Alle unter Bildungsroman verschlagworteten Beiträge

Nell Zink: Avalon

Avalon – das ist doch die Insel, auf der Morgan le Fay mit ihren Schwestern lebt und das alte, mythische Wissen bewahrt. Die Insel, auf der sie den Halbbruder Artus gesund pflegt. Eine paradiesische Welt also, in der man sich von der harten Realität erholen kann. Brans Leben ist alles andere als paradiesisch. Sie lebt in prekären Verhältnissen bei einer White-Trash-Familie, die ihre Arbeitskraft als Kind und Jugendliche ausbeutet. Avalon begegnet ihr in Form einer kapitalistischen Touristenhochburg auf Catalina Island, südlich von Los Angeles. In den drei Büchern, die ihre Mutter ihr hinterlassen hat. Und in Form eines klapprigen Autos, das den schönen Modellnamen trägt. Und es gibt auch den blitzgescheiten Peter, der sich dem ritterlichen Konzept der Minne verschrieben hat. Aber der Reihe nach. Bran, abgeleitet von Brandy, ist eine moderne Waise. Ihre Eltern haben sie sitzengelassen. Doug, ihr nicht ehelicher Stiefvater, erzählt ihr, da ist sie 16, dass ihr Vater die kleine Familie verlassen habe, als sie 11 Monate alt gewesen sei. Er sei nach Australien verschwunden, Kontakt zu seiner Tochter hat er …

Deniz Ohde: Streulicht

Die Erzählerin kommt zurück in den Ort ihrer Kindheit und Jugend, kommt zurück in den Vorort von Frankfurt, der durch die Chemie-Industrie geprägt ist. Wenn sie jetzt die Wege läuft, dann erinnert sie sich an ihre Abenteuer der Kindheit und Jugend, zusammen mit Sophia und Pikka und immer im Schatten der Chemiefabriken auf der anderen Seite des Flusses. Es ist ein unwirtlicher Ort, aus der Zeit gefallen fast. Denn als, zum Ende der 1980er Jahre, im Ruhrgebiet die Anstregungen des Umweltschutzes längst gegriffen hatten und die Luft schon wieder so gut war, dass weiße Wäsche draußen bedenkenlos getrocknet werden konnte, fällt hier Industrieschnee und es riecht immer sauer. Die namenlose Ich-Erzählerin, Tochter eines Industriearbeiters und einer Mutter, die der Enge des türkischen Dorfes entkommen wollte und dann in der Enge einer Kleinfamilie in einem Vorort festsitzt, kommt an den Ort ihrer Kindheit und Jugend zurück, weil Sophia und Pikka heiraten. Die drei, beste Freunde seit Kindertagen, haben sich voneinander entfernt, als die Erzählerin zum Studium weggezogen ist. Pikka und Sophia dagegen sind geblieben. Pikka hat …

Paul Auster: 4 3 2 1

Wie wäre unser Leben wohl verlaufen, wenn eine kleine Facette der äußeren Einflussfaktoren anders gewesen wäre? Oder wenn wir uns an irgendeiner Stelle anders entschieden hätten? Wenn die Eltern sich hätten scheiden lassen, oder wenn sie es eben nicht getan hätten; wenn ein Elternteil nicht so früh gestorben wäre, wenn die Familie in eine andere Stadt gezogen wäre, wenn die finanzielle Situation anders gewesen wäre, wenn die Eltern andere Freunde gehabt oder wir in andere Schulen gegangen wären, wenn wir uns anderen Freunden angeschlossen hätten, uns in andere Menschen verliebt, eine andere Sportart oder einen anderen Sportverein gewählt hätten? Wenn die gesellschaftspolitischen Entwicklungen andere gewesen wären? Wären wir dann ganz andere geworden als die, die wir heute sind? Paul Auster ist in seinem Roman „4 3 2 1“ genau diesen Fragen nachgegangen. Er erzählt uns die Geschichte von Archibald Ferguson, aber nicht nur von einem, sondern gleich von vier. Alle sind sie Enkel Isaac Reznikoffs, der genau am 1.1.1900 in New York an Land gegangen ist. Er kam aus Minsk, hat sich mit ein paar …