Erzählungen, Lesen
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Deesha Philyaw: Church Ladies

Wer sind sie, diese Church Ladies? Frömmelnde Betschwestern, deren Lebensinhalt sich in den Ritualen der Gemeinde erschöpft, die aber sonst an den Anforderungen des alltäglichen Lebens scheitern? Wahrscheinlich ließe sich mit solchen Charakteren nicht gerade Furore machen und der Verlag könnte kaum über den „sensationellen Erzählband“ frohlocken. Jedenfalls klingt „Church Ladies“ schon einmal wesentlich interessanter und spannender als eine mögliche deutsche Übersetzung in Kirchendamen oder Kirchgeherinnen. Und noch spannender klingt der amerikanische Originaltitel: „The secret lives of church Ladies.“ Auch wenn die Übersetzung ins Deutsche eine gewisse Konnotation mit sich bringen würde, so dreht sich, so unterschiedlich die einzelnen Erzählungen auch sind, durchaus alles um die Sexualität. Und die aber muss ja, mit Blick auf die vor allem lustfeindlichen Werte der Kirche, im Geheimen stattfinden.

Gleich in der ersten Geschichte landen wir Leserinnen und Leser in einem Hotel. Dort treffen sich die Ich-Erzählerin Caroletta und Eula schon seit ein paar Jahren regelmäßig und verbringen die Silversternacht zusammen. Sie bringen selbstgemachtes Essen mit und trinken die eine und die andere Flasche Sekt. Und sie landen regelmäßig im Bett. Nur dieses eine Mal im Jahr – und natürlich heimlich, denn das Hotel liegt „zwei Orte weiter“.

Begonnen hat diese Amour fou am dreißigsten Geburtstag Eulas. Der runde Geburtstag war dann auch der Anlass für eine Bilanz, wie weit sie denn ihre Träume der gemeinsam verbrachten Teenagerzeit verwirklicht haben:

„Wir waren beide Romantikerinnen, die auf den Seitenrändern ihrer Mathehefte ihre hawaiianische Doppelhochzeit planten. Unsere Männer sollten Eisenbahner sein wie unsere Väter. Wir würden an der High School unterrichten, uns bei den Kirchendamen engagieren und Tür an Tür wohnen. Unsere Kinder würden zusammen spielen.“

Zwar sind sie nun High-School-Lehrerinnen und in der Kirche aktiv, aber aus der romantischen Hochzeit ist bisher nichts geworden. So steckt Eula sich an diesem Silvesterabend das Ziel, dass es bis zum Valentinstag endlich klappt mit dem Mann, mit dem Ehemann, mit dem Mann, den Gott für sie vorgesehen hat und für den sie sich „aufgespart“ hat. Caroletta fällt aus allen Wolken, was Eula über Jungfernschaft denkt, nach allem, was sie gemeinsam an diesen Abenden im Hotel gemacht haben.

Deesha Philyaw erzählt neun ganz unterschiedliche Geschichten über ganz unterschiedliche Church Ladies. Und sie erzählt ihre Geschichten auch stilistisch höchst variabel: da schreibt eine Frau einen Brief an die bisher unbekannte Halbschwester, die sie mit Mühe gefunden hat, nun, da der gemeinsame Vater gestorben ist. Sie stellt sich und ihre Halbschwestern dabei vor, erzählt von ihrem gemeinsamen, chaotischen und doch vertrauten Familienleben und lädt die Unbekannte dazu ein. Die Geschichte der jugendlichen Jael lesen wir aus gleich zwei Perspektiven, einmal durch Jaels Tagebuch, das die Urgroßmutter findet und liest, zum anderen durch die Gedanken und Einordnungen der Granny. Ein anderes Mal schreibt Olivia, Bäckerin und Konditorin mit eigenem Geschäft, einen wunderbar deutlichen und wirklich nichts auslassenden „Leitfaden für den christlichen Ehebrecher“ und gibt dem Mann klare Hinweise darauf, dass er, der Ehemann „frommer, patenter Frauen“ besonders leichte Beute für sie sei und wie er sie über den Seitensprung hinaus in Ruhe lassen, wie er vor allem auch mit seinen religiösen Schuldgefühlen umgehen soll.

„Unterrichte unbedingt weiter in der Sonntagsschule, leite weiter die Pfadfindergruppe, bleib im Kirchenvorstand.

Wenn dich Schulgefühle übermannen, komm bloß nicht auf die Idee, mir das Evangelium zu predigen oder mich in die Kirche einzuladen. Komm mir nicht mit Buße und Reue, denn ich bereue nichts.

Du kannst meine Seele nicht retten, weil sie nicht in Gefahr ist.“

Olivia haben die Leserinnen und Leser schon in einer früheren Erzählung kennengelernt. Damals war sie noch ein Kind, eine Jugendliche, eine junge Erwachsene. Und sie hat damals schon mit einem christlichen Herren in durchaus heiklen Situationen Bekanntschaft gemacht. Denn lange dachte sie, Referend Neely sei Gott selbst, der jeden Montag ihre Mutter besuchte, die ihm dazu den allerbesten Pfirsich-Auflauf servierte. Dessen entblößten Hintern Olivia einmal betrachten konnte, als sie eines heißen Maimontags nach Hause ging und eine Windbrise den Vorhang anhob und den Blick auf das Bett der Mutter freigab. Aber da wusste sie schon, dass Neely nicht Gott ist.

Vom Auflauf bekam Olivia in all den Jahren nie einen Krümel ab, selbst wenn der Referend die Mutter versetzt hatte. Dann landete das Gebäck im Mülleimer und es gab einen großen Streit, als die Mutter Olivia des Nachts im Müll wühlend erwischte. Das aber war der Anreiz für Olivia, selbst mit dem Backen zu beginnen.

In dieser sicherlich besten Geschichte des Buches, es ist auch die längste, sind dann auch alle Motive enthalten, die auch die andere Geschichten tragen: das problematische Verhältnis zwischen Mutter und Tochter, die christliche Doppelmoral, die Suche nach einem Platz im Leben. Und Olivia ist es, von der der „Leitfaden für den christlichen Ehebrecher stammt“. Sie ist in ihrer erwachsenen Haltung jedenfalls so klar, dass sie in ihrem Leben angekommen zu sein scheint.

Ganz wortwörtlich den Platz zum Leben haben auch Leelee und Rhonda gesucht und sind den homophonen Diskriminierungen der Südstaaten entflohen als Leelee einen Job als Dozentin im Norden bekommen konnte. Aber der Norden kommt mit ganz anderen Herausforderungen daher: mit Kälte, Eis und Schnee. Leelee hasst diese ewige Kälte, vermisst ihre Mutter, vermisst ihre Heimat. Das führt dann auch zu Spannungen mit Rhonda, die zwar auch meint, dass schwarze Frauen nicht für Schnee gemacht seien, die aber doch jeden Morgen früher aufsteht, um die Einfahrt mit wilder Entschlossenheit vom über Nacht gefallenen Schnee zu befreien.

Die Church Ladies – das sind also so viele unterschiedliche Frauen aus unterschiedlichen sozialen Schichten und mit unterschiedlichem Alter. Der Erzählband also ein Kaleisdoskop von Frauenleben, deren Verschiedenheit sich auch in den Erzählformen und -stilen niederschlägt. In diesen – zumeist jedenfalls – recht normalen und alltäglichen Leben spielen sich die üblichen Dramen und Konflikte ab, die das Leben so mit sich bringt und die die Church Ladies mit viel Kraft und Pragmatismus, manchmal auch Unduldsamkeit und Strenge, bewältigen. Wobei sie ja längst nicht immer nur auf der „guten“ und richtigen Seite der Moral stehen. Und auch wenn die Geschichten in den USA spielen und dort in der schwarzen Community, so können doch auch weiße europäische Leserinnen sich ohne Probleme mit der einen oder anderen Protagonistin identifizieren und sich in ihre Leben hineindenken und -fühlen.

Dabei kommen die Männer in diesen Geschichten generell schlecht weg, weil sie entweder schon lange über alle Berge sind oder höchst unzuverlässig oder absehbar ausbeuterisch. Das ist vielleicht auch der Wermutstropfen bei der Lektüre, wobei Philyaw nicht die einzige Autorin ist, die kein gutes Haar an die Männer lässt. Vielleicht strahlen Selbstständigkeit und Energie der Frauen mehr, wenn die Männer abwesend und unbrauchbar sind. Trotzdem – und ohne dass ich hier eine Lanze brechen möchte für die ja nur vermeintlich seelig machende Hetero-Ehe: auch Brüder können ja nette Männer sein, so wie Väter oder Freunde.

Ob der Erzählband, wie der Verlag schreibt, nun wirklich sensationell ist, liegt sicherlich im Auge des jeweiligen Betrachters. Jedenfalls versammelt er die Geschichten von starken Frauen, die sich mal ihren Platz im Leben erobert haben, die manchmal noch danach suchen. Die sich manchmal auch durch die merkwürdigen moralischen Wegweiser ihrer Kirche verlaufen haben.

Deesha Philyaw (2022): Church Ladies, aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Elke Link und Sabine Roth, Cadolzburg, Ars Vivendi Verlag

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