Wer, auch ohne staatliche Verordnung, die Ostertage aus Gründen der Infektionskettenverhinderung gleich mit einer Osterruhe versehen möchte, der braucht eine angemessene häusliche oder balkon- orientierte Beschäftigung. Da bietet sich ein Buch geradezu an, das kontaktlos geliefert werden kann und dessen Lektüre nur zu minimalem Aerosolausstoß führt. Und erst recht bietet sich hier ein Buch an, das sich genau mit der Situation des Lockdowns und mit den Erlebnissen, Wahrnehmungen und Befindlichkeiten der sich in Selbstisolation aufhaltenden Menschen beschäftigt.
Dem vorliegenden Werk fehlt eine Gattungsbezeichnung, sodass es unklar bleibt, ob Nikolaus Heidelbach streng autobiografisch schreibt oder ein Ich-Erzähler seine Beobachtungen darlegt. Jedenfalls bieten Notate aus der Zeit des ersten Lockdowns im Frühjahr letzten Jahres vertiefte Einblicke in die psychischen und physischen Konsequenzen der Vereinzelung. Die habe er, so schreibt der einsame Chronist am 8.3.2020, gleichsam seinen Schreibprozess reflektierend, damals begonnen, um der Gleichförmigkeit der Tage Herr zu werden. Und ein paar Tage später:
„Mittwoch, 18.3.2020, Temp. 37,3 Grad
Beim Waschen entdecke ich an der linken Hand einen Ehering. Rätselhaft. Es gibt in der Wohnung keine Treppe – trotzdem höre ich seit Stunden das ekelhafte Quietschen von trockener Haut auf lackiertem Holz. Was rutscht da und vor allem wo? Suche abgebrochen. Finger- und Zehennägel geschnitten. Alle!“
Dabei hat Nikolaus Heidelbach oder der Ich-Erzähler diesen Lockdown schon Wochen vor dem offiziellen Termin begonnen, vielleicht fürsorglich oder vorausschauend, auf jeden Fall aber freiwillig. Und die Folgen der Selbstisolation, noch dazu ohne Festnetz, Fax und Laptop, sind doch so beklemmend, dass der sonst oft gängige Begriff „kafkaesk“ hier deutlich zu kurz greift.
Nicht nur misst der Abgeschiedene jeden Tag, manchmal auch mehrfach, seine Temperatur. Es scheint sich auch die Wohnung zu erweitern, um Zimmer, die es vorher so nicht gab: Rauchersalon, Ankleidezimmer, Frauenzimmer, Musikzimmer, Wartezimmer, sogar ein Speiselift findet sich schließlich. Und überall scheinen sich neue tierische Mitbewohner anzusiedeln, ein Quokka, eine Schlange, ein Saibling, eine alleinerziehende Qualle.
Und für alle diejenigen Leserinnen und Leser, die sich im Tierreich nicht so gut auskennen (Quokka? Noch nie gehört oder gesehen! Wie sah noch mal ein Saibling aus? Und wie, wenn er sturzbetrunken ist?) hat Nikolaus Heidelbach, – hier ist die Urheberschaft ja eindeutig zuzuordnen – den wundersamen Notaten manchmal passende, manchmal unpassende Illustrationen hinzugefügt. So wird auch visuell erfahrbar, welche zunehmend beklemmenden Ereignisse sich in der Wohnung des Tagebuchschreibers zutragen.
Ob die hier dargestellten individuellen Phänomene auch die großen gesellschaftliche Entwicklungen widerspiegeln, lässt sich heute noch nicht abschließend klären. Allen Lockdowngebeutelten gewährt der Band jedenfalls den Blick durchs Schlüsselloch eines bedauernswerten Nachbarn, der sich, aus Vorsicht vor den Viren, nun mit ganz anderen Wesen in seinem Heim auseinandersetzen, vielleicht auch anfreunden muss. So können wir, wohlig in der Ostersonne die Osterruhe genießend, entspannt seufzen: Na, so schlimm haben wir es ja nicht getroffen. Und demnächst wird ja auch geimpft und gelockert.
Nikolaus Heidelbach (2020): Alles gut?, Zürich, Gatsby Bücher im Kampa Verlag
Liebe Claudia,
besonders deinen ersten Abschnitt finden wir köstlich. Das Buch ist wohl eher nicht etwas, das wir goutieren würden.
Wir wünschen ein wundervolles Wochenende
The Fab Four of Cley
🙂 🙂 🙂 🙂
Lieber Klausbernd,
es ist schön, dass ihr die Tonlage des Buchberichts offensichtlich – und hoffentlich nicht nur im ersten Absatz – nachvollziehen könnt. Denn auch Heidelbachs Texte und Bilder sind ja durchaus mit feinem ironischen Strich geschrieben und gezeichnet. Auf das uns auch im Lockdown nicht das Lächeln und Wundern vergehe.
Viele liebe Grüße auf die Insel schickt Claudia
Liebe Claudia,
hm, hat der unvermutet aufgefundene Ehering etwas zu tun mit der alleinerziehenden Qualle?
Wie dem auch sei, der Saibling ist ein feiner Fisch – vom Äußeren und geschmacklich vielleicht zwischen Forelle und Lachsforelle.
Gute Tage und schöne Grüße
Bernd
Lieber Bernd,
ich weiß auch nicht, ob es da einen Zusammenhang gibt. Jedenfalls nimmt der Lockdown ganz offensichtlich den Autor oder Erzähler ordentlich mit. Und es stellen sich ihm die bemerkenswertesten Rätsel in seiner immer weitere Zimmer aufweisenden Wohnung. Und ich frage mich: Was macht er nun, ein Jahr und mehrere verschärfte, oder weniger verschärfte Lockdowns, manche kommen auch Light daher, manche mit Ausgangssperre, später. Ob der arme Mensch sich nun besser zurechtfindet? Und der Saibling wieder nüchtern und das Quallenkind flügge geworden sind?
Viele verschmitzt lächelnde Grüße nach Nürnberg, Claudia
Liebe Claudia,
klasse, wie die coronische Situation hier und da kreativ bearbeitet wird – literarisch, tänzerisch oder musisch.
Hab‘ Dank für Dein verschmitztes Lächeln, von dem ich mich in der Karwoche zu den Ostertagen begleiten lasse.
Schöne Feiertage und
herzliche Grüße
Bernd