situation doch unwahrscheinlich.

Ob Preisings Geschichte wahr ist oder eine Schnurre, wie die vom üblichen Hochzeitsmahl der Tunesier, bleibt unklar; ebenfalls, ob Preising mit der Geschichte sein Leben retten kann. Der Icherzähler, dem Preising seine Geschichte beim Spaziergang im Garten der psychiatrischen Klinik erzählt, sieht jedenfalls nicht, wozu Preisings Geschichte taugen soll:

Und was hat er damit bewiesen? Mit dieser traurigen Geschichte voller tragischer Zufälle? Einer Geschichte, aus der sich nichts lernen ließ. (S. 125)

Umso mehr ist zu hoffen, dass Lüschers Novelle noch viele Leser findet, die doch etwas lernen können, indem die Komplexität unserer Realität durch die Erzählung wenigstens ihnen (be-)greifbar wird. Ein Platz auf der Shortlist des Bücherpreises wäre insofern schon einmal ein guter Schritt.

Lüscher liest hier aus seinem Text und bei libroskop könnt Ihr Tobias Lindemanns Interview mit ihm anhören.

Weitere Rezensionen sind zu finden bei literaturen und buzzalsdrins Büchern.

Jonas Lüscher (2013): Frühling der Barbaren, München, C. H. Beck

17 Kommentare

  1. Liebe Claudia,

    danke deiner lesenswerten Rezension konnte ich noch einmal abtauchen in diese ungewöhnliche Geschichte. Ich habe die Novelle von Lüscher sehr gerne gelesen, der bohrendste Kritikpunkte war jedoch die Kürze – in der Kürze liegt die Würze stimmt sicherlich häufig, in diesem Fall hätte mir jedoch gerne noch ein paar Seiten mehr gewünscht. Der eigentliche Höhepunkt des Romans kommt für mein Empfinden so spät, dass er beinahe schon untergeht – für die „Eskalation“, die auf so vielen Seiten vorbereitet wird, hätte ich mir aber ruhig ein paar Seiten mehr gewünscht. Ansonsten schließe ich mich aber an: Jonas Lüscher hat mit dem Stoff, dem er sich widmet, in der Tat einen Platz auf der Shortlist verdient. In meinen Augen hat er vor allem diesen dünnen Faden, der alles zusammenhält und schneller reißen kann, als man sich das vorstellen, beeindruckend beschrieben.

    Liebe Grüße
    Mara

    • Liebe Mara,
      Deiner Besprechung ist ja mein großes Interesse an dieser Novelle überhaupt erst zu verdanken, Sophies Rezension ist mir irgendwie „damals“ völlig durch die Lappen gegangen.
      Vielleicht ist dein Einwand, die Eskalation sei zu kurz und die Geschichte davor im Verhältnis zu lang, ja eine schöne Begründung meiner These, dass nicht erst die abartigen Ausschreitungen am Pool Zeichen der Barbarei sind, sonden sich auch in allen möglichen anderen Erlebnissen und Begebenheiten Barberei zeigt – und auch die Verantwortungslosigkeit wichtiger gesellschaftlicher Schichten. Nicht nur Preising entscheidet sich für nichts, auch Sanford, immerhin Repräsentant der intellektuellen Klasse, schafft kaum mehr als den kleinen, naiv-kindlichen Widerstand gegen die „Autoritäten“ und verkennt dabei völlig die Gefährlichkeit der Situation (Exkursion in die Wüste und Gefahr des Kidnappings). So wird ja ein Versagen weiter Teile der Gesellschaft sichtbar.
      Mal schauen, ob die „Barbaren“ es auf die Shortlist schaffen. Ich finde: auf jeden Fall.
      Viele Grüße, Claudia

  2. Uuh, erste Shortlist-Kandidaten werden ausgerufen.

    An mir ist dieses Buch aus irgendeinem Grund vollkommen vorbeigegangen, sowohl damals beim Durchblättern der Vorschauen als auch später bei den ersten Besprechungen. Vielleicht ist es das Cover, das mich nicht so recht begeistern kann, vielleicht der Titel, unter dem ich mir wohl irgendetwas Historisches (wie kurz gedacht!) vorgestellt habe, vielleicht ist auch der Klappentext nicht sonderlich ansprechend. Ich weiß es nicht.

    Was ich aber weiß, ist, dass die Novelle so, wie du sie darstellst, sehr spannend klingt: Diese Frage nach dem Abgrund, der sich hinter der Fassade auftut, sobald man des normativen Rahmens beraubt ist, finde ich sehr reizvoll. Wozu ist der Mensch fähig, wenn er sein Handeln nicht mehr reguliert wird und die Bedeutung von Schuld und Unschuld außer Kraft gesetzt ist? (Zumindest habe ich deiner Rezension entnommen, dass es um Fragen wie diese geht.) Auch wenn die Ausgangssituation eine ganz andere ist, so erinnert mich diese Geschichte doch ein bisschen an den Film Das Experiment, dessen Protagonisten ja auch jegliches Gefühl für menschliches Miteinander abhandenkommt, weil sie (so ihr Irrglaube) keine Bestrafung zu befürchten haben. Oder besser noch: William Goldings Lord of the Flies. Aber vielleicht greife ich auch daneben mit meinen Vergleichen, ich weiß ja gar, inwiefern die Situation dort in der Wüste eskaliert.

    Jedenfalls habe ich nicht wenig Lust, das herauszufinden. Vielleicht knüpfe ich mir das Buch mal vor, sobald ich meinen eigenen vier Longlist-Kandidaten durch habe.

    Herzliche Grüße,
    caterina

    • Liebe Caterina,
      ich musste erst ein bisschen über Deine Assoziationen nachdenken. „Lord of the Flies“ kenne ich nicht, das „Experiment“ schon. Und den Kontext, den Du hier herstelltst, finde ich sehr interessant. Lüscher hat seine Figuren zwar nicht absichtlich in eine bestimmte Situation geworfen, in der sie entscheiden und handeln müssen, so wie beim Experiment, aber dadurch, dass sie quasi in der Wüste Tunesiens hängen bleiben, ohne Geld, ohne Kreditkarte, ohne die Unterstützung des Hotels, kommen die Hochzeitsgäste schon in eine ganz herausfordernde Situation. Und hier zeigt sich, dass es verschiedene „Lösungsansätze“ gibt. Es ist zwar die eine, sehr gewalttätige „Lösung“, die mit den Ereignissen im „Experiment“ verglichen werden kann, und die unter der Führung des Veteranen geschieht. Andere Hochzeitsgäste finden aber auch andere Möglichkeiten, sich an die neue Situation anzupassen, sie lassen sich nicht von Quickie mitreißen.
      Insofern stimmt völlig, was Du schreibst, dass in Lüschers Novelle besichtigt werden kann, was passiert, wenn der normative Rahmen entfällt.
      Wobei ich ja finde, und vehement dafür werbe, dass auch schon vor dem Staatsbankrott Ansätz der Barberei zu finden sind, weil auch vorher schon manche Normen für mache Menschen nicht gelten. Rücksichtslosigkeit, Egoismus, Gier gibt es auch in vielen anderen Begebenheiten, die uns Preising (so ein schöner Name, im englischen hätte er gleich die passende Bedeutung!) erzählt.
      Ja, und deshalb lohnt es sich, die Novelle zu lesen, und deshalb habe ich mich zu meinem Shortlist-Wunsch hinreißen lassen
      Viele Grüße, Claudia

  3. Liebe Claudia,

    das ist doch eine richtig tolle Rezension geworden! (…wo du dir doch noch Sorgen darum gemacht hattest!) Für mich ist Lüscher einer der Favoriten, ich habe das Buch im Februar ganz begeistert verschlungen, empfand es zunächst als viel zu kurz für diese herrliche Sprache und präzise Darstellung, war aber dann der Meinung, dass es gar nicht anders hätte geschrieben werden dürfen und können. Wirklich ein ganz hervorragendes Buch, das durch deine Rezension völlig zu Recht und in Gänze zutreffend gewürdigt worden ist!

    • Liebe Sophie,
      vielen, vielen Dank für Dein Lob! Es hat halt schon eine ganze Weile und einige Hundespaziergänge gedauert, bis ich den Aufhänger und die Struktur für die Besprechung hatte. Aber Du hast ja auch so Deine schönen Einstiegsideen…
      Caterina hat ja ein wenig zur Vorsicht geraten :-), wegen meiner Forderung, dass Lüscher auf die Shortlist soll. Da bin ich nun sehr froh, in Dir eine Mitstreiterin für die gute Sache zu haben. Die Novelle ist wirklich alles in allem, in Inhalt, Spanungsbogen, Form und Sprache super gelungen und wirkt in mir auch immer noch nach.
      Viele Grüße, Claudia

  4. Pingback: 5 lesen 20 Romane der Longlist – Deutscher Buchpreis 2013 » Atalantes Historien

  5. Hallo Claudia, die ganze Finanzkrisenthematik in Literatur gepackt erzeugt, ganz ehrlich gesagt, in mir eher großes Gähnen. Vor drei Jahren haben ich Magnussons „Das war ich nicht gelesen, der auch auf der Longlist stand, und konnte mich im Gegensatz zu vielen anderen, mit denen ich darüber diskutiert habe, nicht begeistern. Wahrscheinlich bin ich einfach überdrüssig an dem Geschachere und Gezetere der Dagobert Ducks dieser Welt.
    Aber Deine Ausführungen zu Lüschers Roman klingen doch sehr spannend, und Caterinas
    Vergleiche ebenso. Ich werde aufs Taschenbuch warten und es mit meiner Diskussionsrunde lesen.

    • Liebe Atalante,
      mit Magnussons „Das war ich nicht“ konnte ich auch rein nichts anfangen, es stand wieder einmal – einige Romane mit dieser Ausgangsstellung folgten dann noch – der Einzeltäter im Fokus, der einfach mal an allen möglichen Sicherungen der Banken vorbei einen Riesencrash hinlegt, aus ziemlich niedrigen Beweggründen. Wenn das die Erklärung für die Finankrise sein soll, finde ich das ganz schwach. Die spannendsten Passagen sind für mich diejenigen gewesen, die die Reise nach Hasslinghausen-Sprockhövel erzählten, die ich sehr gut nachfahren konnte, bis vor die Haustür. Das war gut und richtig recherchiert:-).
      Da spielt Lüschers Novelle schon in einer ganz anderen Liga, da hier zum einen das Erzählkonzept Scheherazades (die Erklärungskraft der Erzählung) wiederholt wird, das ist ja auch Lüschers Promotionsthema, zum anderen die gesellschaftlichen Verhältnisse auch über durchgeknallte Banker hinaus beschrieben werden. Und das betrifft uns ja alle, denn Banker und Politiker handeln nicht in einem luftleeren Raum, sondern in einer ganz bestimmten gesellschaftlichen Atmosphäre.
      Ich finde Romane über diesen gesellschaftlichen und wirtchaftlichen Kontext sehr spannend, komme aber auch aus dem wirtschaftlichen Bereich, was meine Vorliebe vielleicht erkklärt. Und mir persönlich fehlen ja auch noch die Romane über die Verfasstheit der vielen, vielen Angestellten in den Büros, die durch Zielvorgaben, ewiges Chanegmanagement und weitere Instrumente des Wirtschaften ordentlich Druck bekommen. Dazu gibt es noch gar keine literarische Umsetzung, wahrscheinlich, weil kein Schriftstller so eine Welt erlebt. Ich finde dieen Themenbereich unheimlich spannend.
      Ich kann aber auch verstehen, dass man dieses Themas überdrüssig werden kann, Leben besteht schließlich nicht nur aus Wirtschaft und Arbeit, sondern bietet noch viele weitere spannende (Konflikt-)Facetten für viele spannende Romane. Man denke nur an die Liebe…
      Viele Grüße, Claudia

      • Ich klinke mich hier mal zum Thema „Finanzkrisenroman“ ein: Sascha Rehs Gibraltar fand ich in der Hinsicht sehr überzeugend. Du hattest es ja bereits im Blick, nicht wahr, Claudia?

        Liebe Grüße, caterina

      • Ja genau, „Gibraltar“ ist da schon einen guten Schritt weiter und macht serh schön deutlich, dass der vermeintliche Einzeltäter – oder Einzelzocker – dedeckt wird vom gesamten System, dann aber, wenn es schief geht, doch wieder als Einzeltäter dargestellt wird. Es kommt mir so vor wie beim Dopen: alle wissen Bescheid, alle helfen tatkräftig, aber wenn etwas auffliegt, dann ist immer nur der einzelne Sporter schuldig, die arme verirrte Seele, die nicht weiß, wie man sich richtig verhält. Wahrscheinlich wird es ja noch weitere Titel zum Thema geben, man sieht ja schon an der Longlist, dass die Finanzkrise hier und da, wenn auch am Rande, thematisiert wird, in Kehlmanns Roman z.B. gibt es ja auch einen Menschen, der im Bankwesen sein Unwesen treibt.
        Viele Grüße, Claudia

  6. skyaboveoldblueplace sagt

    Liebe Claudia,
    ich habe das Buch wohl so ähnlich gelesen, wie Du – und es hat mir auch ausnehmend gut gefallen. Nicht nur deshalb finde ich Deine Besprechung nausgesprochen treffend und sie hat mir das Buch noch einmal auf schöne Weise ins Gedächtnis gerufen.
    Mir hat es übrigens besonders die in meinen Augen wirklich grossartige Umsetzung des Themas in die gar nicht so einfache Form der Novelle angetan.
    Liebe Grüsse, Kai

    • Lieber Kai,
      vielen Dank für Dein nettes Feedback! Es stimmt, die Gattung der Novelle ist toll umgesetzt, ich glaube, wenn man sie sich noch einnmal anschaut, nach dem eiligen und neugierigen Lesen des ersten Mals, wird man sehen, dass jeder Satz stimmt und, knapp und präzise formuliert ist und der Spannungsbogen über ein fünfgliedriges Schema auch umgesetzt wird. Und es gefällt mir ganz beonders gut, dass Lüscher hier so viel Gutes tut für die Erschließung von Wirklichkeit über die Erzählung, das ist ein ganz wunderbarer Kontrapunkt zu der gerade so üblichen Erschließung der Wirklichkeit über Zahlen (war ja gestern Abend zu Beginn des Rededuels (ja, ich ich habe Deinen Beitrag gelesen!) ja auch ein großes Thema: Wer hat die Deutungshoheit über welche Zahlen?). Deshalb finde ich Lüschers Text auf so vielen Ebenen so interessant, ja, deshalb hat der Text es mit auch „so angetan“.
      Viele Grüße, Claudia

  7. tobiaslindemann sagt

    Hallo Claudia, hat mich gefreut, Deine ausführliche Rezension hier zu finden. Für mich ist „Frühling der Barbaren“ auf jeden Fall ein Shortlist-Kandidat. Ich habe Jonas Lüscher vor kurzem beim Poetenfest Erlangen interviewt, den Audiobeitrag dazu gibt es auf meinem Blog. Herzliche Grüße, Tobias

    • Hallo Tobias,
      ich habe Dein Interview mit Jonas Lüscher unterhalb meines Beitrages verlinkt.
      Dann werden wir nun gesapnnt auf morgen warten und schauen, ob die „Barbaren“ es auf die Shortlist schaffen. Ich drücke jedenfalls die Daumen.
      Viele Grüße, Claudia

  8. Ich habe dieses Buch ja ganz gegen meine Gewohnheit sehr langsam gelesen – immer beim Fußballtraining meines Kleinen am Handy. Hört sich vielleicht schräg an, ABER… da ich dadurch auch immer wieder einige Seiten zurückgeblättert habe, um den richtigen Einstieg wieder zu finden, hat es mich erst recht angesprochen, und ich habe viele Erzählelemente gefunden, die zB auch Sebald verwendet (den er im Buch dann ja auch explizit als Lektüre nennt).
    Die Eskalation an sich hätte für mich ruhig kürzer ausfallen dürfen – dieses unerhörte Ereignis und die sich überschlagende Handlung, das schätze ich immer sehr viel weniger als die Ruhe vor dem Sturm.

    In gewisser Weise hat er mich mit seiner Erzählung auch an Stefan Zweig erinnert, an seinen „Amokläufer“. Warum genau, könnte ich gar nicht benennen. Jedenfalls eine Novelle, die ich ausgesprochen gerne gelesen habe, auch sprachlich hat sie mich sehr angesprochen. Den Autor werde ich auf jeden Fall im Auge behalten!

    • Hallo Daniela,
      erst einmal: herzlich willkommen auf dem grauen Sofa :-)!
      Auf dem Handy zu lesen stelle ich mir ja äußerst anstrengend vor. Aber wenn es dem Lesegnuss keinen Abbruch tut, warum nicht. Und schön, dass Du die „Barbaren“ mochtest. Ich finde ja schade, dass die Novelle beim Buchpreis nicht in die nächste Runde gekommen ist. Müssen wir halt bei den Blogs ein bisschen Öffentlichkeitsarbeit betreiben und – genau wie Du – werde ich auch gespannt schauen, was als nächtes von Jonas Lüscher herauskommt.
      Viele Grüße, Claudia

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