am Rande notiert

Wo geht´s denn hier zur guten Literaturkritik? – Ein weiterer Baustein zur Debatte

LiteraturkritikIch habe in dieser Woche die durch Maras Beitrag angeregte Diskussion über Qualität und Innovativität der Literaturkritik in Printmedien und auf Blogs verfolgt. Seit gestern reizt es mich sehr, einen der vielen konstruktiven Beiträge zu kommentieren. (Eine Übersicht über die bisherigen Diskussionsbeiträge findet Ihr bei Mara oder bei Anna.) Aus dem Kommentar ist dann ein ganzer Beitrag geworden, die freie Zeit des Feiertags und das ewig nieselige Wetter haben hier ordentlich Vorschub geleistet. So möchte ich der Diskussion noch nun ein paar weitere, wahrscheinlich gar nicht mal taufrische, Ideen hinzufügen:

1. Die so komplexe und differenzierte Diskussion, die auf den Blogs zu lesen ist, macht schon einmal deutlich, dass hier eben nicht Dilettanten – im negativen Wortsinn – am Werk sind, sondern Menschen, denen nicht nur die Literatur am Herzen liegt, sondern die außerdem auch noch der Sprache und der Argumentation mächtig sind. Das sind doch mal ganz gute Voraussetzungen, finde ich, um meinungsbezogene Beiträge zu schreiben.

2. Die Blogs, denen ich folge, sind von Menschen geschrieben, die sowohl von ihrer Vorbildung als auch von ihrem Können – von Kompetenzen wird da ja aktuell gerne gesprochen – durchaus in jedem Feuilleton mitschreiben könnten, so gut und kenntnisreich sind sie gemacht. Auch wenn uns alle das Thema „Lesen“ oder „Literatur“ umtreibt, sind die Blogs doch so unterschiedlich und vielfältig, wie die Menschen, die sie betreiben, wie ihre jeweiligen ganz spezifischen Interessen und auch ihre verschiedenen Professionen, die sie in ihre Literaturwahl und Besprechungen mit einbringen. Und das macht für mich den unglaublichen Reiz aus, denn hier finde ich so vielfältige Hinweise auf Bücher, über die kein Feuilleton schreibt, und die mir so eine weite Buchwelt eröffnen, die ich selbst nie finden würde. Ein Großteil meiner Lektüre speist sich tatsächlich aus den Blogbeiträgen. So wie ich früher Zeitungen ausgewählt habe, deren Autoren mir einigermaßen verlässlich Einblicke in Lesenswertes geliefert haben, so wähle ich nun eben aus, welche Blogautoren mir, ebenso verlässlich, kundig und lesenswert, einen differenzierten Blick in die weite Welt der Bücher ermöglichen.

3. Anders vielleicht als politische Berichterstattung funktioniert Kulturkritik eben auch am eigenen Schreibtisch, benötigt keine große Redaktion, keine ganz vertiefte Recherche. So ist die Besprechung von Theateraufführungen, Filmen, Büchern auch als Tätigkeit neben einem Brot-Beruf möglich. Die Textsorte der Literaturkritik ist dabei so vielfältig, dass sie eine Menge an Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet. Immer wieder ist hier auch darüber zu lesen gewesen, dass viele Blogger sich ja durchaus kundig machen, welche Anforderungen an „gute“ Literaturkritiken zu stellen sind, so steht Stephan Porombkas Trainingsbuch „Kritiken schreiben“ in vielen Bloggerregalen.
Eine Rezension ist eine Sonderform des Kommentars, mithin ein Artikel der Meinungsäußerung. Und Meinungen zu Machart und Wirkweise eines Romans können nun einmal völlig unterschiedlich sein, wie leicht erkennbar ist, wenn Rezensionen unterschiedlicher Autoren angesehener Tages- und Wochenpublikationen zu einem Roman nachgelesen werden. Und in diesem Sinne können auch andere Menschen als die von Zeitungen entlohnten eine Meinung zu Literatur haben, wenn sie sie denn erklärbar und nachvollziehbar machen.
Und der medienwissenschaftlichen Kritik sei entgegengehalten, dass die verschiedenen Spielarten der Literaturkritik auch über die Zeit und die unterschiedlichen Medien hinweg ihren Stellenwert behalten, ähnlich wie dies ja auch für die geschriebene und gedruckte Reportage gilt, die als journalistische Textsorte aus einer Zeit vor der Kamera und dem Fernsehen stammt und auch heute noch ihre Daseinsberechtigung und ihre Fans hat. Auf der anderen Seite sind Literaturblogger vielleicht auch nicht gerade die Bloggergruppe, die sich mit den vielfältigen, innovativen Gestaltungsmöglichkeiten der Multimedialität auseinandersetzen, immerhin sind sie vor allem Leser und sind insofern in ihren Lese- und Schreibgewohnheiten dem seit Gutenberg bestehenden Ansatz des Textes verbunden. Und ganz ehrlich: Ich möchte keinen mit vielen Fußnoten versehenen Feuilletonbeitrag aus der FAZ als Blogbeitrag lesen, schon gar nicht irgendwelche hüpfenden, bunten Text-, Bild- und Tonschnipsel. Interessanterweise schreiben ja auch gerade die jüngeren Blogger, viel eher Digital Natives als ich, auch in der völlig alten, ach so langweiligen Form.

4. Verlage haben die Blogs durchaus als wichtige Multiplikatoren erkannt. So hat der DuMontverlag im letzten August eine mehrstündige Veranstaltung für 18 Blogger organisiert und vom Vertriebsleiter über die Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit bis zum Lektorat sechs oder sieben Mitarbeiter Rede und Antwort stehen lassen. Mit Blick auf die vielen Mitarbeiter (sprich: Personalkosten), die uns da einen Nachmittag lang den Verlag und das Verlagsprogramm des Herbstes vorgestellt haben, habe ich den Vertriebsleiter befragt, was er sich von dieser Veranstaltung verspreche. Und er hat ganz deutlich gemacht, dass der Beobachtung des Verlags nach die Diskussion über Literatur in die Blogs abwandere. Blogs haben, so erklärte er weiter, eine sehr zielgerichtete Leserschaft. Blogs haben viel weniger Streuverluste als Zeitungsanzeigen, die, weil mindestens drei Anzeigen für einen Titel geschaltet werden müssen, sehr teuer seien, die Zielgruppe aber nur am Rande erreicht werde. Natürlich ist völlig klar, dass so ein Tag der offenen Tür eines Verlages nicht als altruistische Veranstaltung geplant ist, sondern durchaus mit dem Ziel, die teilnehmenden Blogger positiv an den Verlag zu binden, sodass sie darüber schreiben und in Zukunft ein besonderes Auge auf die Publikationen haben. Das ist aber bei den Journalisten nicht anders, denn sie werden mindestens ebenso hofiert. So obliegt es unserem Umgang mit dieser Umwerbung, um, wenn gewünscht, Unabhängigkeit zu bewahren. Und das gilt auch für die vielen weiteren Aktionen verschiedener Verlage in den letzten Monaten, die, so ist zu beobachten, die Möglichkeiten des Social Media, des Story Telling, gerade beginnen zu erproben.

5. Zeitungen stehen vor großen ökonomischen Problemen. Ihnen brechen gerade beide Einnahmequellen weg: Die Anzeigenzahlen gehen zurück und die Zeitungskäufer wandern ins Internet ab, was wiederum die Anzeigenpreise negativ beeinflusst. In Zeiten, in denen Börsenberichte gleich mehrere Sendeplätze im Fernsehen haben, hat es die Kultur, die brotlose Kunst, nicht leicht, sich zu behaupten. So ist erkennbar, wie das professionelle Feuilleton sehr systematisch kaputt gespart: Es gibt immer weniger Rezensionen, die aber setzen sich meistens doch wieder mit den Schnelldrehern auseinander, für die auch Werbung geschaltet wird. So hat ja beispielsweise ein mit hohen Ambitionen und viele Jahre gut gemachtes Heft, die Zeitschaft Literaturen, letztendlich nicht überlebt. Und das Verhalten der Verlage, sollten sie denn mehr und mehr auf die sozialen Medien ausweichen, trägt zu dieser Entwicklung auch noch bei. Und auf der anderen Seite sitzen wir, die Hobby-Rezensenten, die nicht nur Konkurrenz sind, sondern auch „die Preise kaputt machen“.
Dabei – und ich habe wieder nur die renommierten Zeitungen im Blick – gibt es viele gute Beiträge, kunstvoll geschrieben Rezensionen, deren Lektüre alleine schon Spaß macht und die im positiven Fall auch dazu anregen, das Buch selbst zu lesen. Aber auch hier gibt es nicht immer nur die positiven Beiträge, sondern auch mal den vor inhaltlichem Dilettantismus strotzenden Artikel, sodass ich mir manchmal durchaus die Frage stelle, ob der Rezensent den Roman tatsächlich gelesen hat oder doch nur das kleine verkaufsfördernde Heftchen des Verlags. Also Glanz ist auch im bezahlten Feuilleton nicht grundsätzlich zu erwarten.
Dass die Feuilleton-Autoren die Blogbeiträge öffentlich nicht gerne sehen – sich dort heimlich aber auch schon ml inspirieren lassen, wetten, dass… – ist auch klar.

Gutes findet sich also hier wie dort. Und wenn die Blogger sich das Gute aus den gedruckten Rezensionen abschauen, können vielleicht auch die Literaturkritiker schauen, ob sie nicht auch etwas von den Bloggern nachahmen können. Im Moment bestehen beide Formen nebeneinander; wir werden sehen, wie sich das in Zukunft verändert und das hat sicherlich etwas mit den ökonomischen Entwicklungen zu tun.

Übrigens: Schon im Jahr 2006 lieferten sich die Tageszeitungen einen Kommentarschlagabtausch über die Bedeutung von Blogs. Es sind nicht literarische Blogs im Fokus gewesen, sondern es stand ganz allgemein das Phänomen des Bloggens im Vordergrund der Debatte. Die Argumente von damals sind auch heute nicht wesentlich anders. Nachlesen könnt Ihr die Artikel z.B. hier und hier.

5 Kommentare

  1. Oh glaub mir, eine Kritik über Theaterstücke oder Konzerte zu verfassen, ist oft noch viel schwieriger. Ich weiß das sehr gut. Besser sogar als über ein Buch.
    Bei der Kritik über ein Theaterstück musst du während der Aufführung „hinter die Kulissen“ sehen können; du musst Fehltritte erkennen oder heraushören, wenn sich der Trompeter verspielt.

    Die große Diskussion hat leider immer etwas mit Amazon zu tun. Die haben das vor Jahren eingeführt, jeder Hinz oder Kunz darf das rezensieren; die Quittung tragen jetzt die Kunden. Auch bei den Blogs ist es so.

    Jeder eröffnet einen Blog, dass aber Arbeit, ein bisschen ein Feingefühl, ein Können dahintersteckt, erkennen wenige. Die guten Blogger, also, die die wirklich etwas leisten, die auch sagen, was sie meinen, ist selten und rar geworden.

    Den meisten geht es ums gratis Bücher abstauben und mitzuteilen, welche Bücher sie pro Woche von jedem Verlag ergattert haben.

    Die Branche hat Angst, große Angst. Die Literaturkritiker fühlen sich nicht mehr gebraucht, weil die Verlage mittlerweile zu Bloggern greifen. Sie sie schneller, effizienter und haben eine höhere Erreichbarkeit.

    Wer Angst hat, zetert gegen die anderen; ist doch in jedem Beruf so ;-).

    Lg Petra

  2. Ein spannender Beitrag, der noch einmal ein paar andere Aspekte in den Mittelpunkt rückte! Besonders interessant fand ich Punkt 4 – vielen Dank, dass du uns hier noch mal einen Einblick in die Veranstaltungen und die Ansichten des Verlages gegeben hast! Du und auch DuMont haben einen nicht unwichtigen Punkt angesprochen: Die Reichweite der Rezensionen! Natürlich haben die meisten Blogs nur einen Bruchteil der Leserzahl, die Zeitungen aufweisen. Zeitungen erreichen also im ersten Moment natürlich eine größere Öffentlichkeit – doch ist größer auch gleich breiter? Ich denke (ich weiß es nicht, sondern schließe nur aus eigener Erfahrung und Beobachtung), dass Blogs meist ein viel breiteres Publikum haben, da sich oft auch mehr literarische Genres bei ihnen finden – eine Zeitung ist da meist etwas eingeschränkter (in einer Qualitätszeitung wird man keine Nackenbeißer finden, in „Bunte“ & Co. nichts sonderlich Anspruchsvolles).
    Zudem ist eine Rezension auf einem Blog nach Jahren noch zu lesen. Hinzu kommt, dass die meisten Blogger ihre Rezensionen auch in Online-Shops und Portalen wie Lovelybooks veröffentlichen. In der Zeitung ist eine Rezension nur an diesem Tag zu finden – natürlich werden manche auch auf dem Online-Auftritt der Zeitung publiziert, aber eben nicht alle und die meisten Zeitungen gewähren ihren Lesern/Nutzern nur für einen bestimmten Zeitrahmen zugriff (nach 2, 3 Jahren sind die Artikel in den meisten Fällen nicht mehr abrufbar). Letztlich hat also beides – wie du schon erwähnt hast – positive wie negative Eigenschaften.

  3. Liebe Claudia, dann war das Wetter auf jeden Fall schon mal für etwas gut. Danke für deinen unaufgeregt ausbalancierten, dennoch kritischen Text. Deine unter Punkt 2 genannten Vorzüge der Literaturblogs kann ich nur unterschreiben. Ganz liebe Grüße. Anna

  4. “ Und das macht für mich den unglaublichen Reiz aus, denn hier finde ich so vielfältige Hinweise auf Bücher, über die kein Feuilleton schreibt, und die mir so eine weite Buchwelt eröffnen, die ich selbst nie finden würde. “ – liebe Claudia, der Satz ist wunderbar. Und eben, das unterscheidet die Blogger von der Feuilletons, die sich ja vor allem auf Neuerscheinungen konzentrieren. Und da habe ich manchmal schon auch den Eindruck, dass, wird ein Buch hochgelobt, z.B. von der FAZ, es kaum ein anderer Feuilltonist wagt, eine Gegenmeinung zu äußern – insbesondere die Literaturbeilagen vor den Buchmessen sprechen Bände.Ich möchte auch eine gewagte Hypothese aufstellen: Ohne die vielen Blogger, die gut und qualifiziert auch über Bücher aus Indie-Verlagen (z.B. We read Indie) schreiben, würden diese Verlage in den Feuilletons nach wie vor nur randständig behandelt. Hier hat die „Konkurrenz“ aus dem Web sicher dazu beigetragen, dass die Feuilletonisten auch andere Verlage als die großen Häuser zunehmend entdecken und wahrnehmen…

  5. buecherliebhaberin sagt

    Liebe Claudia,

    auch ich verfolge in den letzten Tagen die Diskussion im Netz und freue mich, dass viele der mir bekannten Blogger doch ähnlich wie ich ticken und denken. Vor allem, dass sie sich die Zeit nehmen es in die Welt hinaus zuschreiben. DANKE dafür – mir fehlt momentan die Zeit und ein klarer Kopf dafür. Ich erinnere mich noch gut an den letzten Zeit Online-Artikel zum Thema. Der wurde damals von der Bloggerwelt ähnlich aufgenommen.

    Ganz liebe Grüße von der Bücherliebhaberin

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