Lesen, Romane

Louis Begley: Zeig dich, Mörder

Begley_2Es ist ja nicht so, als hätte es nicht genügend Warnungen gegeben. Thomas Brasch hat auf seinem Blog einen veritablen Verriss geschrieben und zielte mit in seine Kritik nicht nur auf den Autor, sondern auch auf Lektoren und Verlage. Und die nach der sehr enttäuschenden Lektüre konsultierte Rezensionsübersicht auf Perlentaucher  wusste auch nichts Besseres zu berichten: Dieser Roman bzw. Krimi ist kein mörderisches Lesevergnügen.

Dabei sind die Fragen, um die die Handlung kreist, durchaus interessant und spannend – und politisch hochbrisant, nicht nur für die USA. Auch in Deutschland stellen sich diese Fragen, man muss nur die Berichterstattungen rund um die Machenschaften und Seilschaften im Zusammenhang mit einem fragwürdigen Gewehr beobachten – und es sind ja nun wirklich keine Verschwörungstheoretiker, die das brisante Material ans Tageslicht bringen: Welche Bedeutung also hat Gerechtigkeit in einer Demokratie? Und welche Bedeutung hat der Rechtsstaat in den USA (und in anderen demokratischen Ländern) im 21. Jahrhundert überhaupt noch? Können – und wollen – Anwälte noch ihrem Ehrenkodex nachgehen oder sind sie längst überzeugte oder irgendwie willfährig gemachte Handlanger der Industrie? Können die Ermittlungsbehörden überhaupt noch frei arbeiten, wenn der lange, reiche Arm mit den besonderen Interessen bis in die Politik, bis in die Administration hinein reicht? Und ist eine anwaltliche und gerichtliche Arbeit überhaupt noch möglich, wenn der Gegner zur Not auch einen Mörder auf den Plan ruft, wenn er handelt wie ein „Pate“?

Jack Dana ist mit diesen Fragen konfrontiert, nun, da er von einer mehrmonatigen Reise nach Südamerika zurückreist nach New York. Erst auf dem Flughafen hat er nach Wochen, die er auf der Ranch eines Bekannten seines Onkels wohl offensichtlich völlig offline verbracht hat – auch mit dem Telefon scheint es dort nicht zu klappen – Internetempfang und nutzt die Zeit bis zum Abflug, um seine Mails zu lesen. Die Mail vom Tod seines Onkels Harry, der doch nur wegen plötzlicher dringender anwaltlichen Tätigkeiten den gemeinsam geplanten Teil der Reise abgesagt hat, trifft ihn wie ein Schlag. Ein Selbstmord soll es gar gewesen sein, die Polizei hat keine Hinweise gefunden, dass es fremde Einwirkungen gab.

Für Jake ist der Onkel Harry nach dem frühen Tod der Eltern das letzte verbleibende Familienmitglied. Und die beiden haben schon immer ein besonders inniges Verhältnis zueinander, selbst Jakes freiwilliger Dienst in Afghanistan und im Irak, nach dem 11. September 2001 sah er es als seine Pflicht an, für sein Land zu kämpfen, konnte dieses Verhältnis nicht stören, auch wenn Harry schon die Vietnam-Verpflichtung seines Bruders, also Jakes Vater, nicht respektieren konnte.

Und nach Jakes Verletzung, nach seinem Krankenhausaufenthalt, lädt Harry ihn zu sich nach New York ein, richtet ihm ein Studio zum Schreiben ein und unterstützt ihn, seinen Roman über die Erlebnisse im Krieg zu schreiben. Als Jakes Buch fertig ist, ist Harry der erste, der es liest, auf sein Urteil wartet Jake, durchaus mit Sorge, und ist umso erfreuter, als der Onkel begeistert ist:

ich habe dein Buch durchgelesen, sagte er. Einzelne Teile mehr als zwei Mal. Ich wünschte, deine Eltern wären noch am Leben. Sie wären sehr stolz auf dich, aber nicht mehr als ich. (S.35)

Nun ist Harry tot, die Beerdigung hat ohne ihn stattgefunden, Kollegen in der Anwaltskanzlei haben begonnen, Harrys Nachlass zu regeln. Und von Anfang an häufen sich die Zeichen, dass dieser Tod eben doch nicht freiwillig war; es gibt keinen Abschiedsbrief, die Sekretärin des Onkels wird genau einen Tag nach dessen Tod vor eine U-Bahn geschubst, der kleine Kater, den Jake seinem Onkel geschenkt hat, und den beide „über alles“ lieben, ist tot, das Genick ist ihm gebrochen worden, die Schnurrbarthaare abgeschnitten, das hätte Harry nie getan.

Jake beginnt, seinen Fragen nachzugehen, versucht, Erklärungen zu finden für die vielen Ungereimtheiten, auf die er im Zusammenhang mit dem Tod des Onkels stößt. Schnell wird deutlich, dass auch Kollegen in der Anwaltskanzlei so einiges zu verstecken haben, dem wichtigen Mandant des Onkels, eben der, der die Mitreise verhindert hat, ist nicht zu trauen. Und tatsächlich: die Aufklärung des Falles hätte fast auch der Leser leisten können, alles ist so eindeutig, so vorhersehbar.

Und das ist auch schon die erste Kritik an dem Roman, der zwar nicht als Krimi bezeichnet ist, in seiner Gestaltung aber als solcher daherkommt. Wenn denn wenigstens die Ermittlungsergebnisse detaillierter gewesen wären, wenn wenigstens deutlicher geworden wäre, wie genau der Täter sein perfides Spiel spielt, wenn darüber sogar gesellschafts- oder wirtschaftskritische Zusammenhänge aufgedeckt worden wären, das politische oder wirtschaftliche System, vielleicht gar Automatismen hätten deutlich werden können, dann könnte über die Klarheit des Falles, den der Leser wirklich von den ersten Seiten an ahnt, sicher hinweggesehen werden. Es bleibt aber nur die Aufklärung des selbsternannten Ermittlers Jake, der an manchen Stellen auch noch die offensichtlichsten Hinweise geflissentlich übersieht, dann aber einen Plan entwickelt – eine Strategie, um den Gegner niederzuringen – der auch tatsächlich Schritt für Schritt aufgeht, der „böse“ Gegner nichts weiter als eine Marionette in Jakes Händen, seine Handlungen vorhersehbar wie bei einem ganz schlechten Schachspieler, manipulierbar nach Jakes Lust und Laune.

Auch die Charaktere sind in ihrer Zeichnung von einer Schlichtheit und Eindeutigkeit, dass es für einen Roman zu wenig ist: Die Guten sind so gut, dass kein Makel sie ankränkelt, natürlich sind sie auch alle furchtbar klug. Frauen sind natürlich auch noch unglaublich schön und fliegen alle auf Jake, die Haushaltshilfen umsichtig und zuverlässig. Dagegen sind die Bösen nicht nur wirklich böse, auch wenn sie sich manchmal hinter kultureller Ehrentätigkeit und Mäzenatentum verstecken, sondern auch an ihrer Sprache, in der in jedem Satz mindestens ein Fäkalwort vorkommt, deutlich zu erkennen.

Und dann die Sprache des Romans – so hölzern, so gestelzt, so schwerfällig und behäbig, manchmal auch so umständlich, so alles erklärend, als wäre hier ein Krimilehrling am Werk. Oder spricht die New Yorker Oberschicht so?

Als ich ihm erzählte, dass ich auf die Ranch fahren würde, freute er sich sehr und erst gegen Ende des Essens eröffnete er mir, es habe Komplikationen in seiner Arbeit für Abner Brown gegeben, sodass er unmöglich irgendwann in absehbarer Zukunft an einen Urlaub auch nur denken könne. Er hoffe, sein Fehlen werde meine Produktivität steigern. (S. 50)

Der Leser bleibt am Ball, irgendetwas Ungewöhnliches, Spannendes wird ja noch passieren – naja, da hat er umsonst gewartet. Am Ende bleiben allein die wichtigen Fragen des Romans, immerhin: Wie ist es also bestellt um unseren Rechtsstaat? Und dann taucht eine neue Frage auf: Was passiert, wenn die eigenen Soldaten heim kommen, mit ihrer Ausbildung, ihren Kriegserfahrungen, ihrem Erlebnissen in Situationen auf Leben und Tod, in denen das Gesetzbuch unter dem Arm nicht weiter hilft, in dem es um die schnelle, die eine richtige Entscheidung geht? Und wenn dieser Soldat dann auch noch auf der Seite der Guten steht?

Louis Begley (2015): Zeig dich, Mörder, Berlin, Suhrkamp Verlag

22 Kommentare

  1. Ach ja, schade…aber irgendwann, nach einigen schwächeren Büchern, habe ich es aufgegeben, Louis Begley zu lesen…Deine Rezension sagt mir, dass das wohl so bleiben wird.

    • Es ist mein erster Begley gewesen. Ziemlich enttäuschend. Aber wenn Du sagst, dass sich diese Entwicklung bereits abzeichnete, ist es vielleicht nicht so ganz überraschend. Überraschend ist dann schon eher, warum – und da schließe ich mich dann Thomas Braschs Kritik an – es keine Instanz gibt, die eingreift: weder bei der Sprache noch bei der durchsichtigen Handlung…
      Viele Grüße, Claudia

      • Liebe Claudia,
        ich weiß nicht, ob das „Eingreifen“ bei einem Schriftsteller von Begleys Reputation und literarischer Karriere überhaupt noch möglich ist bzw. zweifle ich auch an, ob es so eine Instanz geben muss. Natürlich kann ein sensibler, einfühlsamer Lektor auf einen Schriftsteller einwirken und gerade bei Autoren, die vielleicht noch nicht so bekannt sind resp. am Anfang ihrer Karriere stehen, geschieht dies sicher auch – dazu braucht es aber ein vertrauensvolles Verhältnis. Andererseits kennt man ja inzwischen auch Fälle, wo das Lektorat, der Verlag als „Instanz“ Werke auch wesentlich veränderten – nicht unbedingt zum besseren. Neulich bei mir ja der Kästner als Beispiel, zu nennen auch Raymond Carver. Was ich damit meine: Sicher würde das Buch vielleicht damit gewinnen, aber es wäre ja nicht mehr das Werk seines Schöpfers. Und dann kommt in diesem speziellen Fall dazu: Begley, Jahrgang 1933, ist inzwischen ein älterer Herr, der jetzt seit rund 30 Jahren Bücher schreibt – und das durchaus auch mit Erfolg. Ein „Erfolgsschriftsteller“ wird – und vielleicht auch in diesem Alter – noch weniger offen für Korrekturen und vielleicht auch etwas beratungsresistent sein. Wenn eine Instanz das Buch (das ich ja nicht kenne) verbessern würde – wäre das nicht auch eine Verfälschung? So müssen wir Leser eben damit leben, dass man einem Autoren dabei zusieht, wie er sich mehr und mehr verabschiedet – und wie er eben auch mehr und mehr Leser verliert. Wenn Du ein gutes Buch von ihm lesen willst, dann empfehle ich seinen Debütroman – 1991 erschienen, als er bereits im Ruhestand war: http://saetzeundschaetze.com/2014/09/03/kindheit-im-inferno/

      • Liebe Birgit,
        Du hast mit Deinem Blick auf die Gemengelage noch einmal eine neue Facette mit in die Diskussion gebracht, die ich sehr nachdenkenswert – auch sehr versöhnlich – finde: den Roman eben mehr auch mit Blick auf den Autor und seine Situation sehen, als Alterswerk und trotzdem mit Respekt, auch wenn sich da einer „eben auch mehr und mehr verabschiedet“. Und wahrscheinlich gehen dann auch die Verlagsmenschen und die Lektoren so vorsichtig und umsichtig mit dem Autor um, während der sich – mehr oder weniger altersgrantlig 🙂 – auf seine alten Erfolge beruft. Änderungsvorschläge haben es dann schwer. (Ich kenne mich nicht wirklich aus, wie weit ein Lektor in einen Text eingreift, kenne nur die Szenen aus der Dokumentation des Entstehens von John von Düffels „Houwelandt“ und der Lektor dort insistierte doch sehr deutlich.) Und beim Übersetzen gibt es wahrscheinlich auch noch einmal den einen oder anderen Schweißausbruch, wie weit die Übersetzung den Text verändern soll/kann/darf.
        Nachdenkliche Grüße, Claudia

      • Naja, ich erschrecke halt immer ein wenig, wenn nach eingreifenden Instanzen gerufen wird – da muss man schon sehr vorsichtig sein. Schließlich hat jeder Autor das Recht, ein schlechtes Buch zu schreiben. Kommen mehrere davon vor, dann haben die Leser ja ebenso das Recht, dessen Bücher nicht mehr zu lesen.
        Aber kann es wirklich eine Instanz dazwischen geben?

        Natürlich hätte ein Verlag das Recht, ein Buch, wenn es schlecht ist, auch eines etablierten Autoren abzulehnen – aber da vertraut man wohl darauf, dass nach wie vor der Name zieht. Und zudem: Was soll man tun, wenn man bisher alles veröffentlicht hat (z.B. Begley ist traditionell bei Suhrkamp)? Wenn der Autor das Buch eben so und nicht anders vorlegt? Es liegt ja, wie ich es verstanden habe, sicher nicht in erster Linie an einer schwachen Übersetzung, sondern vor allem an der schwach ausgeführten Geschichte.

        Und ich bin der Meinung: das Buch ist das Buch ist das Buch – wie es vom Autoren kommt. Es wird ja auch immer wieder so diskutiert, warum jener oder dieser nicht kürzer geschrieben hat, das man ein bestimmtes Buch straffen könnte um diese oder jene Szene – da bin ich eben etwas eigen: Der Autor hat das Buch nun mal so geschrieben und nicht anders.
        Wir kämen ja auch nicht bei anderen Künsten auf die Idee, da einzugreifen, weil uns etwas nicht gefällt – z.B. in der Bildenden Kunst. Nö, der van Gogh malt immer so dunkel und macht dann so Lichteffekte, machen wir mal das ganze heller …:-)
        okay, jetzt bin ich etwas polemisch. Aber ich hoffe, es kommt raus, was ich meine.

        Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit.
        Das bedingt aber auch, dass man sie frei sein lässt – selbst wenn uns das Ergebnis nicht gefällt.
        LG Birgit

  2. Beeindruckend, dass Du noch fähig warst, es nüchtern zu verreißen. Man machte mir ja den nicht ganz von der Hand zu weisenden Vorwurf, dass ich keine Belege für meine Tirade vorgelegt habe. Hatte zwar dafür auf diverse Kritiken schon verlinkt, aber hier mit Deiner Besprechung wird das für mich dann noch mal nachgeholt. Danke dafür.

    • Vielleicht bin ich auch einfach emotional nicht so eingebunden, wie Du es offensichtlich bist, denn dies ist mein erster Begley-Roman gewesen, ich habe da keine lange Verbindung mit dem Autor. Da ich von Dir schon ein wenig wenig – naja, ziemlich – vorgewarnt war, ist meine Erwratung auch gar nicht so hoch gewesen, also konnte ich auch nicht so ganz furchtbar enttäuscht werden. Und den Kern der Geschichte, die Grundfragen, die er stellt, die finde ich wirklich wichtig, wir sehen es ja gerade „vor der eigenen Haustür“.

  3. Ach, ich las deinen Verriss richtig gern, nicht nur, weil er meine Liste schont, sondern auch, weil er so nachvollziehbar ist und man deine Irritation spürt, dass da niemand eingegriffen und dies dich letztlich Lesezeit gekostet hat, die man im Nachhinein vielleicht lieber mit einem anderen Buch verbracht hätte. Letztlich zeigen Verrisse, wenn sie gut begründet sind, ja auch, dass die Leserin/der Leser gewisse Ansprüche stellt, die man nicht mehr unterschreiten möchte. LG und mehr Freude am nächsten Buch. Anna

    • Liebe Anna,
      wenn „Begley“ draufsteht auf dem Buchcover, denkt man ja eigentlich, dass man sich gepflegt ins Polster fallen lassen kann. Thomas Brasch hatte zwar schon gewarnt, aber einen eigenen Eindruck wollte ich mir ja schon verschaffen. Und dann las ich und las und rieb mir die Augen. Birgit hat ja nun einen versöhnlichen Ansatz gefunden mit Blick auf das Alter des Autors und so vielleicht die Erklärung für meine Irritation. Und ja, der Blog und der Zwang, zu begründen, zu belegen, schärfen auf jeden Fall den eigenen Anspruch. Was das nächste Buch betrifft, da habe ich wohl auch kein wirkliches Glück mit gehabt: Von Suters „Montechristo“ bin ich auch recht enttäuscht. Dazu demnächst wohl mehr…
      Viele Grüße, Claudia

      • Ich könnte mir auch vorstellen,dass das Alter des Autors insofern eine Rolle gespielt haben könnte, als dass möglicherweise Verlage auch gar nicht eingreifen wollen (und Birgit hat da ja nachdenkenswerte Position bezogen), weil sie einfach wissen, dass die Leser es erst einmal trotzdem kaufen, eben weil der Name zieht. Ich komme darauf, weil ich gerade einen Krimi von Agatha Christie gelesen habe, den sie als Achtzigjährige geschrieben hatte und den der Verlag unbedingt haben wollte, weil er ihn eben auch als achtzigstes Buch der Autorin vermarkten wollten. Ich habe selten ein so dermaßen abstruses und miserables Werk gelesen wie diesen Krimi. Der hätte schlicht nicht veröffentlicht werden müssen, aber solange es Leute gibt, die es kaufen. Da darf man die geschäftliche Seite wohl nicht zu gering veranschlagen…

      • Liebe Anna,
        nun erwähnst Du ein weiteres Alterswerk, das nicht mehr so auf der Höhe der Zeit ist. Irgendwie wäre es ja schön, wenn Menschen, deren Profession das Schreiben ist, dies auch im hohen Alter noch tun könnten. Das scheint ja aber auch nicht immer zu funktionieren, wie wir nun gleich zweimal sehen. Und in den Verlagen würde ich gerne mal bei solchen Entscheidungen Mäuschen spielen.
        Viele Grüße, Claudia

  4. Liebe Claudia, liebe Anna,
    das ist doch schön, wenn sich so eine Diskussion entspinnt – und vielleicht lädt uns mal ein Verlag ein und erläutert die Abläufe? Als Gutmensch hoffe ich da immer noch, dass es nicht nur um die wirtschaftlichen Aspekte geht (weil der Name zieht), sondern gerade auch bei älteren Autoren, weil sich zwischen einem Verleger (oder sagen wir Verlegerpersönlichkeit wie früher Samuel Fischer, Rowohlt, Unseld) und seinen Stammautoren ein fast eheähnliches Verhältnis entwickelt.
    Das fällt mir auch immer wieder auf, wie eng die Beziehung im Idealfall ist im Verhältnis der Verleger zu ihren gebrandmarkten und verfolgten Autoren im Nationalsozialismus.

    Aber zurück zu Begley & Co: Man kann ja seinen Mann auch nicht im Alter vor die Tür setzen, weil er plötzlich Unsinn brabbelt 🙂 (Ironie! Bitte Nachsicht). Ich denke, es fällt ja auch sehr schwer, jemanden zu sagen: horch zu, Deine Bücher waren jetzt jahrzehntelang klasse, aber das ist Käse, was Du da lieferst…

    Und leider ist es ebenso, dass bei manchen das Alterswerk nachlässt – Martin Walser fällt mir da spontan ein.

    Mein Respekt gebührt da auch Philipp Roth, der mit 80 Jahren sagte: So, jetzt ist Schluß, ich schreibe keinen Roman mehr. Aber leg das mal anderen Autor/innen nahe…das geht eigentlich nicht.

    • Kann ich nur so unterschreiben. Mäuschen spielen wäre da wirklich mal fein. Wenn mal wieder mehr Zeit ist, würde ich dem gern mal nachgehen, in meinem Fall dem Agatha Christie-Krimi.
      Aber auch der umgekehrte Fall ist interessant: Wie weit darf denn der Eingriff des Lektors, des Verlages gehen? Ein Klassiker, den ich mit Begeisterung gelesen habe, nämlich „Wer die Nachtigall stört“ wäre ohne die verlegerischen Eingriffe vielleicht nie zu dem Erfolg geworden, den wir heute mit dem Buch verbinden. Ausnahmsweise zitiere ich hier mal aus meiner Besprechung: „Ein zweiter Grund, weshalb Lee danach nie wieder etwas veröffentlicht hat, könnte sein, dass die Arbeit an dem Roman nur sehr mühsam vonstatten ging. In dreieinhalb Jahren wurde das Manuskript dreimal grundlegend überarbeitet und umgestellt. Ohne die Geduld und die Hinweise ihrer Verlegerin Hohoff, die überhaupt erst dafür sorgte, dass das Ganze zu einem Roman mit einem klaren Handlungsaufbau statt zu einer unausgewogenen Anekdotensammlung wurde, wäre das Buch nie veröffentlicht worden.“
      Fragen über Fragen, so und jetzt hurtig zurück zu den Klausuren. LG, Anna

      • Liebe Anna, liebe Birgit,
        da haben wir doch gleich zwei großen Themenkomplexe, die wir gerne mal bei einem Verlag in Erfahrung bringen würden: Wie ist der Umgang mit einem „schwächeren“ Roman eines Erfolgsautors, vielleicht aus Altersgründen mit gleich mehreren schwächeren Titeln, und wie weit gehen die „Beratungen“ von Verlegern und Lektoren? Da könnte der Suhrkamp-Verlag doch mal drei gesetzte Damen nach Berlin einladen, damit wir gemeinsam diesen Fragen nachgehen können, oder :-)?
        Und dann sind wir ja auch gleich bei der Diskussion darüber, wie weit ein Übersetzer auch noch in den Text eingreift. Einige Blogger haben ja schon Interviews mit Übersetzern geführt (ich erinnere mich vor allem an einen Beitrag bei Mara) und da ging es auch um genau diese Frage (müsste ich noch einmal genauer nachlesen). Ich kann mir schon vorstellen, dass es einen Übersetzer da manchmal auch in den Fingern juckt, „kleinere“ Veränderungen vorzunehmen – und es gibt sicherlich auch eine gewisse Grauzone, ob diese oder jene Übersetzung nun eine behutsame Anpassung an die neue Sprache ist oder schon ein Eingriff in den Ursprungstext des Autors.
        Wir hätten also für einen Verlagsbesuch jede Menge Diskussionsthemen – natürlich auch das der alten Ehe zwischen Verleger und Schriftsteller: Auf nach Berlin.
        Die Fähigkeiten im Alter – ich finde es ja immer noch furchtbar, aber wahrscheinlich werden auf wir uns da irgendwann alle mal drauf einstellen müssen – scheinen ja tatsächlich, Birgit hat ja auch noch das Beispiel Philip Roths genannt, auch bei schriftstellerischen Tätigkeiten nachzulassen. Da ist es wirklich hoch anerkenneswert, wenn ein Autor selbst den Zeitpunkt bestimmt aufzuhören. (Andere treten ja mit über 100 Jahren noch auf und trällern Liedchen…).
        Nun aber raus in die schöne Sonne, solange sie noch scheint.
        Viele Grüße, Claudia

  5. Liebe Claudia,
    ich kenne das Buch nicht, aber ich finde, Rezension und Diskussion zeigen sehr schön, daß Buchblogs eine sinnvolle Funktion erfüllen – dieses Thema geistert ja immer wieder durch Feuilleton und Netz. Es werden Argumente getauscht und Positionen bezogen, Leseerfahrungen beschrieben und Warnungen oder Empfehlungen ausgesprochen. Genau so soll es sein!
    LG Norman

    • Lieber Norman,
      ja, das sind solche Sternstunden des Bloggens, wenn sich auf eine Buchbesprechung hin so eine lebhafte Diskussion ergibt, manchmal auch gar nicht mehr so sehr zu einzelnen Phänomenen des Romans und seiner poetischen Umsetzung, sondern – wie hier – auch mal zu Aspekten rund um das Zustandekommen des Romans. Ich habe durch diese Diskussion auf jeden Fall noch einmal zu einen anderen, einem deutlich versöhnlicheren Umgang mit dem Roman gefunden.
      Und für solche Gespräche rund um ein Buch ist der Blog wirklich eine tolle Sache, denn immer wieder in der Realität Menschen zu finden, die sich gerade jetzt mit mir über dieses oder jendes Buch auseinanderstezen wollen, ist ja manchmal schon schwer zu organisieren. Und so ist für mich der Blog und das Lesen der anderen Blogs wirklich eine ganz bereichernde Sache.
      Es braucht natürlich auch entsprechend nette, freundliche und differenzierende Menschen, die dabei mitmachen. (Ich habe mir vor ein paar Tagen mal ein Hundeforum angeschaut – war Thema auf einem Hundespaziergnag – und da ist mir ganz anders geworden: Wir haben hier auf den Literaturblogs einen deutlich anderen Umgang miteinander – zum Glück, sonst würde es wirklich keine Freude machen…)
      Auch Dir ein schönes, vielleicht sogar langes, Wochenende, Claudia

  6. Liebe Claudia, wollte nur mitteilen, dass ich bei der Fahrt nach Berlin natürlich dabei bin😎. Bin so wenig in anderen Foren unterwegs, dass ich ganz erstaunt war, als du schriebst, dass der Ton in einem Hundeforum wohl etwas rauer war, dachte, ähnliche Interessen und Anliegen würden den Umgangston automatisch etwas heben… Dir und euch noch ein schönes Wochenende. LG, Anna

    • Wunderbar, dass Du nach Berlin mitkommst! Dann fehlt ja nur noch die Einladung von Suhrkamps :-). Und wenn Du Spaß hast an zickigen Nickeligkeiten, google doch einfach mal „Hundeforum“, bei den meisten kann man erst einmal so mitlesen. Auf der anderen Seite: es gibt wirklich schönere Freizeitbeschäftigungen, es ist dort ein bisschen so wie auf dem Schulhof. Lesen wir doch lieber ein gutes Buch!
      Viele Korrekturgrüße, Claudia

  7. Ich will auch mit nach Berlin!!! Und dann die Unseld-Witwe anzicken…:-) Aber die hat es eh schon schwer genug…
    Dass es auf Hundeseiten rabiat zugeht, finde ich ja tierisch…Da muss ich jetzt doch mal schnell googeln, was die Katzenmenschen so treiben 🙂

    • Das ist schön, dass Du mitkommst. Werden wir doch ganz wundervolle Tage in Berlin verbringen – und uns nebenbei über Hunde- und Katzenforen amüsieren.
      Regnerische Grüße, Claudia

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