am Rande notiert

1. Frauenleserin Blogparade zum Jahresende

Kerstin Herbert hat zur Blogparade aufgerufen. Sie interessiert die Frage, ob auf den Blogs ähnlich gelesen wird, wie in den Feuilletonredaktionen, ob nämlich vor allem die männlichen Autoren wahrgenommen werden. Und sicherlich möchte sie mit ihren weiteren Fragen auch noch einmal die Literatur von Frauen in den Fokus rücken, die uns Blogger im Laufe des Lesejahres 2018 in verschiedenen Bereiche besonders beeindruckt haben.

Anlass zu ihrer Blogparade ist ein Beitrag im NDR. Dort wird berichtet über ein Forschungsvorhaben zum Geschlechterverhältnis in der Literaturkritik, das an der Universität Rostock durchgeführt worden ist: Bei ungefähr gleichen Veröffentlichungszahlen in Belletristik und Krimi werden aber, so das Ergebnis der Untersuchung, 70 % Bücher von Autoren besprochen – und an diesen Zahlen haben auch die Kritikerinnen ihren Anteil. Elisabeth Prommer, die die Studie ausgewertet hat, meint dann auch, dass alle Beteiligten schon das Gefühl einer Gleichverteilung hätten, wenn es in Wahrheit um ein Verhältnis von zwei dritteln Büchern von Autoren und einem Drittel Büchern von Autorinnen gehe. Die Redaktion des NDR-Kulturjournals hat dann auch gleich mal bei den eigenen Beiträgen nachgezählt: „Und ja, auch das Kulturjournal hat in diesem Jahr zu 68 Prozent Autoren besprochen. Und nein, damit hätten wir nicht gerechnet.“

Im Sommer schon gab es im Dlf ein Interview mit Veronika Schluchter, die sich an der Universität Innsbruck unter dem Titel „Gender in der Literaturkritik“ auseinandersetzt. Auch diese „Auszählung“, und dabei wurden über 15 Jahre lang Daten von vier überregionalen Tageszeitungen (FAZ, der Standard, TAZ und NZZ) erhoben, kommt zu dem Ergebnis, dass im Feuilleton der genannten Zeitungen sich rund 70 % Kritiker zu Wort melden und sich auch nur ungefähr ein Viertel der Texte mit den Werken von Autorinnen auseinandersetzen. Schluchter erklärt auch, warum das so ist und welche Konsequenzen es hat.

Nun, im letzten Jahr sind sehr renommierte Buchpreise allesamt an Autorinnen gegangen: der Georg-Büchner-Preis an Terézia Mora, der Preis der Leipziger Buchmesse an Esther Kinsky, der Wilhelm-Raabe-Preis an Judith Schalansky, der Deutsche Buchpreis an Inger-Maria Mahlke. Trotzdem: unabhängig von den Preisträgerinnen und ihrer Strahlkraft ist es doch spannend zu schauen, wie der ganz normale Besprechungsalltag aussieht. Und so habe ich auch einmal nachgezählt.

Dabei suche ich Bücher nicht danach aus, ob sie von Frauen oder von Männern sind, aus Publikums- oder unabhängigen Verlagen. Mich interessiert vor allem die Geschichte, die sich am liebsten mit gesellschaftspolitischen Fragen auseinandersetzt oder gar beleuchtet, wie das ökonomische Denken von Ertrag und Zielorientierung immer mehr in das Alltagsleben schwappt. Im letzten Jahr scheine ich bei meiner Suche besonders bei den Autorinnen fündig geworden zu sein, im Jahr davor aber habe ich jedoch nicht einmal im üblichen Drittel-Schnitt gelesen.

Wie hoch ist Deine „Frauenquote“? Wie viele Bücher hast Du in diesem Jahr gelesen und/oder rezensiert? Wie viele davon wurden von Autorinnen verfasst?

Ich habe gezählt: Nur zwanzig Bücher habe ich auf dem Blog besprochen, 7 Bücher von Autoren, 13 Bücher von Autorinnen. Macht eine Quote von 65 % zu 35 % für die Autorinnen. 2017 aber war das deutlich anders: Da habe ich mich nur 25 % meiner Beiträge mit den Büchern von Frauen auseinandergesetzt.

Welches Buch einer Autorin ist Dein diesjähriges Lesehighlight? (Warum?)

Mich auf ein Buch zu beschränken, finde ich zu schwer. Es gibt eine Reihe Romane, die jeweils beeindruckende Besonderheiten haben, die ich schlecht vergleichen, die ich noch schlechter kategorisieren kann. Also nenne ich mal drei:

Anja Kampmann hat mir mit ihrem Debüt „Wie hoch die Wasser steigen“ ganz besondere Lesestunden beschert. Ihren melancholischen Protagonisten Waclaw, der die letzten Jahre auf Ölbohrinseln überall auf der Welt gearbeitet hat, auf seiner Reise durch Europa und auf der Suche nach Heimat und Halt zu begleiten, in dieser besonders poetischen, lyrischen Sprache, das war schon großartig.

Terézia Mora war für mich eine echte Neuentdeckung. Denn abgesehen von ihrer Poetikvorlesung „Nicht sterben“ habe ich noch keinen ihrer Romane gelesen. Also war der Erzählband „Liebe unter Aliens“ die erste Annäherung an das Erzählwerk. Und obwohl ich nicht die größte Freundin von Kurzgeschichten und Erzählungen bin, so haben mich diese Geschichten Moras um Außenstehende sehr für ihre Schreibkunst eingenommen.

Kathrin Gerlof erzählt in ihrem Roman „Nenn mich November“ die Geschichte der Absteigerin Marthe, die ihren Namen nicht mag und so ihre Freunde auffordert, sie November zu nennen. Aus gut situierten Verhältnissen mit zwei gut bezahlten Jobs stürzen sie und ihr Mann David in die private Insolvenz, als ihre Geschäftsidee mit kompostierbarem Geschirr nicht die gewünschten Erlöse bringt (vielleicht waren sie einfach ein paar Jahre zu früh am Start und hätten nun bessere Chancen….). Die Berliner Wohnung können sie so nicht mehr halten, überhaupt wird das Leben in der Großstadt zu teuer. Und so ziehen sie aufs Land, in ein kleines Dorf inmitten der Mais-Monokultur. Und dort lernt Marthe, was es bedeutet, fremd zu sein.

Welche Autorin hast Du in diesem Jahr für Dich entdeckt und was macht sie für Dich so besonders?

Céline Minards Roman „Das große Spiel“ erzählt die Geschichte einer Protagonistin, die sich in den Bergen auf ca. 1500 Metern eine Hightech-Überlebenskapsel baut, um die nächsten Monate und Jahre alleine in den Bergen verbringen zu können. Dort legt sie Beete an, erwandert und erforscht ihre Umgebung. Irgendwann trifft sie auf Spuren einer anderen menschlichen Existenz. Und so beginnt „Das große Spiel“.

Minard schreibt einen Abenteuerroman mit einer weiblichen Hauptfigur, die sich neben den notwendigen, manchmal ja durchaus beschwerlichen Tätigkeiten auch dem Beobachten von Vögeln, dem Betrachten der Natur und der Auseinandersetzung mit Fragen der Existenz und der Macht auseinandersetzt. Wenn sie diese andere Existenz trifft, wenn es dann darum geht, wer hier die Macht gewinnt, dann schleichen sich auch schauerliche Momente in den Abenteuerroman.

„Das große Spiel“ ist nicht der erste Roman Minards. Ein Blick in ihre Werke zeigt, dass sie in ihren Romanen auch immer wieder mit anderen Genres experimentiert. So hat sie einen Western geschrieben („Mit heiler Haut“) und die Lebensbeichte einer erfolgreichen Schriftstellerin („So long, Luise“). Diese Lust, bei jedem Roman etwas ganz Neues auszuprobieren, dafür auch immer wieder mit den Motiven der jeweiligen Genres zu spielen und eine dazu passende Sprache zu erproben, finde ich sehr faszinierend. „Mit heiler Haut“ habe ich schon gelesen: ein toller Western, abseits der üblichen Klischees – die aber trotzdem alle eine Rolle spielen. Das ist auch „ein großes Spiel“. Und so liegt auch „So long, Luise“ hier schon zum Lesen bereit.

Welche  weibliche Lebensgeschichte bzw. Biografie hat Dich in diesem Jahr besonders beeindruckt (und warum?)

Zu diesem Thema habe ich nichts gelesen.

Welches Buch einer Autorin möchtest Du in 2019 unbedingt lesen?

Da habe ich schon zwei Bücher im Blick, die auch schon bei mir eingezogen sind. Die bestätigen, was ich oben geschrieben habe, dass wohl im Moment die Frauen diejenigen sind, die von „meinen Themen“ erzählen:

StellingAnke Stelling: Schäfchen im Trockenen  – Darin erzählt die Erzählerin Resi davon, wie dumm es war, die tolle und vor allem bezahlbare Mietwohnung in der Berliner Innenstadt als Untermieter eines Freundes zu mieten, der sie nun, nachdem er sich über sie geärgert hat, aus der Wohnung wirft. Da wird sie nun mit Ehemann Sven und den drei Kindern genau zum neuen Jahr auf der Straße stehen.

Und nun rechnet sie ab mit ihren alten Freunden, die, so sieht Resi es, alle ihre Ideen und Werte aus Schul- und Unizeiten längst über Bord geworfen haben, um in einem bürgerlichen Alltag anzukommen, der vielleicht nicht so spießig ist, wie der der Eltern, aber dieselbe normierende Kraft hat. Die, weil sie die richtigen beruflichen Entscheidungen getroffen und Kinder erst später bekommen haben, über ganz andere finanzielle Verhältnisse verfügen als Resi und Jens, die sich beide als Künstler mehr schlecht als recht durchs Leben larvieren.

MermerVerena Mermer: Autobus Ultima Speranza – Im Bus der letzten Hoffnung sitzen die Arbeitsmigranten aus Rumänien, die den Bedrückungen der Arbeitslosigkeit dort versuchen zu entkommen, indem sie sich in in West-Europa im Dienstleistungsbereich zu niedrigsten Löhnen verdingen. Und mit diesem Bus ab und zu nach Hause fahren, um die Familien zu besuchen. So auch jetzt, zwei Tage vor Weihnachten.

Das scheinen zwei spannende Bücher über die aktuellen gesellschaftlichen (und wirtschaftlichen) Probleme zu sein. Ich bin sehr gespannt.

Und auf Kesrtin Herberts Seite findet ihr auch die Links zu den anderen Blogs, die bei dieser Blogparade teilnehmen.

1 Kommentar

  1. Liebe Claudia.

    Ich freue mich sehr, dass Du Dich an meiner Challenge beteiligst.

    Das Interview mit Veronika Schluchter ist an mir vorbei gegangen. Das werde ich mir aber bestimmt noch einmal in Ruhe zu Gemüte führen.

    Viele Grüße.
    Kerstin

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