Der Hund in der Literatur, Lesen, Novelle, Romane

#lithund: Der melancholische Hund

Der Begriff des „schwarzen Hundes“ als Metapher für Melancholie und Depression geht wohl zurück auf den Schriftsteller Samuel Johnson, der im 18. Jahrhundert lebte. Winston Churchill nutzte dann den Begriff zwei Jahrhunderte später wieder für seine depressiven Episoden und machte ihn so weithin bekannt. In seiner Folge zog das Bild des schwarzen Hundes dann in die verschiedenen Künste ein. So erklärt Gordon Parker im Vorwort zu Matthew Johnstones Buch über den schwarzen Hund und die Depression, wie der Begriff entstand.

hundinderliteraturMerkwürdig ist dieser eher negative Zusammenhang auf den ersten Blick aber dann doch. Denn seit vermutlich um die 30.000 Jahre leben Mensch und Hund zusammen, schätzen die Menschen doch die Treue des Hundes, seine Gelehrigkeit und Wachsamkeit, seinen Mut und sein Geschick. Bei der Jagd und bei der Sorge um Hof und Vieh arbeiten Menschen und Hunde zusammen. Und mittlerweile sind Hunde als Familienmitglieder im engsten Kreis angekommen. Und da wird ein Hund als Symbol einer so ernsten Erkrankung wie der Depression herangezogen?

Ein Blick zurück zu den „alten“ Ägyptern und Griechen zeigt, dass dort hundsköpfige Götter über den Tod und den Eingang zum Totenreich herrschten. Anubis, der ägyptische Gott, sorgte sich um die Totenriten und die Mumifizierung und Zerberus, der Höllenhund, stellte für die Griechen den meistens dreiköpfig abgebildeten Bewacher des Hades dar. Viel später, und deutlich inspiriert von Zerberus, taucht auch in den nordischen Mythen der Hund Garm als Bewacher der Hölle Hel auf. Und die Waliser wiederum kennen in ihrer Mythologie Cŵn Annwn, die Hunde Annwns, des Königreichs der Unterwelt. Diese Hunde sind weiß und gespensterhaft und sie haben rote Ohren.

Möglicherweise von diesen mythischen Hunden angeregt, die alle mit dem Tod in Verbindung gebracht werden können, hat sich in den englischen Legenden der Hund als Furcht einflößende Nachtgestalt entwickelt. Er ist der wilde Hund, ist oft besonders groß und hat leuchtende Augen, er verkündet Unheil, flößt Angst ein und wird nicht selten mit dem Tod assoziiert. Vielleicht ist vor diesem Hintergrund zu erklären, wie den positiven Eigenschaften des (realen) Haus- und Hofhundes die dunklen Eigenschaften der Depression in Gestalt des schwarzen Hundes entgegengesetzt worden sind.

Und so hat der „schwarze Hund“ als Symbol der Depression auch Einzug in die Literatur genommen. Drei Beispiele mögen dies belegen:

Matthew Johnstones Doppelband „Der schwarze Hund. Wie man Depressionen überwindet und Angehörige und Freunde dabei helfen können“ erklärt in knappen Texten, wie es sich für die Betroffenen anfühlt, wenn eine Depression beginnt und mehr und mehr Platz beansprucht, und erklärt auch, dass sie zu lindern ist. Der zweite Teil bzw. zweite Band stellt die Phänomene der Erkrankung für Angehörige und Freunde dar und widmet sich auch den Möglichkeiten, mit denen man gemeinsam etwas tun kann, um den schwarzen Hund zu akzeptieren.

Die knappen Erklärungen skizzieren jeweils die verschiedenen Symptome, sie erklären aber auch ebenso knapp und prägnant die Wege, die es gibt, um eine Depression zu überwinden und machen insofern Mut. Die Konzeption des Buches – und sicherlich auch Garant für den Erfolg – ist der schwarze Hund selbst bzw. besser gesagt: seine Illustration. Auch wenn der schwarze Hund riesengroß wird, weil die Depression den Menschen fest in ihren Klauen hat, so schaut der Hund nie böse oder Furcht einflößend, sondern eher ausdruckslos oder stoisch. Er wirkt alleine durch seine Anwesenheit, seine Körperlichkeit, seine Anhänglichkeit, sein stetes Folgen – und erweist sich damit wiederum als der treue Hund, wie wir ihn kennen. Gerade diese Darstellung des schwarzen Hundes aber trägt in hohem Maß dazu bei, die Krankheit zu entdämonisieren, ihr den besonderen Schrecken zu nehmen. Mit diesem Hund, so denkt man beim Betrachten, mit dem kann man doch eigentlich klarkommen.

Marion Poschmann erschafft gleich zu Beginn ihrer „Hundenovelle“ eine Szenerie, die an ein Bild erinnert, einen Stich von Albrecht Dürer mit dem Titel „Melencolia I“. In Poschmanns Geschichte streift die Protagonisten durch die Industriebrache am Rande der Stadt, blickt auf die aufgegebenen Fabrikhallen, steigt über Schrott und betrachtet die Natur, die sich hier ihren Platz zurückerobert. Auf einem Stein sitzend, das Kinn in der Hand, betrachtet sie diese Umgebung, die ganz deutlich ihre eigene Situation widerspiegelt, ein einsames, irgendwie auch aufgegebenes Leben. Da gesellt sich ein Hund zu ihr, ein schwarzer Hund, der sich, zusammengerollt, neben sie legt. Der sie später, als sie aufsteht, begleitet, als gehöre er zu ihr. Sie wird ihn nicht los, er folgt ihr, auch wenn sie eine Straßenbahn besteigt, er geht mit ihr ins Haus, als würde er es schon sein Leben lang so tun. Und so kommt die Protagonistin zu einem Hund, gerät durch ihn in die – manchmal urkomisch verrückte – Welt der Hundebesitzer, mit Hundefriseuren und Tierheimen, mit der Konsumwelt rund ums Tier und manchmal tatsächlich wegen des Hundes auch in Kontakt mit anderen Menschen. Vor allem aber wird der Hund zu ihrem Begleiter, wenn sie durch das Naturschutzgebiet streift, durch die Industrieruinen, durch die vielen üppig wachsenden Gräser, Stauden und Büsche.

Man kann die Geschichte lesen, wie sie erzählt wird, als Blick in das einsame, traurige, träge und schwere Leben der Protagonistin in diesem sehr heißen Sommer – den Hundstagen. Das Eingangsbild aber, der Bezug zu Dürers Stich, lässt vermuten, dass die Novelle auch noch auf einer anderen Ebene gelesen werden kann, auf der Ebene, in der all die Bilder, die Poschmann kreiert, auch Symbole dieser großen Traurigkeit und Schwere sind, in der die Protagonistin sich befindet, beziehungslos und nur mit ihrer toten Mutter Zwiesprache haltend, arbeitslos und so auch ohne die sozialen Kontakte und Bestätigungen, die eine Arbeit bieten kann. Dafür nun der Hund, der sich treu an sie hängt, als Begleiter, als ein Wesen, für das sie sorgen muss und das ihrem Tag eine gewisse Ordnung und Struktur gibt, das auch für Kontakte zu anderen sorgt – und seien sie noch so absurd. So spielt Poschmann kunstvoll mit den vielen Symbolen aus Dürers Bild, übersetzt sie in eine andere, in unsere Zeit, übersetzt sie in Sprache und umkreist so das Dürer´sche Thema, die Melancholie, die Depression.

Ein Hund spielt auch eine ganz wesentliche Rolle in Michael Köhlmeiers „Idylle mit ertrinkendem Hund“. Dr. Beer trifft ihn bei einem Spaziergang am alten Rhein. Er, der bisher so unnahbare Lektor, zu dem der Schriftsteller in den vielen Jahren der Zusammenarbeit kaum vertrauliche Momente herstellen konnte, besucht den Schriftsteller in seinem Haus, gerät beim Anblick des mit tropischen Pflanzen fast völlig zugewucherten Wintergarten schier aus dem Häuschen und schließt sich dem wegen des Unfalltodes der Tochter nachts immer wieder schlaflosen Ehepaars umstandslos in seinem Pyjama in der Küche an. Und er trifft diesen großen schwarzen Hund beim Spaziergang, freundet sich mit ihm an, obwohl er doch eigentlich verkündet hat, Angst vor Hunden zu haben. Dieser hier aber scheint ganz anders zu sein, schaut kein bisschen bösartig, sodass Dr. Beer sogar sein Butterbrot mit ihm teilt.

Als am nächsten Tag Schriftsteller und Lektor gemeinsam einen Spaziergang unternehmen, treffen sie den Hund wieder. Der steht auf dem zugefrorenen Wasser, freut sich, den Lektor wiederzusehen – vielleicht wegen der Brote – und rennt auf die beiden Spaziergänger zu. Dabei bricht er ins Eis ein und droht zu ertrinken. Dr. Beer macht auf dem Absatz kehrt, um Hilfe zu holen, der Schriftsteller aber geht übers Eis, um den Hund aus dem Loch zu ziehen. Dabei droht er selbst, ganz ins Wasser abzurutschen, denn Hund und Mensch klammern sich aneinander, und der Schriftsteller, der sich aus dieser misslichen Lage durch das Ausziehen seines Mantels befreien könnte, verharrt gemeinsam mit dem Hund, halb auf dem Eis, halb im Wasser, bis endlich die Hilfe kommt, die Dr. Beer herbeigerufen hat. Gerade diese Rettungsszene, die vor dem Auge des Lesers – über mehrere Seiten hinweg erzählt – quasi in Zeitlupe abläuft, gehört zu den eindrucksvollen und spannenden Szenen, die der Leser so schnell nicht wieder vergisst.

Wenn ein Schriftsteller und ein Lektor in einer Geschichte die Protagonisten sind, dann wird die Geschichte wahrscheinlich nicht nur auf der Bildebene gelesen werden können, sondern auch, wie in Poschmanns Novelle, auf der Ebene der Symbole. Da passt das eisige und schneereiche Wetter sehr gut zur Stimmungslage der verwaisten Eltern, das üppige Pflanzenleben im Wintergarten ist dazu ein Gegenpart. Und der Hund, der große, besitzerlose, schwarze Hund, der völlig unbegreiflicherweise eine Freundschaft zu dem sonst so verstockten Dr. Beer sucht, und den der Schriftsteller nun retten will, auch wenn es sein eigenes Leben bedeutet, treibt in ganz besonderer Weise die Auseinandersetzung mit dem Unfalltod der Tochter voran, denn nun kann er ein Leben retten und greift den Hund, wie er seine Tochter hätte greifen und retten wollen.

So ist der Hund in Köhlmeiers Geschichte vielleicht nicht das Symbol für eine Depression, für Trauer aber doch. Und er schafft die Gelegenheit für den Schriftsteller, sich noch einmal ganz anders mit seiner Trauer auseinanderzusetzen.

Der Hund in der Literatur also hat sich längst von seiner Vergangenheit als Höllenhund, als Zeichen des baldigen Todes oder als nächtliche Schauergestalt emanzipiert. Auch wenn er immer noch in Verbindung steht zu den dunklen, traurigen, schweren Gefühlen der Menschen, ist sein Wirken doch wesentlich komplexer und erscheint längst nicht mehr als nur Angst einflößend. Die Möglichkeiten des literarischen Spiels, das die gegenwärtige Literatur an der Symbolik des Hundes erprobt, der ja immerhin als kreatürliches Geschöpf dem Menschen einen über Verstand und Gefühl hinausgehenden Zugang zur Deutung der Welt ermöglichen kann, sind dabei weitaus facettenreicher, interessanter und vieldeutiger als der „alte“ Blick auf den Hund als Ausdruck von Angst und Schrecken.

Matthew Johnstone (2016): Der schwarze Hund. Wie man Depressionen überwindet und Angehörige und Freunde dabei helfen können, übersetzt von Nils Thomas Lindquist und Sabine Müller, München Antje Kunstmann Verlag

Marion Poschmann (2008): Hundenovelle, Frankfurt, Frankfurter Verlagsanstalt

Michael Köhlmeier (2008/2013): Idylle mit ertrinkendem Hund, München, dtv

 

4 Kommentare

  1. Liebe Claudia,
    was für ein gelungener Beitrag zu unserem Projekt #lithund – der auch zeigt, wie vielseitig die Gestalt des Hundes in der Literatur ist. Ich hab mir offen gestanden auch noch nie Gedanken gemacht, woher der Zusammenhang „schwarzer Hund“ und „Depression“ kommt – Du hast mich mit Deinen einführenden Worten eigentlich erst mit der Nase drauf gestoßen. Und das wunderbar erklärt – wieder was gelernt, danke schön! Anhand des Buches von Marion Poschmann und deinen Erläuterungen dazu ist mir noch der Gedanke gekommen: Hunde sind ja schon, im positiven Sinne, wahnsinnig treu, folgen Dir auf Schritt und Tritt. Lassen sich manchmal nicht abschütteln – so wenig, wie ein depressiv erkrankter Mensch seine Krankheit einfach abschütteln kann. Da geht es eben nicht, sich „zusammenzureißen“. Vielleicht ist auch deswegen der Hund, der an Dir klebt, ein treffendes Symbol – und wenn man als Betroffener weiß, ich kriege den nicht los, den Hund, der bleibt bei mir – dann ist das vielleicht auch ein wenig hilfreich im Umgang mit der Krankheit…
    Liebe Grüße von Birgit

    • Liebe Birgit,
      das Bild der Treue und Anhänglichkeit des Hundes, den man überhaupt nicht los wird (ich habe hier auch solch ein Exemplar, das im Haus nicht weiter als zwei, höchsten drei Meter von mir entfernt sein kann, das mich eigentlich schon hütet) als Bild für die Depression zu nehmen, die man wolh auch nicht einfach mal so abschütteln kann, finde ich mittlerweile auch sehr überzeugend. Und auch mit Blick auf Johnstones Darstellung der Depression als schwarzen Hund macht diese Deutung ja Sinn.
      Trotzdem finde ich es spannend und auch befremdlich, den Hund, zu dem wir ja im allgemeinen eine positive Haltung haben (wenn man mal von hundeängstlichen Menschen absieht), mit solch einer Krankheit in Verbindung zu bringen. Deshalb habe ich mich gefragt, woher dieses negative Bild kommt. Und dann kommt man schnell zu den alten Ägytern. Vielleicht könnte auch Susanne Haun, als Expertin für die bildenden Künste, diesem Aspekt noch ein bisschen erweitern.
      Und bei Köhlmeier, in dessen Geschichte ja der Hund gerettet wird, wird das Bild quasi herumgedreht, ist der Hund der Katalysator vielleicht sogar für eine Trauerarbeit.
      Einen „ähnlichen Hund“, nämlich einen, der eine Entwicklung anregt, gibt es auch in Adriaan von Dis´ Roman „Ein feiner Herr und ein armer Hund“, der noch auf eine Besprechung wartet.
      Und vielen Dank…
      Viele Grüße, Claudia

  2. Liebe Claudia, vielen Dank für diese äußerst anregende Büchervorstellung! Mir geht es wie Birgit: Ich hatte mir bisher nie Gedanken über die Entstehung des Bildes vom „Schwarzen Hund“ gemacht – die Illustrationen in Matthew Johnstones Buch hatten mich quasi visuell-fraglos mitgenommen. Dass du als Hunde“mutter“ noch mal einen anderen (kritischeren) Zugang hast, finde ich sehr plausibel und die Erklärungen, die du gefunden hast, sehr interessant. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, scheint mir der Hund auch deshalb eine gute Chiffre zu sein, weil man ihn umarmen kann – und bei der Depression wohl ein Stück weit auch muss, wenn man mit der Krankheit leben will. Ein bisschen so wie in Köhlmeyers „Idylle“, auch wenn es da – ich stimme dir zu – weniger um Depression als um Trauerarbeit geht. Liebe Grüße!

  3. Dass die Übersetzung jetzt verfügbar ist, wäre mir glatt entgangen. Danke für den differenzierten und unterhaltsamen Artikel!

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