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Tobias Wenzel, Carolin Seeliger: Was ich mich immer schon fragen wollte. 77 Schriftsteller im Selbstgespräch

Wenzel_1Tobias Wenzel ist Journalist und hat schon viele Schriftsteller interviewt. Und dabei ist ihm die Idee zu einem Experiment gekommen, das so geht: Kurz bevor Carolin Seeliger, die Fotografin, hinter dem Tuch ihres Plattenfotoapparates verschwindet, bekommen die von ihr fotografierten Schriftsteller die Aufgabe, sich während des Fotografierens eine Frage auszudenken, die sie sich immer schon einmal gern stellen wollten und die sie nach dem Fotografieren dann auch im Selbstgespräch beantworten sollen. Nun sitzen sie ganz ruhig, damit auch keine Verwacklungen entstehen, vor der Kamera und grübeln gleichzeitig über diese eine wichtige Frage.

Und das Experiment wirkt tatsächlich ganz wunderbar und gleich auf mehrern Ebenen:

Zum einen sind bei diesem Fotoshooting mit der fast altertümlich wirkenden Technik, ganz intensive Porträts der 77 Schriftsteller herausgekommen. Sie alle schauen geradewegs in die Kamera und der Fokus liegt auf der Augenpartie, die scharf ist, während alle Bereiche des Gesichtes, die weiter vorne und weiter hinter den Augen liegen, unscharf werden. Dass der Blickkontakt, der unverstellte Blick auf die Augen, eine ganz wichtige Funktion beim Gespräch hat, wird spätestens dann klar, wenn man auf die Seite Paul Austers blättert. Er hat sich dem Experiment mehrfach verweigert. Erst der Überredungskunst seiner Frau Siri Hustvedt ist es zu verdanken, dass er sich doch darauf eingelassen hat – aber halbherzig oder auch: sich schützend, denn er hat die Sonnenbrille beim Porträt aufgelassen und so geht beim Blick in sein gesicht ganz viel Nähe verloren. Die meisten der Porträtierten schauen übrigens ganz ernst in die Kamera, denn sie müssen sich konzentrieren, zum einen auf den ruhigen Blick, zum anderen auf die Frage, die sie sich noch ausdenken müssen. So sind schon einmal – erster Teil des Experimentes – ganz besondere Fotos herausgekommen.

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 Der zweite Teil des Experimentes besteht aus dem Nachdenken über die Frage und deren Beantwortung. Tobias Wenzel hat diese Idee schon während seiner anderen Interviews immer mal wieder genutzt. Er dachte, dass die Aufforderung, eine eigene Frage zu entwickeln, die dann im Selbstgespräch beantwortet wird, zu überraschenden Ergebnissen führen kann, weil vielleicht Fragen gestellt werden, die sich ein Interviewer nie trauen würde zu fragen, weil, indem der Befragte sich Frage und Antwort ausdenkt, er ehrlicher und offener ist, als er es je wäre, wenn ein Journalist ihn fragt. Dass die Situation, eine eigene Frage zu entwickeln, durchaus für den Betroffenen ihre Tücken hat, schildert William Boyd sehr anschaulich:

Äußerlich starr, da man sich mächtig Mühe gibt, absolut stillzustehen (gar nicht so einfach, wie es klingt), innerlich in Aufruhr, da man sich fragt, welche Frage eine halbwegs brauchbare Antwort zu ergäbe. Wie soll man es angehen. Lässig oder tiefschürfend? Konkret oder allgemein? Soll man aufrichtig sein oder lieber ein schlaues Versteckspiel bieten? Eine knappe aphoristische Sentenz oder ein wortreiches Bekenntnis? (S. 10)

Diese von Boyd beschriebenen Lösungsansätze sind alle zu finden in diesem Buch der besonderen Selbstporträts: die lässigen, die lustigen, die von der eigenen Person ablenkenden, die die Situation auf den Arm nehmenden Fragen.

Herr Parks, welches Buch hätten Sie gern geschrieben? Ich hätte gerne „Das Sakrileg“ von Dan Brown geschrieben. Aber unter einem Pseudonym. (Tim Parks, S. 69)

 Aber, und das ist wirklich spannend an diesem Projekt, die meisten Interviewten haben sich für die tiefschürfende, die ernste Variante der Fragen entschieden. Tatsächlich kreisen die meisten Fragen, die die Schriftsteller sich für ihr Selbstinterview stellen, um die Themen des Schreibens und des Glaubens, zum Teil kombinieren sie dies auch.

Nicole (Krauss), warum in aller Welt schreibst du immer noch?

Antonio Lobo Antunes, glaubst Du an ein Leben vor dem Tod?

Herr Hein, gibt es einen Text, den Sie nie schreiben würden?

Javier (Marias), sag mir, warum schreibst Du immer noch Romane?

Herr Zarev, meinen Sie, dass die menschliche Kreativität, in Ihrem Fall das Schreiben, eine Einmischung in die Schöpfung, in die Werke Gottes ist?

Frank McCourt, glaubst du an Gott?

So entstehen sehr ernste und sehr persönliche Antworten, sehr ungewöhnliche und unerwartete, lange und kurze, spanndende, aber nie langweilige.

Und blättert man durch das Buch, schaut die Porträts auf der linken Seite an, liest die Frage und die Antwort auf der rechten Seite, so entsteht ein ganz eigenartiger Sog: Denn durch die Art der Fotografie, durch das Betonen der Augen, nimmt man als Leser selbst ganz intensiven Blickkontakt zu den Fotografierten auf, gerade so, als würde man ihnen am Tisch gegenübersitzen, mit ihnen ins Gespräch vertieft. Gerade so, als hätte man selbst die Frage gestellt und bekäme nun dazu die Antwort. Und das ist die dritte Ebene des Experimentes, die nun auch den Leser mit einbezieht, ihn fast aktiv an dem Prozess teilhaben lässt.

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Tobias Wenzel und Carolin Seeliger haben hier eine ungewöhnliche Idee in ein tolles Buch umgesetzt, dem der Leser eigentlich nur gerecht werden kann, wenn er es immer mal wieder zur Hand nimmt und immer mal wieder schaut und liest und nachdenkt über Frage und Antwort.

 Aufmerksam und neugierig auf dieses Buch hat mich buzzaldrins Blog gemacht.

Und wer die Fragen und Antworten der Autoren selbst hören möchte, wird hier fündig.

 Tobias Wenzel, Carolin Seeliger (2008): Was ich mich immer schon fragen wollte. 77 Schriftsteller im Selbstgspräch, Bern, Benteli Verlag

4 Kommentare

    • Ich kann fast nur mit einem (geklauten) Appell antworten: „Lesen!“ 🙂
      Viele Grüße, Claudia

  1. Oh toll, dass du das Buch nun auch gelesen und durchgeblättert hast! 🙂 Mir hat diese simple aber umso mehr beeindruckende Idee ausgesprochen gut gefallen. Übrigens schön, dass du das Bild von Paul Auster zeigst – dabei muss ich immer an die Geschichten rund um das schwierige Treffen mit ihm denken, von dem die Fotografin und der Journalist berichten.

    • Liebe Mara,
      Paul Auster mit seiner Sonnenbrille, aber auch seinem Selbstgespräch, fällt ja auch wirklich aus dem Rahmen!
      Mir gefällt das Buch auch wirklich ziemlich gut und ich bin froh, dss Du es auf Deinem Blog vorgestellt hast, denn, da es ja schon vor ein paar Jahren erschienen ist, wäre es mir sonst niemals zugelaufen. Und es ist so schön, dass es einen Platz in Griffnähe des Leseplatzes erhalten muss, damit man wirklich immer mal wieder hineinschaut.
      Viele Grüße, Claudia

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