Lesen, Romane

Orhan Pamuk: Die rothaarige Frau

Es gibt Geschichten, die die Menschen seit Jahrtausenden faszinieren. Die immer wieder gleich und gleichzeitig immer wieder neu erzählt werden. Weil sie um einen festen Kern herum flexible Ränder besitzen, die jeder Erzähler problemlos an die Erfahrungswelt seines Publikums anpassen kann. Solch eine Geschichte ist die Erzählung von Ödipus, der, wie es das Orakel vor seiner Geburt geweissagt hat, erst seinen Vater erschlägt und dann seine Mutter heiratet. Diese tragische Geschichte um die Ermordung des Vaters und den Inzest mit der Mutter bietet ein so spannendes, herausforderndes und tragisches Erzählgerüst, dass Schriftsteller sich dieser Geschichte in allen Zeiten gerne bemächtigt haben – und Teile davon sogar in die Science-Fiction-Welten der Blockbuster gelangten. Und nun erzählt auch Orhan Pamuk eine neue, eine aktuelle Variation des Ödipus-Mythos.

Aber nicht nur das. Denn Pamuk stellt dem griechischen Mythos sein persisches Pendant zur Seite. In dem Heldenepos „Schāhnāme“, dem Werk des persischen Dichters Abū ʾl-Qāsim Firdausī, nämlich gibt es die Sage von Rostam und seinem Sohn Sohrab. Weil Rostam seine Frau Tahmine nach der Hochzeitsnacht verlässt, lernt er seinen Sohn Sohrab nicht kennen. Jahre später dann aber trifft er bei einer Schlacht auf einen jungen Mann, den er an seinem Armreif erst als seinen Sohn erkennt, als er ihn schon getötet hat. Den Kampf zwischen Vater und Sohn überlebt in diesem Mythos der Vater.

Der Konflikt zwischen den aus verschiedenen Gründen meist abwesenden Vätern und ihren Söhnen ist also der zentrale Konflikt des Romans Pamuks, ein Konflikt, der gleich in verschiedenen Facetten immer wieder durchgespielt und variiert wird. Die Hauptfigur des Romans ist Cem, zu Beginn 15 Jahre alt, dessen Vater von einem auf den anderen Tag verschwindet. Das ist durchaus schon häufiger vorgekommen, denn der Vater engagiert sich politisch und ist, es ist die Zeit des Militärputsches, schon mehrfach festgenommen worden. Doch dieses Mal ist es anders. So will die Mutter, die bisher in solchen Fällen immer eingesprungen ist, die Apotheke nicht weiterführen. Es stellen sich finanzielle Probleme ein und Cem sucht Arbeit, um die „Paukschule“ bezahlen, die auf die Zulassungsprüfung für die Universität vorbereitet.

Zunächst findet er einen Job in einer Buchhandlung. Und weil er sich Autoren- und Verlagsnamen so gut merken kann, gibt der Buchhändler Deniz Cem Bücher zum Lesen mit nach Hause. Cem mag Jules Vernes „Reise zum Mittelpunkt der Erde“, er mag die Erzählungen von Edgar Allen Poe, historische Romane über osmanische Kriegshelden und Gedichte. Aber ganz besonders beeindruckt ihn ein Buch über Träume, so sehr, dass er meint, dieses Buch habe sein Leben verändert.

In den Sommerferien hilft er seinem Onkel im Obstgarten. Viel mehr als der Obstgarten aber interessiert ihn der Brunnenbauer, der im Nachbargarten gräbt. Zum einen, weil Meister Mahmut ihn so an seinen Vater erinnert, zum anderen, weil ihn das Brunnenbauen so anzieht, ein bisschen vielleicht auch, weil es ihn an die Abenteuer bei Jules Verne erinnert. Weil er so neugierig ist, bietet Meister Mahmut ihm an, bei seinem nächsten neuen Brunnenprojekt in Öngören, einem Ort vor der Stadtgrenze Istanbuls, mitzuarbeiten.

So lernt Cem das Brunnenbauen kennen, das Meister Mahmut betreibt, wie es in den letzten tausend Jahren betrieben wurde. Und wie Cem, so lernt auch der Leser, welche große Bedeutung der Brunnenbauer, gerade in wüstenähnlichen Gebieten hat, denn erst der Brunnen ermöglicht die Nutzung des Grundstücks, in diesem Fall die Errichtung einer Textilfabrik:

„Ein Dorf, eine Stadt, eine Zivilisation gibt es nur dort, wo es Brunnen gibt. Eine Zivilisation ohne Brunnen gibt es ebenso wenig, wie einen Brunnen ohne Meister. Und wer sich einem Meister nicht unterzuordnen weiß, der kann bei ihm auch nicht arbeiten. Aber wenn wir hier Wasser finden, sind wir reich.“ Meint Meister Mahmut.

Und er nimmt mehr und mehr die Stelle des Vaters ein. Vielleicht auch, weil Cem der eigene Vater fehlt, nun mit 15 Jahren, da er ihn als Vorbild oder als Gesprächspartner bräuchte, an dessen Meinungen und Haltungen er sich reiben könnte. Abends sitzen sie unter dem Sternenhimmel vor dem Zelt und erzählen sich Geschichten. Einmal erzählt Meister Mahmut von Josef, der von seinen Brüdern in den Brunnen geworfen wird, weil er so schön und klug war, dass der Vater ihn den Brüdern vorzog. Das aber dürfe er nicht, meinte der Meister: „Ein ungerechter Vater macht den Sprössling blind.“ Diese Deutung lässt Cem ratlos zurück und er mag sie auch nicht, weiß aber nicht, warum.

Cem erzählt seinem Meister im Gegenzug auch eine Geschichte, auch eine, in der Blindheit eine wichtige Rolle spielt. Er erzählt die Geschichte aus dem Buch der Träume, die ihn so beeindruckt hat und nicht mehr loslässt. Es ist die Geschichte von Ödipus, die er nun erzählt. Und der Meister, dem die Geschichte gar nicht zusagt und der fragt, woher Cem sie habe, zieht wieder einen überraschenden Schluss, über den Cem sich wundert: „So hat Gott schließlich recht behalten. Seinem Schicksal kann niemand entrinnen.“

Manchmal verbringen Meister und Lehrling ihre Abende in Öngören. Der Meister trinkt Tee in einem Café, Cem streift durch die Straßen. Einmal sieht Cem dort die wunderschöne rothaarige Frau, in die er sich auf den ersten Blick verliebt. Fortan versucht er an den Abenden einen Blick auf sie zu erhaschen, geht ihr nach, steht vor dem Haus, in dem sie wohnt, geht in das Café, in dem sie mit Freunden sitzt und Raki trinkt. Sie gehört dem Ensemble des Wandertheaters an, das in diesem Sommer im Ort gastiert.

Als Cem endlich in einer Vorstellung sitzt, ist er völlig hingerissen von den Geschichten, die die Schauspieler erzählen und die sich aus allen möglichen westlichen und östlichen Quellen speisen. Sie spielen eine Szene aus dem Cyrano von Bergerac und aus Hamlet und die Geschichte Abrahams, der Gott um einen Sohn anfleht. Sie spielen aber auch Parodien auf aktuelle Werbespots. Besonders beeindruckt Cem die letzte Szene, in der die Schauspieler die Legende von Rostam und Sohrab spielen und der Trauer und der Reue so einen starken Ausdruck geben, dass im Zuschauerraum „kein Mucks zu hören war“. Cem meint, obwohl die Zuschauer ja im Dunkeln sitzen, die rothaarige Frau, die hinter Rostam und Sohrab steht, die Szenerie betrachtet und ihren Schmerz durch Wehklagen Ausdruck verleiht, blicke ihn dabei die ganze Zeit an.

„In jener Nacht schlief ich zum ersten Mal im Leben mit einer Frau. Es war ein wunderbares, geradezu erschütterndes Erlebnis. Auf einen Schlag dachte ich ganz anders über das Leben, über die Frauen, über mich selbst. Die rothaarige Frau brachte mir das Glück bei und lehrte mich, wer ich eigentlich war.“

Es spricht für Pamuks Kunstfertigkeit, wie er literarische Quellen so miteinander verknüpft, dass die aktuelle Geschichte um Cem gleich mehrfach gespiegelt wird. So wie die Szenen, die die Schauspieler im Theaterzelt auf die Bühne bringen, Cems Lebensgeschichte vorwegnehmen, so wird Cem seit seinen Jugendtagen immer wieder magisch angezogen vom Ödipus-Mythos und der Legende von Rostam und Sohrab und beschäftigt sich sein Leben lang mit ihnen in der Literatur und in der bildenden Kunst.

Beim Erzählen nutzt Pamuk die Freiheit der flexiblen Ränder und bricht immer wieder alle Erwartungen, die der Leser, wenn er die Geschichten auch kennt, möglicherweise hat. Nichts ist wirklich „echt“, nichts so, wie es zu sein „hat“, nicht die roten Haare, nicht die Position als Mutter, nicht einmal die Erzählperspektive. Im Kern aber verhandelt er den klassischen Konflikt zwischen Vater und Sohn, zwischen dem Alten und dem Neuen, zwischen Tradition und Moderne.

Pamuks Variation der Mythen aber lässt sich längst nicht nur als Cems Lebensgeschichte lesen, der als studierter Geologe und geschäftstüchtiger Immobilienentwickler in einer durchaus modernen Ehe auf der einen Seite Individualität und Rationalität lebt, auf der anderen Seite aber an den mythischen Geschichten hängt und immer wieder in ihre die Vorbestimmung betonenden Deutungsmuster zurückfällt. Pamuks Roman lässt sich durchaus aber auch auch als Geschichte der türkischen Gesellschaft lesen, die zwar seit den 1980er Jahren eine ungeheure wissenschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung gemacht hat – ein Brunnenbauer wie Meister Mahmut ist angesichts der Blöcke mit Eigentumswohnungen in Öngören nicht mehr denkbar -, die aber immer noch den Traditionen verhaftet ist.

Es ist, als bewahrheite sich nicht nur für Cem die Geschichte, die damals am Brunnen Meister Mahmut Cem erzählt hat, als Antwort auf die schicksalhafte Geschichte von Ödipus. Es ist genau die Geschichte um die Bedeutung des Schicksals, die auch schon Salman Rushdie in seinem Roman „Golden House“ erzählt hat. Sie stammt von Dschalāl ad-Dīn Muhammad ar-Rūmī, einem persischen Dichter des Mittelalters. Hier ist es ein Prinz, der Lieblingssohn des Sultans, der auf einem Fest neben seinem Vater einen „schwarzbärtigen, finster dreinblickenden Mann“ stehen sieht, in dem er den Todesengel Azrael erkennt. Als der Prinz diese Begegnung später seinem Vater erzählt, schickt der ihn sofort nach Täbris zu einem Freund, um sich dort zu verstecken. Zur Rede gestellt erklärt Azrael sei Erstaunen darüber, den Prinzen am Hof des Sultans zu sehen, denn er habe von Gott den Auftrag, zum Schah nach Täbris zu gehen, um sich dort das Leben des Prinzen zu holen. „Sprach´s und verließ den Palast.“

Orhan Pamuk (2017): Die rothaarige Frau, aus dem Türkischen von Gerhard Meier, München, Carl Hanser Verlag

17 Kommentare

  1. Liebe Claudia,
    die rothaarige Frau liegt schon ungekürzt als Hörbuch auf meinem iPhone bereit. Ich bin schon sehr neugierig auf das Buch und deine Worte bestärken mich in dem Gefühl, es als nächstes zu hören.
    Ich denke, egal ob Vater, Sohn oder Mutter, Sohn oder Vater, Tochter oder Mutter, Tochter, es sind immer Kombination voller Spannung, Liebe und Verantwortung. Es ist für niemanden einfach, einen Weg der Harmonie in diesem Gefüge zu finden und oft laufen Kinder oder Eltern vor dieser schwierigen Aufgabe weg.
    Ich wünsche dir einen schönen Tag, Susanne

    • Liebe Susanne,
      es macht wohl genau den Reiz des Mythos aus, solch einen grundlegenden und alle Zeiten überdauernden menschlichen Konflikt, nämlich den zwischen Eltern und Kindern, zu bearbeiten und immer wieder neu zu erzählen. Alleine zum Ödipus-Mythos mit gleich zwei Konfliktfeldern, nämlich dem Kampf zwischen Vater und Sohn und dem Inzest zwischen Elternteil und Kind, fallen mir so unterschiedlichen „Erzählungen“ ein wie Max Frisch „Homo faber“ und die „Star-Wars“-Trilogien Im Kino liebe ich Science-Fiction). Und da ich mich in meinem Studium mal sehr intensiv mit der Bearbeitung von Mythen in der Literatur beschäftigt habe, hat mich Orhan Pamuk genau an diese Zeit zurückerinnert und auch auf das schönste gezeigt, dass die Mythen immer noch und immer wieder neu erzählt werden können. Ich glaube, das Hörbuch wird dir gefallen. Und vielleicht kannst du ja aus der Kunst(geschichte) Kenntnisse und Erfahrungen um die Mythen mit in dein Leseerlebnis einbringen. Cem sucht nämlich in den Museen nach Abbildungen der Mythen – und wird natürlich auch fündig. Das ist bestimmt auch eine Betrachtungsweise für dich.
      Einen tollen Höhr- (und vielleicht auch Blick-)Genuss wünscht Claudia

      • Liebe Claudia,
        jetzt freue ich mich noch mehr auf die rothaarige Frau!
        Vielleicht wird dir dieser Blog ebenso wie mir viel Freude bereiten:
        https://antikenrezeptionsciencefiction.wordpress.com/
        Der Blogbetreiber Michael Kleu folgt mir seit letzter Woche und ich habe natürlich auch auf seinem Blog gestöbert und war begeistert.
        Ich bin auch ein großer Fan von Mythen, Science Fiction und Max Frisch 🙂
        Zur Zeit schaue ich das Weihnachtsgeschenk der Familie meines Bruders, sie haben mir einen Netflix Zugang geschenkt, von dem ich dachte, ich brauche ihn nicht. Jedoch schaue ich jede Woche Montag die neue Staffel „star trek discovery“, sie handelt von der Schwester von Spok.
        Ich wünsche dir einen schönen Abend, Susanne

      • Hihi, haha, dachten wir auch, dass wir Netflix nicht brauchen. Und haben in den Wiehnachtsferein erst einmal alle verfügbaren Discovery-Folgen geschaut und nun natürlich jeden Montag die jeweils neue. Das ist ja verrückt, dass wir da quasi parallel gucken!
        Und den Blog werde ich mir morgen mal in Ruhe anschauen.
        Viele Grüße nach Berlin, Claudia

      • Ja, ich bin auch ganz gespannt, was die Discovery Besatzung in der klingonisch geprägten Zukunft erlebt.
        Magst du auch Fringe?
        Im Moment schauen wir noch die Travellers über Netflix. Auch eine sehr interessante Serie.
        Viele Grüße aus dem noch morgensdunklen Berlin von Susanne

      • Offensichtlich habe ich noch vieles anzugucken bei Netflix. Wie schön, dabei strickt es sich nämlich so gut. Wir sind gerade mitten in House of Cards. Und manchmal denke ich: Wer hat da denn vom Drehbuch abgeschrieben :-)? Und heute Abend geht es erst einmal im Weltraum weiter.
        Liebe Grüße nach Berlin, Claudia

  2. Liebe Claudia,

    mit den Büchern von Orhan Pamuk verbindet mit eine literarische „Hassliebe“ – einerseits bewundere ich seine Klugheit, seinen Stil, wie er Geschichten auf verschiedenen Ebenen verknüpft, andererseits habe ich auch schon mit seiner Neigung zur Langatmigkeit und Redundanz gekämpft. „Schnee“ finde ich beispielsweise sehr hervorragend, auch was die politische Seite betrifft, mit dem „Museum der Unschuld“ wurde ich gar nicht warm. Als die rothaarige Frau herauskam, habe ich sehr mit mir gekämpft, einerseits neugierig, andererseits auch etwas Pamuk-müde. Du heizt das Interesse jedoch wieder sehr an 🙂
    LG Birgit

    • Liebe Birgit,
      ich bin ja noch ganz „junge“ Pamuk-Leserin, denn das ist tatsächlich, ich schäme mich fast ein bisschen, mein erster Pamuk-Roman gewesen.
      Aber ich kann mir genau vorstellen, welche Erzählabschnitte du auch in der „rothaarigen Frau“ als redundant und langatmig bezeichnen wirst. Und ganz ehrlich: So richtig warm geworden bin ich auch mit dem Protagonisten nicht. Das ist jetzt keine Figur, mit der ich mich verbrüdern oder auch nur mitleiden konnte, keine Figur, die mir irgendwie nahe ist. Cem tickt irgendwie so anders, dass ich mich nicht richtig hineinfühlen konnte. Das alles passt schon zu deiner Pamuk-Vorsicht.
      Auf der anderen Seite: Beim Rezensionsschreiben und beim Suchen nach schönen Zitaten ist mir aufgefallen, dass es eben auch Passagen gibt, in denen jedes Wort an der richtigen Stelle sitzt, an denen Pamuk so gekonnt mit den verschiedenen Ebenen der literarischen Anspielungen spielt, dass das schon echte Könnerschaft zeigt, ohne aber so ganz plump zu erscheinen.
      Beim ersten Lesen war mir nicht klar, dass beispielsweise die Szenen im Schauspielzelt Cems Leben literarisch vorwegnehmen. Und es ist ja sehr schade, normalerweise darüber so hinweg zu lesen (ein Vorteil des Blogs, dass er wenigstens ein bisschen zum genauen Lesen zwingt :-)).
      Und mich hat in diesem Fall auch sein Umgang mit den Mythen so gepackt, weil ich dem Thema schon einmal während des Studiums begegnet bin und es mich da schon so elektrisiert hat.
      Um deine zwiespältigen Erfahrungen nachvollziehen zu können, liebäugel ich schon mit dem einen oder anderen weiteren und älteren Roman. Mal schauen, wie ich dann zu Pamuk stehe.
      Ich bin gespannt, ob du dich noch einmal „hinreißen“ lässt.
      Viele Grüße von W nach A, Claudia

      • Deine Eindrücke decken sich schon mit meinen Erfahrungen bisheriger Pamuk-Romane – bis dahin, dass ich oft mit den männlichen Protagonisten auch nicht warm werden konnte, häufig sprunghafte Zauderer, oftmals gefangen in platonischer, unausgelebter Liebe. Dann aber auch, wie Du schreibst, Passagen von großer Poesie und Zauberhaftigkeit – und v.a. hatte jeder Roman, den ich von ihm kenne, eben auch diese mehr oder weniger offensichtliche politische Dimension. Ich bin gespannt, ob und was Du von ihm noch liest! Morgengrüße von Birgit

      • Man könnte ja vielleicht meinen, dass wir uns den Protagonisten nicht nähern können, weil sie Männer sind. Ist aber ja überhaupt nicht in anderen Romanen der Fall, in denen das sehr wohl klappt. Ich denke da beispielsweise an einen Bretonen in Tanguy Viels Roman „Selbstjustiz“. Der hat tatsächlich einen anderen Menschen umgebracht, einfach mal so beim Fischen auf dem Atlantik über Bord geworfen. Trotzdem interessiert mich diese Figur von der ersten Seite des Romans an. Also muss es ja bei den Pamuk´schen Protagonisten irgendwie anders sein. Ja, vielleicht sind es die Gründe, die zum Zaudern führen, die nicht so recht „packend“ sind. Oder: die Figuren wirken auch ein bisschen „blutleer“, vielleicht, weil sie dann doch – der Konstruktion des Romans wegen – sehr merkwürdige Gedanken haben. Mal schauen, wie das so in dem einen oder anderen Roman so ist. Ich möchte schon noch ein bssichen mehr Pamuk ausprobieren.
        Viele Grüße, Claudia

      • Ich habe jeden Pamuk gelesen und werde sicher auch Die rothaarige Frau irgendwann lesen. Und (fast) immer hat das etwas von Masochismus. Einige Passagen von Pamuk gehören mit zum Schönsten und Dichtesten, was in der Weltliteratur hervorgebracht wurde. Auf der anderen Seite verheddert sich Pamuk regelmäßig in postmodernen Spielereien um des Spieles willen. Mein Tiefpunkt ist das Museum der Unschuld ( https://soerenheim.wordpress.com/2017/06/07/des-erbrechens-schuldig/ ), und wenn dort jemand keinen Zugang zu den Männerfiguren findet (gilt eigentlich fürs Gesamtwerk) liegt das mE allein an Pamuk und besonders dessen Frauenfiguren (!). Im Museum zB: Was Pamuk durch Kemal als Liebe vorzuführen sucht ist bei näherem Hinsehen nichts mehr als das hingezogen Sein zu einer sexuell sehr attraktiven etwa 18-jährigen. Nicht ein Gespräch zwischen Beiden, ein Charakterzug Füsuns, irgend ein geteiltes Interesse weist auf Gemeinsamkeiten Kemals und Füsuns hin, die über das körperliche Begehren hinausgehen. Füsun ist eigentlich vor allem leere Projektionsfläche, sie bekommt kaum Kontur. Und wenn man von da zurück schaut, zum Beispiel auf Rüya (das schwarze Buch) … ist das da so anders (passend: Rüya bedeutet „Traum“)? Und diese Männer, die vor allem existieren um einer idealen Geliebten nachzuschmachten, an der eigentlich außer dem Aussehen selten deutlich gemacht wird, was eigentlich das ideale ist… die nerven einfach irgendwann. Selbst wenn das als Kritik eines bestimmten Liebesideals gemeint wäre, wovon ich aber nicht überzeugt bin.
        Und dann schreibt Pamuk wieder so schöne Szenen, dass man weiter hoffen mag, er legt mal einen wirklich runden Roman vor & man liest ihn dann doch immer wieder…

  3. Ich mag Orhan Pamuk auch. Mir hat „My name is Red“ gut gefallen. Das ist eine Art historischer Krimi, bei dem man auch viel über die Entwicklung der Kunst in der Renaissance und im Islam lernt. Die rothaarige Frau klingt auch gut, besonders die Parallelen zu alten Mythen finde ich reizvoll. Mal schauen, ob ich das hier in Dubai finde. Pamuk habe ich schon im Regal eines Buchladens gesehen. Liebe Grüße, Peggy

    • Ich sehe schon, ich habe noch einiges zu lesen von Pamuk. Wie schön, wenn der Lesestoff nicht ausgeht!
      Liebe Grüße nach Dubai, Claudia

  4. Ach, Orhan Pamuk. Er ist ein großartiger Erzähler und genauer Beobachter der Vorgänge in der Türkei. Aber ich sehe es ähnlich wie Birgit: Wenn nur diese blutleeren, zaudernden und oft wehleidigen Protagonisten nicht wären! Dass sich auch hier wieder zum x-ten Mal ein Junge beim ersten Blick unsterblich in eine Frau verliebt und ihr nachphantasiert, könnte mich fast davon abhalten, den Roman zu lesen. Aber nur fast. Nur manchmal wünschte ich, Pamuk könnte ein paar neuere, weniger abgenutzte Topi finden.

    • Ich bin also nach deinem und Birgits Kommentar deutlich gewarnt für meine zukünftige Pamuk-Lektüre. Und weiß, dass ich immer wieder auf diesen in Liebesdingen etwas zurückhaltend-schüchternen Jungen treffen werde. Mal schauen, ob mich die anderen Facetten der Romane dann so mitreißen, wie es mir nun – beim ersten Mal – passiert ist. – Da mich ja aber diese Mythos-Bearbeitung so interessiert und mich so überzeugt hat, habe ich jetzt erst einmal nicht so ganz viel auszusetzen an diesem etwas undarften Cem. Gehe nun aber sicher nicht mehr ganz so euphorisch an den nächsten Pamuk-Roman nach euren mahnenden Worten.
      Viele Grüße, Claudia

      • Oh, lass dir die Euphorie bitte nicht nehmen! Versteh mich nicht falsch, ich finde Pamuks Romane wirklich großartig. Nur sind die Protagonisten an manchen Stellen für mich persönlich schwer erträglich.

        Ich weiß allerdings nicht genau, ob das für die türkisch-orientalische Literatur typisch ist oder einfach so ein Pamuk-Ding. Im „Museum der Unschuld“ ist es praktisch Hauptthema, in anderen Romanen wieder nicht. In Pamuks letztem Roman „Diese Fremdheit in mir“ hat es mich tatsächlich weniger gestört, weil es eben nicht nur eine wehleidig-schmachtende Liebesgeschichte ist.

  5. Liebe Claudia,
    in Afrika hörte ich die rothaarige Frau und das Buch nahm mich gefangen. Besonders die Schlussworte der besagten Frau gaben mir zu denken, ich bekam eine Gänsehaut.
    Das ist wieder ein Buch, was ich gerne im Regal zu stehen hätte, um mal das eine oder andere nachzulesen. Manchmal ist ein Hörbuch einfach zu wenig.
    Wir haben die letzten beiden Folgen der Discovery erst am Wochenende nach unserem Afrikaurlaub gelesen. Nun heißt es faßt ein Jahr auf die Fortsetzung warten. Ich bin gespannt.
    Viele Grüße aus dem eisigen Berlin von Susanne

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