Lesen, Romane

Colum McCann: Briefe an junge Autoren. Mit praktischen und philosophischen Ratschlägen

In einem seiner Briefe an junge Autoren schreibt Colum McCann über den Schrecken der weißen Seite. Ach ja, denkt die Leserin und Bloggerin, diesen Schrecken kennt sie gut, wenn sie denn einen Text schreiben möchte über die Lektüre dieses oder jenes Romans und schon der erste Satz ganz und gar nicht zustande kommen möchte. Von Schreibblockaden sprechen dann oft die Schriftsteller, und die müssen es ja wissen. Schreibblockade – das hört sich doch ganz plausibel an, so, als ob es da eine nicht beeinflussbare Instanz gebe, die dem Schreibprozess immer wieder dicke Steine in den Weg legt. Das kennt die Bloggerin auch, da kann der Cursor ganz oben auf der Seite noch so lockend blinken, an Tagen mit Schreibblockade bleibt die Seite weiß, da wird es nichts aus dem ersten und nichts mit dem zweiten Satz.

Das könnte eine schöne Erklärung sein – nicht aber für McCann. Er schreibt an die jungen Autoren:

„Lassen Sie sich vom Schrecken der weißen Seite nicht das Hirn folienverschweißen. Die Ausrede, Sie hätten eine Schreibblockade, ist viel zu einfach. Sie müssen zur Arbeit erscheinen. Sie müssen sich auf den Stuhl setzen und gegen die Leere ankämpfen. Stehen Sie nicht vom Schreibtisch auf. Verlassen Sie nicht das Zimmer. Gehen Sie nicht los und bezahlen Rechnungen. Spülen Sie nicht das Geschirr. (…)“

Nun, seine Forderung, am Ball zu bleiben, sich nicht ablenken zu lassen, mag auch für Literatur-Blogger gelten. Also gilt es, am Schreibtisch sitzen zu bleiben, und schreibend der Frage nachzugehen, ob sie sich denn lohnt, die Lektüre der über 50 „Briefe an junge Autoren“. Schließlich gibt es schon Regalbretter voller mehr oder weniger gelungener Anleitungen für junge Autoren, oft mit einer Theorie des Romanschreibens, also einer Theorie zum ersten Satz, zur Konzeption des Plots, zur Entwicklung der Figuren, ja, über die Bedeutung ihrer Namen, eine Theorie zur Erzählperspektive, eine zur Sprache.

Colum McCann, selbst Leiter eines Schreibseminars am Hunter College, spricht in seinen Briefen all diese Themen an – und noch viele mehr. Zum Beispiel wie man mit den Verfassern respektloser und bzw. oder unerfreulicher Rezensionen umgeht, wie man als junger Autor an die Werbezitate („die Kunst der literarischen Pornografie“) anderer Autoren kommt, ob die junge Autorin ein Schreibstudium beginnen soll, wie es gelingt, als junger Autor einen Agenten und einen Lektor zu gewinnen und dass überhaupt das ständige Scheitern ganz wichtig für die Weiterentwicklung zu einem wahrhaft großen Romanautor sei. McCann hält also in seinen Briefen tatsächlich „praktische und philosophische Ratschläge“ parat.

Er schreibt dies alles in der direkten Anrede der jungen Autoren, wählt die Briefform als Möglichkeit, eine direkten Austausch zu beginnen – auf die die jungen Autoren freilich erst einmal nicht antworten können. So kann McCann eine ganz lockere und lebendige Kommunikation mit seinen Lesern aufbauen, kann Ironie und Augenzwinkern einbauen, manchmal reden, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, und kommt doch nie in die Gefahr, eine weitere Theorie des Romanschreibens vorzulegen. Er schreibt so, wie er es auch für die Romane fordert, nämlich durchaus unterhaltend. Aber: seine besondere Art des Schreibens, seine „Didaktik des Appells“ über fast 180 Seiten, führt auch zur Ermüdung. Und die Hinweise: „Arbeiten Sie hart“ und „Arbeiten Sie härter“ (es lohnt sich…) sind einfach zu oft notiert.

Ob sich die „Briefe“ tatsächlich nur – oder überhaupt – an junge Autoren richten – ist völlig egal. In ihren guten Passagen, und davon gibt es viele, entfalten sie eine Poetologie des Schreibens, so wie Colum McCann sie für sich entwickelt hat. Es entsteht, wenn er über die Entwicklung der Figuren spricht, über die Erzählperspektiven und die Gestaltung der Handlung, ein Blick in seine Schreibwerkstatt. Und der Leser kann hier fast mitlesen, wie die Geschichten seines Erzählbandes „Wie spät ist es dort, wo du bist“ entstanden sind. Wie er Peter Mendelssohn entwickelt hat, den älteren Herrn mit der wachen Beobachtung und dem altersmüden Körper, wie und warum er die verschiedenen Erzählperspektiven miteinander verschränkt hat und welche Überlegungen er zur Frage der Erzählzeit angestellt hat. Dass Geschichten dann interessant werden, wenn sie ausloten, wie es ist, wenn das Leben auf den Tod trifft, wie in allen vier Erzählungen des Bandes, eröffnet noch eine weitere Deutungsebene seiner Erzählungen und Romane.

Ja, das Lesen der „Briefe“ ist lohnend. Auch für Literatur-Blogger, die gar nicht erst eine junge Autorin werden wollen. (Junge Autorin kann man übrigens auch mit 40, mit 50, ja mit 60 werden, da ist McCann ganz offen.). Sie sind lohnend, weil McCann die Literatur und – mögliche – Kriterien für gute Literatur beleuchtet. Weil er das Verhältnis von Wahrheit und Fiktion klärt und verdeutlicht, dass selbst der Journalist die Realität gestaltet, also „fingiert“, denn auch „er nimmt das, was da ist und gibt ihm eine neue Form.“ Weil er erklärt, wie wichtig die Leerstellen in den Romanen sind, damit der Leser eigene Sichtweisen entwickeln kann – und sich nicht unterfordert fühlt. Weil er nicht müde wird, deutlich zu machen, welche besondere Bedeutung die Sprache für die Gestaltung eines Romans hat, nämlich viel mehr als der Plot. Und weil er die jungen Autoren auffordert, aus ihren bequemen Sofaecken zu kommen und sich mit den die vielen politischen Krisen unserer Epoche zu beschäftigen, endlich wieder engagierte Literatur zu verfassen, endlich wieder eine Stimme im politischen Diskurs einzunehmen. Das scheint in den USA also ähnlich zu sein wie in der deutschen Literatur.

„Vergessen Sie nie, dass Schreiben die Freiheit ist, sich gegen die Macht auszusprechen. (…) Wo die Macht mit Einschüchterung arbeiten will, sollten Sie ihr entgegentreten. Das Erstaunliche an einem gutgeschriebenen Text ist, dass er es fertigbringt, den Finger in die Wunde zu legen, ohne jemandem Gewalt anzutun. Mit seiner Hilfe kann man den Schmerz nachfühlen, ohne ihn zu erleiden oder zu verherrlichen.“

Und seine Briefe sind lohnend, weil er jedem Kapitel ein „sprechendes“ Zitat voranstellt:

„Es gibt drei Regeln für das Schreiben eines Romans. Unglücklicherweise kennt sie niemand“ (W. Somerset Maugham)

So, nun aber lange genug am Schreibtisch gesessen, nun zu den Rechnungen und zum Geschirr!

Colum McCann (2017): Briefe an junge Autoren. Mit praktischen und philosophischen Ratschlägen, aus dem Englischen von Thomas Überhoff, Reinbek bei Hamburg, Rowohlt Taschenbuch Verlag

11 Kommentare

  1. Ein tolles Plädoyer für dieses Buch! Ich habe mich sofort ertappt gefühlt bei dem Zitat über das Geschirrspülen! Praktisch und philosophisch, das ist doch eine gute Mischung.

    • Ja, es gibt ja eine Menge ganz wichtiger Dinge, die man unbedingt tun muss, bevor man sich mit den Wörtern herumschlägt. Fensterputzen gehört auch dazu :-). – Den Untertitel des Buches habe ich erst spät entdeckt, als ich mir nämlich die bibliographischen Hinweise noch einmal genau angeschaut habe. Und er passt ganz wunderbar zum Inhalt der Briefe.

  2. Ich gestehe, dass deine Besprechung mir viel mehr Freude macht, als mir der Autor bisher vermittelt hat. Genau dieses Konstruierte, Erarbeitete finde ich oft etwas blutleer. Das Zitat von W. Somerset Maugham ist klasse, den Herrn müsste ich eigentlich auch mal wiederlesen…

    • Liebe Anna,
      bis zu dem Erzählband „Wie spät ist es dort (…)“ haben mich die Romane McCanns auch nicht so recht überzeugen können. Ich fand sie auch genau wie du schreibst: „Konstruiert, erarbeitet, blutleer“. Aber die drei Erzählungen und die eine Novelle haben mich überzeugt. Die Geschichten sind natürlich auch konstruiert, alleine schon mit Blick auf die Vielschichtigkeit, es ist aber nicht mehr erkennbar. Deshalb habe ich mich auch an die „Briefe“ herangewagt. Sie sind mit ganz viel Augenzwinkern geschrieben, ab und zu bekommt auch der Literaturbetrieb sein Fett weg, vor allem missgünstige Kritiker :-). Und die Zitate, die McCann jedem Brief voranstellt, sind oft klasse. Da hätte ich noch viel mehr zitieren können.
      Viele Grüße, Claudia

      • Angeregt durch Kai kam mir gerade der Gedanke, warum es wohl überhaupt diese Ratgeber gibt. Da ist man mit einigen Romanen ziemlich erfolgreich und schwupps, schreibt man einen Ratgeber. Ich stelle mir gerade vor, jeder berühmte Schriftsteller täte das … Reich-Ranicki meinte in seiner etwas brachialen Art ja sogar, die Schriftsteller hätten von Literatur so viel Ahnung wie ein Vogel von Ornithologie. Lese gerade ein Buch eines Kritikers, der nachvollziehbar Elemente guter Romane erklärt (Wahl der Perspektive, erlebte Rede etc.) und anhand von Beispielen erläutert. Dieses Handwerkliche kann man, Talent vorausgesetzt, sicherlich erlernen und verfeinern. Aber die grundsätzliche Frage, ob man überhaupt etwas zu erzählen hat, die kann einem doch keiner abnehmen.
        Allerdings ist ein solcher Ratgeber sicherlich ein interessanter Einblick in die Arbeitsweise eines Autors, der spätestens dann lohnt, wenn einem Werke desjenigen gefallen haben…
        LG, Anna

  3. Liebe Claudia,

    Deinen langen Text habe ich komplett und mit wachsendem Interesse je weiter ich kam gelesen.
    Das ist tatsächlich im Moment schon eine Leistung für mich und spricht für Deine Besprechung.

    Die Sache mit solchen Büchern wie dem von Colum McCann ist die, dass mir Ratschläge dieser ausgewalzten Art grundsätzlich sehr verärgern. Was bildet sich der Autor ein, warum wird sowas nicht eingedampft auf die Essenz. Dann kâmen vielleicht ein paar sinnvolle Basics heraus, mit denen man als potenzieller Verfasser von Texten egal welcher Länge etwas anfangen kann. Mehr braucht es m.M. nicht. Natürlich würde damit kein Buch entstehen, sondern vielleicht nur ein übersichtlich kurzes Pamphlet. Wenn ich denn sowas haben wollte, dann würde ich dazu greifen.
    Jau, wie immer von mir viel zu viele Worte. Darin und und in manch anderen Dingen erkenne ich mich wieder und kann dieses Loch ein bisschen selber füllen 😊.
    So, kaum melde ich mich zurück, widerspreche ich schon wieder. Aber genau sowas ermöglicht doch erst ein eigenes Reflektieren.
    In diesem Sinne ein herzliches Dankeschön für die ausführliche Besprechung und
    Liebe Grüße von
    Kai

    • Lieber Kai,
      wie freue ich mich, von dir zu lesen!!! Und schon lädtst du auch wieder zur Diskussion ein. Die Aufforderung nehme ich gerne an.
      Du hast völlig recht, McCanns Ratschläge braucht kein Mensch, wahrscheinlich nicht einmal ein junger Autor (der freilich auch ein Mensch ist :-)). Im Grundsatz schreibt McCann auch nichts wirklich Neues, nichts, was nicht schon in irgendweiner anderen Anleitung zum Schreiben enthalten wäre.
      Aber das schreibt er halt ganz unterhaltsam (ja, die vielen Appelle nerven). Und er schreibt von Anfang an, dass er es auch nicht besser weiß als die jungen Autoren, nicht besser weiß als seine Schüler, dass er eben nur ein Sparringspartner für sie sein kann, aber nicht jemand, der genau weiß, wie es funktioniert.
      Im Prinzip fordert er seine Schüler auf, sich auszuprobieren, ermuntert sie immer wieder und vor allen Dingen, eine eigene Sprache zu finden, beruhigt sie, wenn sie nicht von Beginn an wissen, wie ihre Geschichten „laufen“ sollen.
      Und mir hat eben gefallen, diese Briefe (fast) im Anschluss an seinen Erzählband zu lesen, erzählerische Praxis und Theorie seines Schreibens ergänzten sich für mich und ergaben so eine Einheit. Unterhaltsam geschriebensind die Briefe auch und schöne Zitate zu seinen Themen hat McCann von anderen Autoren zusammengetragen. So mochte ich die Lektüre, obwohl das Buch für mich ja tatsächlich nicht geschrieben ist: weder bin ich jung noch möchte ich Autorin werden :-).
      So: Wie schön, dass du so vehement widersprochen hast und wir zu McCanns Buch endlich wieder die Worte kreuzen konnten. Und ich hoffe, dass wir uns bald wieder lesen werden!
      Liebe Grüße, Claudia

  4. Liebe Claudia,
    mich hat deine Empfehlung für das Buch auch sofort angesprochen und ich habe es auf meiner Wunschliste gesetzt. In der Onleihe habe ich von Colum McCann „Transatlantik“ gefunden und es ausgeliehen. Ich bin gespannt, wie sich das Buch list.
    Liebe Grüße aus dem zu sonnigen Berlin von Susanne

    • Liebe Susanne,
      „Transatlantik“ würde mich auch noch interessieren. Aber: mit den „alten“ Romanen McCanns – zwei habe ich gelesen -, konnte ich nicht so recht warmwerden. Und so bin ich gespannt zu lesen, wie es dir mit „Transatlantik“ ergangen ist und ob ich mich dann auch an die Lektüre mache.
      Viele Grüße, Claudia

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