In der letzten Woche hat die Süddeutsche Zeitung ihre Leser in ihren – virtuellen – Lesesalon eingeladen. Dort können sich 100 Leser treffen, um gemeinsam ein Buch zu lesen, sie können es dort gemeinsam diskutieren, sie können Fragen zu stellen, Anregungen geben, also alles das tun, was wir tun können, wenn wir uns in der realen Welt mit anderen Lesern um einen Tisch versammeln und über die gemeinsame Lektüre ins Reden kommen.
Nur, dass wir oft in unserer unmittelbaren Umgebung gar keine Mitleser finden, also gar kein Gegenüber haben für spannende Diskussionen. Wir Blogger haben dafür schon einen anderen Weg gefunden, versuchen nämlich Gleichgesinnte in der virtuellen Welt zu finden, und manchmanl, wenn alles richtig gut läuft, dann kommt auch eine Diskussion zu einem Buch zustande, dann findet ein richtig guter Austausch über auch kontroverser Blickwinkel, verschiedener Perspektiven und Deutungen statt. Ich erinnere mich an diese Sternstunden im Zusammenhang mit Wolfgang Herrndorfs Buch „Struktur und Arbeit“ und in jüngerer Zeit hat es beim gemeinsamem Lesen von Longlist-Tieln ganz toll geklappt mit den Diskussionen. Dann ist es fast so, als säßen wir gemütlich beeinander und tauschten uns vis-á-vis über das Gelesene aus.
Dirk von Gehlen, Initiator des virtuellen Lesesalons der SZ, möchte nun ausprobieren, ob sich die Lesesalonatmosphäre noch erweitern lässt. Und so sollen sich die nun per Los ausgewählten 100 Leser in dem virtuellen Lesesalon nicht nur zum Gespräch, sondern auch zum gemeinsamen Lesen treffen. Er ist gespannt, ob sich daraus eine ganz besondere „soziale Dynamik“ entwickelt, so wie früher, wenn die Menschen um das Lagerfeuer herum saßen.
Dirk von Gehlen, der bei der SZ für Social Media und Innovationen verantwortlich ist, experimentiert seit einigen Jahren mit den Änderungen, die sich durch die digitale Welt ergeben können. Sein Buch „Eine neue Version ist verfügbar“ haben gleich 350 Leser erworben, bevor noch ein Buchstabe getippt war. Dafür haben sie nicht nur den Entstehungsprozess dieses Buches in Echtzeit begleiten, sondern sich auch an der Gestaltung beteiligen können. Die Leser werden so zu Mit-Autoren, Mit-Gestaltern, zu echten Mit-Spielern wie in einem Fußballspiel, so von Gehlen, die etwas bewegen, etwas verändern können, die Einfluss nehmen auf den Schaffensprozess. So lotet von Gehlen aus, welche Chancen aus der Digitalisierung erwachsen können, probiert und testet und sammelt – empirische – Erfahrungen.
In seinem neuen Projekt steht nun das gemeinsame Lesen eines Buches im Vordergrund. Entstehen soll zum Ende eine gemeinsame erstellte Besprechung des Buches, die dann wiederum in der SZ veröffentlicht wird. So können auch beide Seiten der SZ, der digitale Bereich und der Printbereich, kooperieren und voneinander profitieren.
Zur Diskussion steht Chris Andersens Buch „Makers“. Andersen ist Wissenschaftsjournalist und seit 2012 CEO des Unternehmens 3D Robotics. Seine These ist, dass das Internet uns nun, nachdem wir gelernt haben, uns dort umfassend zu informieren, miteinenader zu kommunizieren und selbst Texte, Bilder und Filme zu veröffentlichen, nun die Möglichkeit bietet, unsere eigenen Produkte zu gestalten. Personalisierung und Individualisierung, die sich natürlich bei digitalen Gütern viel leichter realisieren lassen, werden nun also zunehmend in die Welt der physischen Güter übertragen.
Beispiele, die es jetzt schon gibt, sind die nach eigenen Ideen gestalteten Ringe, das selbstgemischte Müsli, die nach eigenen Maßen gefertigte und endlich passende Bluse, die Schuhe, die nicht mehr drücken. Mit intelligenter Prozesstechnologie werden Aspekte der Handwerksfertigung also so umgesetzt, dass individuelle Güter zu bezahlbaren Preisen entstehen können. Ob wir demnächst vielleicht auch noch alle einen 3D-Drucker zu Hause stehen haben und dann tatsächlich alle Produkte, so wie wir sie haben möchten, selbst produzieren, hört sich im Moment noch ziemlich fantastisch an. Mit Blick auf den Namen von Andersens Unternehmen und den Titel seines Buches könnte das aber genau seine Vision sein.
Ich werde mich überraschen lassen. Ein Lesesessel steht für mich im Lesesalon der SZ bereit und ich werde hier weiter berichten, wie sich das Experiment anlässt, wie es ist, gemeinsam zu lesen, wie sich die Diskussion entwickelt, natürlich auch, was Andersons in seinem Buch über die nächste industrielle Revolution schreibt.
Und wie ich gelesen habe, werde ich dort auch Mara von Buzzaldrins treffen.
Chris Andersen: Das Internet der Dinge: die nächste industrielle Revolution, Hanser Verlag
Sehr interessant. Ich bin gespannt auf die Erfahrungen, die Du machen wirst. Und auf die Maras natürlich auch.
Ich werde berichten :-).
Ja, davon habe ich gelesen, lange überlegt und mich entschieden erst beim nächsten innovativen Projekt mitzumachen 😉 Euch viel Freude und einen interessanten Austausch!
Der SZ-Lesesalon ist das erste Projekt von dem ich bisher gehört habe und das auf einer Plattform lesen und kommentieren vereinigt. Ich denke aber, dass diese Art des Social-Readings bestimmt in Zukunft zunehmen wird, ist ja eine ganz spannende Sache, die Leser, die sich für ein Buch interessieren, noch näher zusammenzubringen. Der Hoffmann & Campe Verlag macht gerade ein ähnliches Projekt mit Jaron Laniers Buch. Das hätte ich vielleicht eher wählen sollen, weil es bestimmt inhaltlich besser ist. Dafür aber auch viel dicker und fast nicht am Laptop zu lesen. So werden wir uns bestimmt auch einmal demnächst auf so einer Lese-Salon-Plattform treffen.
Viele Grüße, Claudia
Wie gut, dass du immer wieder an solchen Gemeinschaftsprojekten teilnimmst bzw. sie selbst mit ins Leben rufst, liebe Claudia! Dass gemeinsames oder eigentlich eher zeitgleiches Lesen und Diskutieren auch virtuell funktioniert und richtig Spaß macht, konnte ich Dank eures „LonglistLesens 2014“ selbst erfahren. 100 Teilnehmer wie bei der SZ scheint mir ziemlich viel zu sein – ich bin schon sehr gespannt auf deine Erfahrungen.
Liebe Maren,
ich bin aber auch immer bei solchen Sachen so neugierig und möchte gerne wissen, wie es mir selbst gefällt mit dem gemeinsamen Lesen und was beim Lesen und Kommentieren herauskommt. Vom Lesen bin ich noch nicht so erfreut, einfach, weil ich wohl wirklich kein digitaler Leser bin, sondern ein richtiges Buch brauche. Am Laptop zu lesen finde ich grauenhaft, nicht so sehr wegen der Schrift, sondern mehr, weil ich mich gar nicht so auf den Text einlassen kann, dass ich mich nachher noch an das erinnere, was ich gelesen habe. Mir fehlt auch die Möglichkeit, etwas anzustreichen und Bemerkungen an den Rand zu schreiben. Das Kommentieren aber finde ich toll. So viele unterschiedliche Aspekte, die da zusammenkommen – und im Moment noch eher negativ-kritische Bemerkungen. Mal schauen, wie es weiter läuft.
Viele Grüße, Claudia
Na, jetzt kenne ich ja schon drei – wenn auch nur virtuell – , die mit mir an dem Experiment teilnehmen. Dich, Mara von Buzzaldrins und Dirk von Gehlen. Erfahre das aber erst durch Zufall hier bei Dir. Das ist ein Aspekt, den ich an der Plattform zu Beginn vermisse – man hat nicht die Möglichkeit, sich kennen zu lernen. Auch beim Kommentieren kann man nur sehr beschränkt aufeinander eingehen. Letzteres ist vielleicht gewollt und notwendig, um im Nachhinein noch ein durchschaubares Dokument zu haben, doch ersteres hätte man vielleicht mit einer Teilnehmerseite, die Optionen zur individuellen Vorstellung bietet, anbieten können.
Das Lesen am PC ist auch nicht meins. Aber das liesse sich technisch später ändern – zumindest als eBook.
Ansonsten bin ich gespannt, wie sich das Gesamturteil aufgrund der Beeinflussung durch die chronologischen Kommentare bildet. Ich habe die Befürchtung, dass dadurch eine wachsende Gruppendynamik am Ende zu einem sehr homogene Urteil führt. Ich wage mal die These, dass am Ende 100 unabhängige Rezensionen ein deutlich differenzierteres Bild und für Kritikleser eine interessantere Beurteilung liefern würden als die, die wir 100 nun gemeinsam auf diesem Weg erarbeiten. Hoffe aber, widerlegt zu werden.
Ein schönes Wochenende noch.
Lieber Thomas,
auch in der virteullen Welt ist es doch immer schön, jemanden – gerade im Lesesessel neben sich – zu treffen, den man irgendwie kennt. Ich hatte Dich schon gesehen und gewunken, aber es hat mit dem „Hallo-Sagen“ erst über unsere Blogs richtig geklappt. Auch gut.
Mit dem Lesen am PC habe ich richtig große Schwierigkeiten, zumal ich die ersten Kapitel im Urlaub am Laptop lesen musste (ich überlege wirklich, ob ich mir nun zu Hause das Buch nicht ausdrucke). Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich immer bei den Kommentaren gucken muss und so mich so ständig ablenke, oder doch wirklich am ungewohnten Lesen am Bildschirm, jedenfalls kann ich mich nach dem Lesen kaum an die Argumentationsstruktur erinnern. Das Anstreichen und Anmerkungen an den Text schreiben fehlt mir auch sehr. Ich glaube, mit mir und dem elektonischen Lesen wird´s nichts mehr…
Wenn ich das Buch alleine und nicht im Lesesalon gelesen hätte, hätte ich es schon längst zugeklappt und mit ganz viel Ärger in die Ecke geworfen. Es ist – zumal in den ersten vier Kapiteln, die ich bisher erst gelesen habe – von so einer unglaublichen gedanklichen Schlichtheit, so unbelastet von jeder geschichltlichen und wirtschaftlichen Kentnnis (die braucht dann gar nicht geschichtlich zu sein, ein Blick auf die letzten 15 Jahre und die geplatzte E-Commerce-Blase reichen da völlig), dass es mich manchmal gruselt. Diese völlig naive Einseitikeit erinnert mich doch stark an die kruden Argumente, die Sekten gerne absondern. So hält mich eigentlich nur die Neugier am Projekt, an den Kommentaren und dem Erlebnis dieses gemeinsamen Lesens noch bei der Stange, denn das ist ja wirklich mal spannend.
Und in dem Zusammenhang gefällt mir auch gut, dass das Projektteam versucht, unseren Wünschen nachzukommen und mehr und mehr Funktionen einbaut, die wir uns wünschen. Und Du hast völlig Recht, eine Seite mit den Teilnehmern wäre nicht schlecht, dann wüssten wir mehr, wer neben uns Platz genommen hat.
Ich bin gesapnnt, wie es weitergeht. Bis demnächst im Lesesalon!
Viele Grüße, Claudia