Essay
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Gabriele von Arnim: Liebe Enkel oder Die Kunst der Zuversicht

„Bleiben Sie zuversichtlich“ schickt Ingo Zamperoni jeden Abend seinen Nachrichten über die politischen, gesellschaftlichen und klimatischen Entwicklungen seit der Corona-Pandemie hinterher. Zuversicht erscheint hier als tröstliches Gegengewicht zu den gerade berichteten Krisen, Kriegen und anderen Katastrophen. Dass wir Zuschauenden zuversichtlich „bleiben“ sollen, setzt voraus, dass wir nicht schon längst den Mut verloren haben in dieser „Zeit der Verluste“ (Daniel Schreiber), in der wir als sicher geglaubte politische und gesellschaftliche Verhältnisse verloren geben müssen und die monatlichen Meldungen von Temperaturhöchstständen deutlich machen, welche Folgen unser Raubbau an der Natur hat.

Auch Gabriele von Arnim schaut in ihrem Brief an die Enkel zunächst voller Sorgen auf die Krisen dieser Tage. Man könne verzweifeln, schreibt sie, die Hoffnung verlieren, man könne wüten. Dies sei, so räumt sie ein, ein denkbar merkwürdiger Anfang eines Briefes, in dem es doch um Mut gehen soll, um Zuversicht. Und doch sei es ja gerade wichtig, diese Bestandsaufnahme zu machen, einen umfassenden Blick zu haben auf die derzeitige Gemengelage. Zuversicht nämlich habe nichts zu tun damit, die Augen zu verschließen vor der Realität: „Denn Zuversicht ist nicht weltausblendender Optimismus, der dem Schein mehr Wirklichkeit zubilligt als dem Sein. Zuversicht heißt nicht, in eine Nussschale zu steigen und in See zu stechen, denn Zuversicht hat viel mit Mut, aber nichts mit Übermut zu tun. Und auch nichts mit Naivität.“

Auf der anderen Seite aber führe es auch nicht weiter, sich im Weltschmerz einzuigeln. Das tue weder dem einzelnen gut noch lassen sich durch diese Passivität gelingende Lösungen finden: „Ohne Zuversicht lassen wir alles, wie es ist. Das ist Resignation. Und dann bleibt alles, wie es ist. Aber Aufgeben ist bequem, ist fantasielos, schwächt, macht müde und teilnahmslos – aus Resignation entsteht keine Auflehnung, keine Idee, keine Handlung, kein Ziel.“

Zuversicht sei Vertrauen in die Zukunft. So zitiert von Arnim das Etymologische Wörterbuch. Und so sammelt sie in ihrem Brief viele Beispiele, wie Zuversicht gelebt werden kann. Sie erzählt von Menschen, die auch in den schlimmsten Zeiten ihre Zuversicht nicht verloren haben und berichtet von Projekten, die schon einmal im Kleinen versuchen, ihren Beitrag für das große Ganze zu leisten. Gerade die Auseinandersetzung mit den Problemen biete doch die Möglichkeit, kreativ zu werden, um neue und bessere Lösungen zu finden. Gabriele von Arnim diskutiert auch den Zusammenhang von Zuversicht und Hoffnung und macht deutlich, dass die Begriffe nicht unbedingt als Synonyme verwendet werden können, aber doch zusammengehören. 

Ihre Überlegungen über die Zuversicht hält die Autorin in einem Brief fest, einem Brief, der sich immer wieder an die Enkel richtet, aber ganz explizit auch an alle anderen Lesenden, „denn dieses Buch wie auch die Zuversicht ist natürlich für alle“. Die Form des Briefes – auch wenn der als Buch und zur Veröffentlichung geschrieben wurde – baut für die Lesenden eine Nähe zur Autorin auf und verschafft so ihren Überlegungen Nachdruck. Dazu trägt auch die dialogische Form (oder besser gesagt: die halb-dialogische Form) bei, wenn wir Lesenden uns auf das Spiel einlassen. Der Brief ist – im besten Sinne – hemmungslos subjektiv, denn sie will ja gerade (auch sich selbst?) zeigen, wie „die Kunst der Zuversicht“ glücken kann. Wie in einem privaten Brief verweist die Schreiberin auf die Freundin V., mit der sie auch kontrovers diskutiert über die Zuversicht und die Hoffnung. Wie eine Journalistin erzählt sie von Gesprächen mit Menschen, die sich ihre Zuversicht auch in widrigen Lebensphasen erhalten haben. Und immer wieder zitiert sie Autoren, die sich mit dem Thema auseinandergesetzt haben – sehr gerne Camus. So hat der Brief auch durchaus essayistische Züge. 

Das Vertrauen in die (gute) Zukunft scheint vielen verloren gegangen zu sein. Darüber haben wir auch in meinem literarischen Club gesprochen, im Anschluss an die Lektüre von Daniel Schreibers „Zeit der Verluste“. Und haben uns, weil wir uns auf keine gemeinsame Lektüre einigen konnten, darauf verständigt, beim nächsten Treffen Romane zum Thema „Zuversicht“ mitzubringen und vorzustellen. Da veröffentlichte Gabriele von Arnim ihren Brief gerade zur rechten Zeit, um mir einen Einblick in die Facetten der Zuversicht zu geben. Und darüber hinaus auch persönlich Mut zu machen mit den geballten Eindrücken, wo Zuversicht zu finden ist. Vor allen Dingen aber macht von Arnim deutlich, dass Zuversicht zu haben keine Selbstverständlichkeit ist. Um sie muss gerungen, sie muss eingeübt, sie muss immer wieder neu vergegenwärtigt werden. „Bleiben Sie zuversichtlich“ ist also auch eine Anstrengung.

Gabriele von Arnim (2024): Liebe Enkel oder Die Kunst der Zuversicht, München, Kjona Verlag

9 Kommentare

  1. Hi Claudia
    wir geben Gabriele von Arnim völlig recht, es gibt keinen Grund, keine Zuversicht zu empfinden. Es ändert sich Vieles, aber das ist der Lauf der Geschichte, Hegels Weltgeist. Seit dem frühen Mittelalter spätestens dachte viele Menschen, nun sei das Ende der Welt gekommen. Aber sie besteht immer noch weiter. Die Zukunftsaussichten sind nicht besser und nicht schlechter, als sie immer waren. Sie sind anders. Unsere Herausforderungen ändern sich, und wir sollten uns mit ihnen ändern, ansonsten sind unsere persönlichen Zukunftsaussichten schlecht.
    Frohe Osterferien
    The Fab Four of Cley
    🙂 🙂 🙂 🙂

    • Lieber Klausbernd,
      wahrscheinlich ist es so, wie du schreibst, dass jede Zeit ihre Herausforderungen hat. Vieles von dem, was von Arnim zur Zuversicht schreibt, ist ja eigentlich selbstverständlich. Und doch geht mir manchmal diese Selbstverständlichkeit ab. Ich weiß auch nicht woran es liegt. In den 1980er Jahren war es ja auch nicht wirklich zuversichtlicher, das kommt uns vielleicht nur aus der Rückschau so vor. Vielleicht ist es jetzt ja die Summe der Krisen. Und so habe ich von Arnims Buch tatsächlich auch als tröstlich empfunden.
      Ich wünsche euch eine gute Osterzeit und sende viele fröhliche und bunte Grüße über den Kanal!

      • Liebe Claudia,
        danke für deine ausführliche Antwort. Ich komme aus der Generation der Studenten- und Hippiebewegung. Wir waren der naiven Ansicht, dass wir die Gesellschaft positiv bewegen könnten. Heute sehen ich eher mit einer wohlmeinenden Distanz meine Umwelt. Ich habe augenscheinlich meine naive Zuversicht aus bequemer Lage behalten.
        Happy Easter
        Klausbernd 🙂

  2. Vielen Dank für die zuversichtlichen Betrachtungen der Autorin und Kommentatorin verbunden mit guten Wünschen für frohe Osterfeiertage und herzlichen Grüßen

    Bernd

    • Lieber Bernd!
      Ich wünsche dir auch eine gute und zuversichtliche Osterzeit und schicke herzliche Grüße von der Nordsee.

  3. Hallo Claudia, mir geht angesichts so vieler Dinge auch oft die Zuversicht ab, sei es aufgrund meiner Prägung, einzelner Erfahrungen, aufgrund der schier unverbesserliche Dummdreistigkeit vieler Politiker, der Kriege, Folter oder aufgrund des Klimawandels etc. etc

    Dennoch brauchen wir Zuversicht, jedenfalls für den heutigen Tag. Ich fand da von Arnims Buch „Trost der Schönheit“ und Axel Hackes Buch über die Heiterkeit auch hilfreich. Und Bäume, immer wieder alte Bäume. Und Kunst, die die Jahrhunderte schon überdauert hat. Und Bonhoeffer. Man könnte sich fast einmal eine Liste zusammenstellen…

    Dir jedenfalls immer Quellen der Zuversicht in guter Nähe und schöne Ostertage. Liebe Grüße vom Bodensee. Anna

  4. Hallo Claudia, da hat das grässliche Ferienwohnungsinternet doch glatt meinen Kommentar verschluckt, also probiere ich es noch mal. Zuversicht kann mir auch so rasch entschwinden, sei es aufgrund persönlicher Prägung, bestimmten Umständen, der politischen Lage oder der Ignoranz und Ich-Bezogenenheit so vieler Menschen. Da ist es immer gut, sich seiner eigenen Quellen für Zuversicht zu vergewissern oder sie zu suchen. Schöne Anstöße dazu in der Natur, in Büchern (von Arnim: Trost der Schönheit, Axel Hackes Buch über die Heiterkeit) etc. Dir wünsche ich gute Erholung an der Nordsee (hoffentlich mit passablem Wetter) und immer eine ordentliche Portion Zuversicht für den Tag. Viele Grüße vom Bodensee – Anna

    • Liebe Anna,
      vielen Dank für deine ausführlichen Kommentare (da hat das Ferienhausinternet ja doch alles richtig gemacht). Und viele Grüße an den Bodensee. Mit dem schönen Frühlingswetter über Ostern ist es in diesem Jahr überall offensichtlich nicht so weit her. Aber die Bücher helfen über die eine und andere Regenschauer zuverlässig hinweg.
      Die beiden Bücher von von Arnim und Hacke liegen auch bei mir (zu Hause). Ich habe sie noch nicht gelesen, bin jetzt aber durch dich noch einmal mehr motiviert, sie zur Hand zu nehmen. Quellen der Zuversicht kann man ja wirklich gar nicht genug haben.
      Ich wünsche dir Geduld mit dem Wetter und noch ein paar schöne Tage in schöner Umgebung.
      Viele Grüße in den Süden, Claudia

      • Hallo Claudia, wenn du magst, kannst du natürlich gern einen meiner Kommentare löschen 🙈. Auch dir noch ein paar gute Tage!

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