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Teresa Präauer: Kochen im falschen Jahrhundert

Wie war es doch einfach, in der ersten eigenen Wohnung für Freunde zu kochen oder gleich mit ihnen zusammen. Da wurden Spaghetti gekocht oder Bleche mit Pizzateig und Zutaten belegt. Alle saßen beengt um den Küchentisch und aßen vom zusammengewürfelten Geschirr. Alles war einfach und mal eben so vorbereitet, die Abende wurden lang und lustig.

Diese Leichtigkeit ist der Protagonistin in Teresa Präauers Roman, die durchgängig als „Gastgeberin“ und ohne individuellen Namen benannt ist, völlig abhandengekommen. Die Gastgeberin wohnt nun, ungefähr 40-jährig, endlich in einer der angesagten Altbauwohnungen im richtigen Bezirk der Stadt. Sie besitzt einen schönen Esstisch aus Holz, ein dänisches Designerstück. Zum Kochen wird sie eine besondere Schürze tragen können, auch aus Dänemark, und Geschirrtücher aus Kopenhagen liegen ebenfalls bereit. Die Möblierung ist sorgsam kuratiert und besteht aus Designerstücken, die neben Flohmarktfunden stehen. Die Bühne ist also bestens vorbereitet, so denkt es sich die Gastgeberin wohl, um Gäste einzuladen: ein offenes, freundliches Haus für ihre Freunde wünscht sie sich.

An diesem Abend haben die Gastgeberin und ihr Partner ein befreundetes Ehepaar eingeladen, das gerade ein Kind bekommen hat, und einen weiteren Freund, den Schweizer. Über das Essen hat sich die Gastgeberin viele Gedanken gemacht, es soll erst einen leichten Salat mit Ziegenkäse geben und dann eine Quiche: „Knusprig, cremig, warm und kalorienreich. Der Geschmack von Schinken, Zwiebel, Porree und Ei. Eine Quiche, die zuerst noch gebacken werden musste.“

Präauer startet den Abend gleich drei Mal. Jedes Mal kommt einer der Gäste zu spät, beim dritten Mal treffen das Ehepaar und der Schweizer gleich zusammen eine Stunde zu spät ein. Sie haben sich zufällig getroffen in einer Bar in der Stadt und haben dort schon einmal eine Kleinigkeit gegessen und ein paar Aperitifs genossen. Dort habe man zwei Amerikaner getroffen und mit ihnen diskutiert, gegessen und getrunken. „Hungrig sei er nicht mehr“, wiederholt der Schweizer ein ums andere mal, „aber neugierig auf den Salat.“ Die Gastgeberin denkt sich ihren Teil.

Sie und ihr Partner haben sich die Wartestunde mit einer Flasche Crémant vertrieben: „Der Crémant trug ein chamoisfarbenes Etikett, mit Tuschefeder kalligrafiert war darauf die Herkunftsbezeichnung das Loiretal zu entziffern. Der wäre ohnehin zu gut gewesen für die Gäste, sagte der Partner der Gastgeberin, und beide kicherten.“ Für die Gäste wird später der Crémant aus dem Discounter geöffnet, das Etikett sieht ja auch teuer aus. Nur knapp unter der freundlich-bildungsbürgerlichen Regeln guten Benehmens also sitzen die kleinen Teufel des Regelverstoßes.

Und diese kleinen Teufel schaffen die grandiosen Momente des Romans. Die Gastgeberin taxiert die Ehefrau, die nicht nur mit der Lippenstiftfarbe Peach auf sich aufmerksam macht, sondern auch mit einem so kurzen Kleid, dessen Saum sie ständig herunterziehen muss. Das Gespräch springt fröhlich von vom Stillen entzündeten Brustwarzen der Ehefrau zu den Flüchtlingen in Europa, streift kurz den auf dem Boden liegenden Wittgenstein, dreht sich um die Arbeitslosigkeit der Freundin des Schweizers, streift kurz das Phänomen des Binge Watchings bis der Ehemann mit Hilfe der Servietten zeigt, wie ein Säugling gewickelt wird.

Zwischendurch will die Ehefrau ein schönes Selfie der Gesellschaft am Tisch machen, lädt es dann mit dem Filter hoch, der allen Teilnehmern Blumenkränze um den Kopf zaubert. Dazu läuft im Hintergrund Jazz, sorgfältig zusammengestellt in der Playlist der Gastgeberin. Die steht – wie ihre Großmütter und ihre Mutter – in der Küche und bereitet die Quiche vor, mischt frische Eier mit den Gewürzen und dem Käse, füllt alles auf den Teig überlässt die Quiche 40 Minuten dem Backofen. Nebenbei recherchiert sie im Internet, wie teuer denn die Flasche Rotwein ist, die das Ehepaar mitgebracht hat.

„Dann nahm sie die Flasche Rotwein, öffnete sie, schenkte sich einen großen Schluck in ihr finnisches Glas ein und trank es in einem Zug aus. Ihre Brustwarzen schmerzten nun doch. Es fühlte sich an wie Kochen im falschen Jahrhundert.“

Teresa Präauers Roman über diese kleine Abendgesellschaft kommt so leichtfüßig und lustig daher und deckt doch gnadenlos auf, dass ein Abend mit Freunden keine unschuldige Veranstaltung, sondern allen Regeln der Inszenierung unterworfen ist. Und so kann eigentlich das, worum es bei einer Einladung von Freunden gehen soll, nämlich einen guten Abend mit echten Gesprächen zu führen, ganz und gar nicht gelingen.

Präauer zeigt hier keine individuellen Charaktere, keine Entwicklungen. Schon die durchgehenden Bezeichnungen als „Freund der Gastgeberin“ oder „Ehefrau“ oder „Schweizer“ und ohne individuelle Namen zeigen, dass es hier um kein einzelnes Abendessen geht, sondern um die grundsätzlichen Bedingungen und Abläufe der Abendessen im 21. Jahrhundert. Und die sind, wenn auch anders als bei der Elterngeneration, dann doch mindestens genauso absurd und spießig. Auch wenn wir dabei den Charakteren nicht richtig nahekommen, so lernen wir doch wieder mehr, auf die Geschmacksnoten zu achten. Denn die beschreibt Teresa Präauer so anschaulich, also würden wir sie gerade selber schmecken.

Bei weiter fortgeschrittenem Abend kommen noch die beiden Amerikaner hinzu, die, angelockt vom in die sozialen Medien hochgeladenen Bild der Ehefrau, schon in der unmittelbaren Nähe der Wohnung sind. Mit ihnen, den „Fremden“, bekommt der Abend dann auch noch eine weitere Facette.

Teresa Präauers beißende Gesellschaftskritik ist ein richtig großer Lesegenuss. Und immerhin wissen wir nun, welcher Ballast dahinter steckt, wenn wir doch einfach nur Freunde zum Abendessen einladen wollen.  

Teresa Präauer (2023): Kochen im falschen Jahrhundert, Göttingen, Wallstein Verlag

Teresa Präauer (2023): Kochen im falschen Jahrhundert, Göttingen, Wallstein Verlag

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