Die Digitalisierung ist in aller Munde. Wir streamen Musik und Videos, lesen und lernen online, kommunizieren auf digitalen Plattformen. Wir lassen unsere Schritte zählen, haben jederzeit unseren Puls im Blick und vermessen sogar Länge und Qualität unseres Schlafes. Elektronische Rezeptbücher inspirieren uns zum nächsten Gericht, Apps verraten uns die billigsten Tankstellen in der Nähe und unsere Wohnungen und Häuser werden vermeintlich intelligent – so das interessanteVersprechen der Werbung -, wenn wir beim Einbruch live per SMS dabei sein können, wenn wir schon auf der heimfahrt die Heizung einstellen oder per Sprachsteuerung das Licht dimmen können.
Von der Schule 4.0 ist allerorts zu lesen – frei nach dem Motto: je digitaler, umso besser die Bildung -, denn der Digitalpakt der Bundesregierung ermöglicht den Ausbau der technischen Infrastruktur der Schulen. Lehrer haben in Zukunft kein Papier mehr in der Tasche, dafür Laptop oder Tablet. Sie unterrichten mit Erklärfilmen, Youtube-Videos und bunten Apps. So werden Schülerinnen und Schüler zum Lernen bei ihren vermeintlichen Digitalkompetenzen abgeholt und bekommen durch Tests, die sich zeitsparend automatisch auswerten lassen, immer wieder ein Feedback über ihren Lernstand. Und die Eltern sind jederzeit via Datenbank über die Leistung ihrer Sprösslinge informiert.
Nach der dritten industriellen Revolution, die den Einsatz von Elektronik und Informationstechnologie beschreibt, wird uns nun eine Industrie 4.0 angekündigt. Alle Prozesse in Unternehmen sollen digitalisiert, alle Beteiligten miteinander vernetzt werden: Mitarbeiter und Maschinen und Sensoren und Produkte. 3-D-Drucker fertigen Maschinenteile und Werkzeuge – auch wunderbar filigrane Schokoladenkreationen auf Kuchen – standardisierbare Dienstleistungsprozesse werden digital aufgesetzt, sodass die Kunden sie selber durchlaufen können. In der Folge bekommen die Themen Datensicherheit und Datenschutz eine immer größere Bedeutung.
Auch auf diesem Gebiet ist die Bundesregierung nicht untätig, sondern hat die Strategie „Digitaler Wandel“ auf den Weg gebracht. Und mit Dorothee Bär eine Staatsministerin implementiert, die die Digitalisierung vorantreiben soll. Die sitzt wahrscheinlich immer noch daran, die in den ersten Tagen ihres Amtsantritts vorgestellte Idee für Flugtaxis zur Entlastung der Verkehre in den Großstädten endgültig fertigzustellen.
Wer sich noch an die Fantastereien rund um die New Economy vor ungefähr zwanzig Jahren erinnert, dem wird die eine oder andere in Politik, Medien und Unternehmen, durch Vertriebler oder im Freundeskreis vorgestellte digitale Zukunftsprojektion ähnlich aufgeplustert und übertrieben vorkommen. Trotzdem lässt sich wohl – bei aller Ironie, die sich beim Blick auf das Begriffsgeklapper unmittelbar einstellt – nicht leugnen, dass unsere Alltags- und Berufswelt immer mehr von digitalen Leistungen durchdrungen, immer mehr Prozesse elektronisch abgebildet werden.
Und so stellt sich die Frage, wie die Literatur mit diesen Entwicklungen umgeht? Wie betrachten die zeitgenössischen Erzählungen diese Prozesse, welchen Blick werfen sie auf die Menschen, die sich in diesen elektronischen Welten bewegen, welche Gestaltungsspielräume erkennen sie, welche Deformationen? Welche Wirkungen hat die Technologie auf den einzelnen Menschen, welche auf die Gesellschaft? Spannende Fragen, die die Literatur verhandeln kann.
Mit verschiedenen Facetten dieses Themas beschäftigen sich die Romane auch. Da hat im vergangenen Jahr Julia von Lucadou mit der „Hochhausspringerin“ eine Gesellschaft skizziert, in der ein wirtschaftlich-soziales Ranking die Währung ist, die dem Individuum den Wohnort zuordnet, die Wohnung, die Arbeit, die Sexualpartner. Philipp Schönthaler beschäftigt sich in seinem Erzählband „Vor Anbruch der Morgenröte“ mit den Wirkungen der Technologien, wenn er von dem allein durch die Inszenierung der Product Placements gestalteten Lebens der Familienbloggerin erzählt oder von einem Neubauprojekt, in dem alle Prozesse digital gesteuert werden – und jeder Bewohner nicht nur Sicherheit bekommt, sondern auch gläsern wird.
Im gerade erschienen Roman „Der Weg aller Wellen“ erzählt er von dem Mitarbeiter des „Ringes“, eines High-Tech-Konzerns, der eines Morgens nicht mehr ins Unternehmen gelangen kann, weil der Handscanner an der Schleuse seine Hand nicht mehr erkennt. Und Emma Braslavsky führt Ian McEwans Idee eines Privat-Androiden fort und erschafft eine Welt, in der die Menschen sich individualisierte Recheneinheiten als Partner bestellen.
Er lohnt sich also, der Blick auf die Literatur, auch wenn in den Erzählungen momentan (noch?) die Dystopien vorherrschen. Allemal Grund genug, hier genauer hinzuschauen und einen neuen, einen dritten Schwerpunkt auf dem Blog zu installieren. Der eine oder andere Sachbuchtitel zum Thema wird den Schwerpunkt abrunden.
Das ist wieder ein spannendes Projekt! Drei der abgebildeten Romane kenne ich bereits und freue mich nun auf deine Beiträge mit weiteren Leseinspirationen!
Vielen Dank! Nun muss ich nur noch lesen und Rezensionen schreiben… Welche Romane hast du denn schon gelesen?
Neugierige Grüße, Claudia
Den „Circle“ von Eggers, Ian MacEwans „Maschinen wie ich“ und „Pixeltänzer“ von Berit Glanz. Das letzte hat mir am besten gefallen! Jetzt bin ich gespannt auf deine Eindrücke.
Dann kann ich mich ja auf Berit Glanz´ Roman freuen. Und habe gerade mal wieder so gar keine Zeit zum Besprechungen-Schreiben…
Ich finde dieses Thema sehr interessant und bin sehr gespannt auf Deine kommenden Beiträge. Viele Grüße
Hallo,
ein hochinteressantes Thema – da bin ich ja mal gespannt, was noch kommen wird!
LG,
Mikka
Hast du auch schon das Buch „Homo Deus“ gelesen? Ich finde, dass es am Ende auch einen ganz spannendn Blick auf die Digitalisierung gibt.