Er ist dem Leser wirklich fremd, Meursault, der Protagonist und Ich-Erzähler des 1942 erschienen Romans von Albert Camus, gerade dem Leser, der zuvor mit Verena Lueken und Henning Mankell angesichts einer Krebsdiagnose über die Dinge des Lebens nachgedacht habt und darüber, „was es heißt, ein Mensch zu sein2. Und da kommt nun dieser Meursault, dem offensichtlich alles egal ist, der sich nicht nur für nichts interessiert und begeistert, sondern dem nichts wichtig zu sein scheint, ja, der wohl offensichtlich nicht einmal eine Moral hat und sich so von seinem Nachbarn Raymond einspannen lässt, um einen dubiosen Brief zu schreiben und sogar falsch für ihn auszusagen. Nur, damit Raymond sich bei einer Frau rächen oder sie erniedrigen kann.
Meursault fühlt sich wohl auch fremd in seiner Umgebung, fühlt sich nirgendwo richtig zugehörig, hat einen distanzierten, aber sehr detailliert beobachtenden Blick auf seine Welt. Seine Mutter ist gestorben – damit beginnt der Roman –, aber Meursault scheint keine Trauer zu empfinden. Minutiös beschreibt er, wie er seinen Chef um Urlaub bittet, wie üblich in Célestes Restaurant isst und das Mitgefühl bemerkt, dass die anderen Gäste ihm entgegenbringen. Wie er zum Bus rennt und dort die Fahrt nach Marengo verschläft, wie er im Altersheim ankommt und mit dem Heimleiter spricht, wie er in der Leichenhalle sitzt und den Abend und die Nacht dort verbringt. Den Widerspruch, als der Heimleiter erwähnt, seine Mutter habe eine religiöse Bestattung gewünscht, er sich aber daran erinnert, dass seine Mutter, wenn auch nicht ausdrücklich Atheistin, so doch ohne engere Beziehungen zu Glauben und Kirche war, räumt er nicht aus der Welt.
Nach der Rückkehr nach Algier verbringt er seine freie Zeit mit Marie, sie gehen ins Kino, fahren zum Schwimmen ans Meer, aber auf ihre Frage, ob er sie denn liebe, antwortet er ganz lapidar: „Ich habe geantwortet, dass das nichts heiße, dass es mir aber nicht so scheine.“ Immerhin, dass Marie über seine merkwürdige Antwort traurig ist, dass bemerkt er schon.
Meursault hat keine besonderen Interessen, er lebt einfach seinen gleichförmigen Alltag. Wenn er Zeit hat, sitzt er auf seinem Balkon und beobachtet, wie die Menschen erst in die eine Richtung schlendern, ein paar Stunden später in die andere. Wenn er Hunger hat, isst er im Restaurant von Céleste. Abends, nach der Arbeit spricht er mit seinen Nachbarn, mit Raymond, dem im Viertel nachgesagt wird, er sei Zuhälter, mit Salamano, dem alten Herrn, der seinen Hund verloren hat. So ohne jede Höhe, ohne jede Tiefe erzählt Meursault von seinen Tagen.
Und trotzdem, trotz dieser distanzierten Erzählhaltung, trotz der alltäglichen Gleichförmigkeit, trotz einer Sprache, die diese Gleichförmigkeit durch die kurzen, immer wieder ähnlich gebildeten Sätze spiegelt, verstricken wir uns in seinem Alltag und folgen ihm bereitwillig in Raymonds Wohnung, zum Gespräch mit Salamano, zu den Treffen mit Marie. Es geht, gerade von der Sprache, eine faszinierende Wirkung aus, die immer mehr Neugierde entfacht, wie die Geschichte weiter geht. Und es mag sein, dass diese Faszination gerade dadurch entsteht, dass Meursault so genau beobachtet, sowohl seine Umgebung, die Stimmungen seiner Mitmenschen, aber auch seine eigenen Befindlichkeiten. Er kann beschreiben, wie er beim Händeschütteln mit Salamano dessen Hautschuppen gefühlt hat. Immer wieder schaut er in den Himmel und nimmt die kleinste Farbveränderung wahr, er ist einmal blaugolden, wenig später, gegen Abend, wird er rötlich, an einem anderen Tag ist er grün. Die Beerdigungszeremonie beschreibt er als „überstürzt, vorschriftsmäßig und natürlich“, als Ritual also, das darauf ausgelegt ist, dass er, der sonst so genaue Beobachter, sich an „nichts mehr“ erinnern kann – ein absurdes Ritual.
Indem er auf der anderen Seite nichts von sich erzählt, er keine Gefühle offenbart, er keine Bedürfnisse hat und keine Motivationen, hinterlässt er beim Lesen so viele Leerstellen, die der Leser selbst mit möglichen Emotionen und Motiven, mit Mutmaßungen jedenfalls füllen kann. Warum nur schreibt er für Raymond den Brief an die ehemalige Geliebte, warum brüskiert er Marie, mit der er doch gerne die Zeit verbringt, deren Lachen er doch gerne hört, mit seiner Antwort zur Frage nach seiner Liebe, warum mit seiner Antwort zur Frage nach einer Hochzeit? Warum interessiert ihn das Angebot des Chefs nicht, ein Büro des Unternehmens in Paris aufzubauen, warum erklärt er Raymond in diesem Zusammenhang „dass man sein Leben nie ändere, dass eins so gut wie das andere wäre, und dass mein Leben hier mir keineswegs missfiele?“
Und dann kommt der Sonntag, der Meursaults Alltag verändert. Der Tag fängt schon nicht gut an, denn Mersaults wacht nicht recht auf, er hat Kopfschmerzen, die Zigarette schmeckt nicht. Marie, deren weißes Leinenkleid (!) ihm gut gefällt, meint, er habe eine „Leichenbittermiene“. Und als er vor die Haustür tritt, blendet ihn das Sonnenlicht ganz besonders. Dann stehen auch noch die Araber auf der anderen Straßenseite, die ihn und Raymond seit der Aussage im Kommissariat beobachten und verfolgen. Die Zeichen deuten schon an, dass der Tag nicht gut ausgeht. Dabei wollen Meursault und Marie einen Tag am Strand verbringen mit Raymond und einem weiteren Paar, das am Strand eine Hütte hat. Sie gehen auch schwimmen, genießen die Sonne, essen, trinken Wein und Kaffee. Mittags, bei einem Strandspaziergang treffen die drei Männer auf zwei der Araber; es gibt eine Rangelei und Raymond, der diese Konfrontation gesucht hat, wird von einem der beiden mit dem Messer verletzt. Später – es ist 14 Uhr – geht Meursault alleine am Strand entlang, die Pistole, die Raymond ihm bei der Auseinandersetzung gegeben hat, trägt er immer noch bei sich. Am Ende des Strandes, hinter einem Stein und in der Nähe einer Quelle, sieht er einen der beiden Männer im Sand liegend. Der Mann zieht sein Messer, richtet sich allerdings nicht auf, aber das Licht des Messers blendet Mersaults. Und er schießt auf den Mann:
„[…] und da, in dem zugleich harten und betäubenden Knall, hat alles angefangen. Ich habe den Schweiß und die Sonne abgeschüttelt. Mir wurde klar, dass ich das Gleichgewicht des Tages zerstört hatte, die außergewöhnliche Stille des Strandes, an dem ich glücklich gewesen war. Da habe ich noch vier Mal auf einen leblosen Körper geschossen, in den die Kugeln eindrangen, ohne dass man es ihm ansah. Und es war wie vier kurze Schläge, mit denen ich an das Tor des Unglücks hämmerte.“ (S. 87)
Das Tor zum Unglück öffnet sich, als er in Untersuchungshaft genommen wird und sein Gerichtsprozess beginnt. Wieder beobachtet er scheinbar völlig teilnahmslos, als ginge es gar nicht um ihn selbst, als stünde er nicht wegen Mordes vor Gericht. Fast mit Interesse schaut er auf die Zuschauer, betrachtet die anwesenden Journalisten, folgt der Verhandlung, den Aussagen der Zeugen, der Anklage, der Verteidigung. Und nimmt so zur Kenntnis, dass der Prozess sich in eine merkwürdige Richtung entwickelt – weg von der Verurteilung des Mordes und der Frage nach seinem Zustandekommen hin zu einer Beurteilung seiner Person. Vor Gericht steht er nicht wegen seiner Tat, sondern wegen seiner Haltung als Mensch ohne Religion, als Mensch, der den Tod der Mutter ohne Gefühlsausbrüche hinnimmt, als Mensch, der die üblichen Trauerrituale nicht verübt. Darauf steht das Urteil der Todesstrafe.
Im Gefängnis, in der Einsamkeit und der räumlichen Beschränktheit, aber lernt er, auch mit dieser Situation umzugehen: „Das Hauptproblem war wieder einmal, die Zeit totzuschlagen. Von dem Augenblick an, als ich gelernt habe, mich zu erinnern, habe ich mich dann überhaupt nicht mehr gelangweilt.“ Und er bleibt eisern bei seinem Atheismus, auch als der Priester ihn aufsucht und mit ihm spricht über Hoffnung und die Notwendigkeit, Gott anzuerkennen.
Camus´ Geschichte des Fremden ist im gleichen Jahr erschienen wie sein Essay „Der Mythos des Sisyphos“. Meursault verkörpert hier den Menschen, der die Absurdität des Lebens anerkannt hat und der sich auch im Angesicht der Vollstreckung der Todesstrafe nicht in religiöse oder andere metaphysischen Schwärmereien begibt. Wie Sisyphos nimmt er sein Leben an, wie Sisyphos ist auch er glücklich in diesem Leben.
Wenn wir aber dieser Deutung folgen, gehen wir dann Meursault nicht auf den Leim? Haben wir uns dann nicht von ihm einspinnen lassen in seine Philosophie des Absurden, und zum Schluss gar mit ihm die Sinnlosigkeit und die merkwürdigen Winkelzüge des Lebens akzeptiert und angenommen? Finden wir ihn nicht gar sympathisch diesen Protagonisten, der auch aus dem Gefängnis heraus seinem Leben noch Glück abgewinnen kann, alleine, wenn er sich erinnert, wenn er durchs Fenster einen Blick auf den Himmel und seine unterschiedlichen Farben erhaschen kann? Und vergessen ganz – so wie der Prozess ihn auch vergessen hat -, dass Meursault einen Menschen erschossen hat, einen Araber ohne Namen. Und dass niemand zu erklären versucht hat, auch Meursault nicht in seiner Zelle, wie das geschehen konnte.
Es bleiben die vielen Leerstellen in Camus´ Roman, die ihn so interessant machen und so viele Deutungen zulassen, die nie vollständig stimmig sind. Und es ist das große Verdienst des Romans, uns auch heute noch, 70 Jahre nach seinem Erscheinen, so in seinen Bann zu ziehen, sodass uns der Fremde immer mehr auf seine Seite zieht.
Albert Camus (2013): Der Fremde, Reinbek bei Hamburg, Rowohlt Verlag, Sonderausgabe
Zuletzt in meiner Jugend gelesen. Durchaus nochmal lesenswert! Danke für die Erinnerung an diesen Klassiker!
Für mich war es eine erste Begenung mit dem „Fremden“. Vielleicht ist die Wirkung auf jugendendliche noch einmal anders, viel emotionaler oder identittätsstiftender, da man sich gerade auf (Lebens-)Sinnsuche befindet. Aber auch im „hohen Alter“ (:-))hat mich der Roman, nach anfänglichem Fremdeln, sehr gepackt. Und ist eine Vorbereitung gewesen auf Kamel Daouds „Der Fall Meursault – eine Gegendarstellung“.
Viele Grüße, Claudia
Liebe Claudia,
als ich Deine Headline las, wollte ich sofort auf Daoud hinweisen, dessen Buch mir jetzt empfohlen wurde und das ich mir besorgt habe – auch weil ich Camus in „jungen Jahren“ las, ja eigentlich durch seine Bücher mit zur „Leserin“ wurde: Sein Stil, sein Ton haben mich als 18/19jährige an irgendeiner Wurzel meines Bewußtseins erfasst und gefesselt – anders kann ich das nicht beschreiben, aber ob es mit Lebenssinnsuche zu tun hatte, weiß ich nicht? Eher war es dieses lakonische, dieses nüchterne Beschreiben ganz existentieller Fragen, das mich gepackt hat. Du schreibst: „wie Sisyphos ist auch er glücklich in diesem Leben“.
Das ist die Kraft, die Camus vermittelt: Das Leben an sich hat, auch unter unvorstellbaren Umständen, einen eigenen Wert. Auch wenn „Glück“ vielleicht ein zu starkes Wort ist – oder jedenfalls kein anhaltender Zustand sein kann. Aber, das ist wohl eine Grundlage der Camus`schen Anschauung: Glück und Absurdität (des Daseins) schließen einander nicht aus.
Liebe Birgit,
Camus musste ich natürlich vor Daoud lesen – und es hat sich gelohnt, alleine schon, um die vielen Wiederholungen, Spiegelungen und Entgegnungen zu entdecken.
„Der Fremde“ ist in meiner Jugendzeit völlig an mir vorbeigegangen, ich habe ihn also erst jetzt entdeckt. In meinem Literaturkreis haben die anderen Leser aber ähnlich beeindruckt von ihrer Jugendlektüre berichtet, wie Du es nun auch schreibst. Solch ein Lesevergnügen habe ich jetzt nicht mehr, viel zu „distanziert“ ist mein Blick auf den Roman. Trotzdem hat mich die Lektüre sehr beeindruckt: und viele Fragen aufgeworfen. Was nämlich ist mit seiner Verantwortung für den Mord? In einer Rezension habe ich gar gelesen, der Moment der Schüsse sei der Moment in Meursualts Leben, in dem er sich zum ersten Mal so richtig lebendig fühlt. Das finde ich schon ein wenig befremdlich: ein Mord, um sich lebendig zu fühlen?! Aber stark ist natürlich schon sein (Weiter-)Entwicklungsprozess im Gefägnis, wenn er es ja wirklich schafft, das Absurde und das Glück – er nennt es ja immer anders, nämlich, er fühle sich nicht unglücklich – zusammenbringt. Für mich also eine echte Entdeckung.
Viele Grüße, Claudia
Liebe Claudia,
das ist befremdlich, unbenommen, aber eben der literarische Kniff sozusagen: Zuvor ist Mersaults Leben ja extremst von Gleichgültigkeit, Routine, Indifferenz geprägt – und erst durch die Bluttat „spürt“ er Leben. Ich denke, das ist ein starkes Bild, das so absurd dann doch wieder nicht ist – es gibt genügend Menschen, die sich erst im Schmerz spüren, sei es, in dem sie sich selbst Schmerz zuführen (z.B. durch Süchte) oder anderen. Erst eine extreme Tat ist also (leider) der Schlüssel zu einer Art Erkenntnis oder vielmehr einer Art Entwicklung.
Liebe Birgit,
nun, da Du mir diese Situation des Schießens noch einmal deutlich machst, sie mit dem Schmerz und den Süchten vergleichst, finde ich die Deutung durchaus plausibel und nachvollziehbar. Und sehr passend in den ganzen Kontext, nämlich eine philosophie Idee in eine lebendige Handlung zu bringen, um so die innere Auseinandersetzung mit der Absurdität des Lebens anschaulich zu machen. Wahrscheinlich habe ich mich, ganz Kind meiner politisch immer sehr korrekten Zeit, zu sehr von der Erregung tragen lassen: Wie kann man denn einfach mal so einen anderen Menschen, noch dazu einen Einheimischen (das ist ja Rassismus!), erschießen? Ich habe eben den „Fremden“ gelesen, nachdem ich schon den Daoud´schen Klappentext gelesen habe.- Vielen Dank also für Deine Deutungsanregung. Und wie schön wäre das Reden darüber noch gewesen, wenn wir mit einem guten Kaffee (und einem Stück Kuchen?) uns an einem Tisch gegenüberseitzend mit dem „Fremden“ auseiandergesetzt hätten!
Viele Grüße, Claudia
Natürlich bringen wir als Leser immer das mit, was uns gerade prägt – und daher stellt sich die Frage nach der Verantwortung unweigerlich. Aber Lesen ist eben immer auch ein Akt des Abstrahierens, oder? Ja, schön wäre das, wenn wir das kuchenkrümelnd besprechen könnten – ich schieb dir ersatzweise einfach ein virtuelles Croissant rüber! LG Birgit
Hmm, das schemckt! Auch heute noch. Die virtuellen Croissants halten sich einfach gut – und sind gut gegen Kopfschmerzen.
Kopfschmerzige Grüße, Claudia
Oh je… Du auch? Hier wohl wetterbedingtes Kopfweh und Reste von gestern 🙂
Ja, mehr als 10 Grad-Temperatursprünge tun dem Kopf wirklich nicht gut. Und dabei wollte ich mich heute doch an die Daoud-Besprechung setzen. So aber: kühler Raum, kühler Kopf und wenigstens ein bisschen Blogs lesen.
Und Dir auch: einen kopfschmerzfreien Nachmittag!
Ganz herzlichen Dank, Claudia, für deine ausgezeichnete Besprechung. Merkwürdiger Weise erinnerte ich mich überhaupt nicht mehr an die Handlung (abgesehen vom Mord am Araber und die Verurteilung zum Tode), sondern nur an die „Atmosphäre“ emotioneller Gleichgültigkeit – die man leicht mit stoischer Haltung verwechseln könnte. Ich meine mich an eine einzige Szene konkret zu erinnern: Meursault sieht das Aufblinken des Messers in der Sonne oder behauptet, es gesehen zu haben. Wenn ich mich recht erinnere, hatte der Araber aber gar kein Messer. Kannst du meiner Erinnerung aufhelfen? Ich habe das Buch, das ich vor etwa 55 Jahren las, hier in Athen nicht zur Hand. Liebe Grüße Gerda
Liebe Gerda,
Du erinnerst Dich wirklich sehr genau an die Szene, denn tatsächlich sieht Meursault das Messer in der Sonne aufblinken und fühlt sich geblendet (vielleicht ist das Licht ja auch eine Metapher für Erkenntnis?). Der Araber hat aber tatsächlich das Messer in der Hand, bei der Prügelei am Strand hat er damit ja Meursaults Freund Raymond verletzt. Er zeigt es Meursault aber nur, setzt sich vom Liegen nicht einmal auf. Und Meursault schießt. Eine merkwüridge Szene, ein denkwürdige Szene ist das, denn es wird später nie mehr über Schuld, Motiv und Verantwortung gesprochen, viel mehr wird ja seine vorgebliche Gleichgültigkeit beim Tod seiner Mutter zum Grund für eine Verurteilung. – Vielleicht hast Du ja doch einmal die Möglichkeit, den „Fremden“ wieder zu lesen und Deine neuen Eindrücke und Deutungen mit den älteren zu vergleichen. Ich fand interessant, was der Roman mit mir gemacht hat: Obwohl ich Meursault zu Beginn nicht mochte, seine Gleichgültigkeit, seine Larmoyanz fand ich nicht sehr sympathisch (nach den Büchern von Lueken und Mankell fand ich die Haltung eher abschreckend) und trotzdem zieht er mich im Laufe der Geschichte immer mehr in seinen Bann und ich muss mich immer wieder zwingen daran zu denken, dass er doch aus dubiosen Gründen einfach mal einen Menschen umgebracht hat. Aber vielleicht ist der namenlose Araber ja auch eine Metapher.
Viele fragende Grüße nach Athen, Claudia
Liebe Claudia, deine Begegnung „als Erwachsene“ mit dem „Fremden“ habe ich mit großem Interesse gelesen. Für mich war es eines der wichtigsten Bücher meiner Jugend – was habe ich seine Radikalität geliebt! -, Camus überhaupt damals einer der wichtigsten Autoren für mich. Ich werde das Buch jetzt noch einmal lesen – auch wenn ich ein bisschen Angst davor habe, dass es mir heute mit dem Abstand so vieler Jahre „flacher“ erscheinen könnte – und dann die Entgegenung von Kamel Daoud.
Liebe Maren,
offensichtlich bin ich weit und breit die einzige, an der der Roman im Jugendalter vorbeigegangen ist. Auch in meinem Literaturkreis haben sich alle meine Mit-Diskutanten sofort auf den „Fremden“ gestürzt und wollten ihn unbedingt wiederlesen, bevor wir uns mit Daoud auseinandersetzen. Und alle hatten dieses ganz besondere Glitzern in den Augen und schon kamen diese ganzen Jugenderinnerungen und immer wieder eben auch der Satz, den Du nun auch geschrieben hast: „Ah, Camus! Der wichtigste Autor meine Jugend.“ Da habe ich also wirklich etwas verpasst – aber, nicht dass da jetzt ein falscher Eindruck entsteht: Die Angelique-Zeit (Stichwort: Verschämte Lektüren) ist auch schon vorbei gewesen. – Ich glaube aber, wenn Du nun den „Fremden“ wieder zur Hand nimmst, dass Du ihn nicht „flacher“ finden wirst. Er ist wirklich ganz geniale Literatur – und das sage ich, auch wenn er mich heute nicht mehr so ganz in einer „existentiellen“ Lebenserfahrung trifft. (Es ist ja auch etwas Schönes, älter zu sein und sich im Leben gefunden zu haben :-).)
Viele Grüße und viel Freude beim Wiederentdecken, Claudia
danke! Ja, unbedingt will ich das Buch wieder lesen.
Und bitte schreib doch auch über Dein Wiederlesen und wie Du nun, nach so vielen Jahren, den Roman siehst!
Viele Grüße, Claudia
Eines meiner Lieblingsbücher – tolle Besprechung. Haben wir erst vor einer Weile im Bookclub noch einmal gelesen. Camus ist einfach klasse.
Liebe Sabine,
vielen Dank für Deine lieben Worte. Ich habe mich ja schon geoutet: Ich habe den „Fremden“ nun zum ersten mal gelesen, eben als Vorbereitung auf Daouds „Entgegnung“ – und auch, weil meine drei Mitleser iin unserem Literaturkreis, denen ich Daoud vorgeschlagen habe, dann direkt auch Camus wieder lesen wollten. Und sie waren wieder einmal so begeistert von ihren Erinnerungen an diese Jugendlektüre! Und ich sagen: Ihr habt alle völlig Recht mit Eurem Lob! – Lest Ihr denn auch Daouds Roman?
Viele Grüße, Claudia
Ein Buch, dass mich in meiner Jugendzeit so nachhaltig und so sehr berührt hat, dass ich immer wieder, wenn ich dieses Buch heute in die Hand nehme, an meine Gefühle und Gedanken erinnert werde.
Das ist ja bei vielen Lesern des Blogs und auch in meiner ganz realen Umwelt so gewesen, dass die Camus-Lektüre der Jugendzeit so nachhaltige Wirkungen erzeugt hat. Das haben ja ganz viele erzählt. Und ich habe damals wohl wirklich etwas verpasst, denn bei meinem Lesen jetzt erst hat mich der Roman längst nicht so gepackt. Ich habe mir dann aber in meinem Literaturkreis erzählen lassen, woher die große Begeisterung in der Jugend gekommen ist und kann die Wirkung so zumindest als Second-Hand-Information (:-)) nachvollziehen.
Viele Grüße, Claudia