am Rande notiert

Buchsaitens-Blogparade 2015

Und wieder ist es Zeit für Katrins  nun schon traditionelle Jahresend-Blogparade, in der sie uns nunmehr zum siebten Mal ein paar Fragen aufgibt, die helfen, das eigene Lesejahr noch einmal Revue passieren zu lassen.
Ich mogel mal gleich ein bisschen, denn mich jeweils nur auf ein Buch festzulegen, so wie es Katrins Fragen nahelegen, das ist mir viel zu wenig. Und außerdem möchte ich noch ein paar Fragen hinzufügen, die ich auf Annas Buchpost gefunden habe, so wie ich das ja schon ein paar Jahre einfach mal so mache.

1. Welches war das Buch in diesem Jahr, von dem ich mir wenig versprochen habe, das mich dann aber positiv überrascht hat?
Hier gibt es schon gleich mal mehrere Bücher, von denen ich mir zwar nicht unbedingt „wenig versprochen habe“, denn dann hätte ich sie nicht gelesen, die mich aber besonders beeindruckt haben, weil ich nicht erwartet habe, wie intensiv das Leseerlebnis werden wird.
Das sind zwei Romane von ausländischen Autoren, von denen ich vorher nichts gelesen habe, deren Namen ich vorher nicht einmal kannte, und die mich sehr beeindruckt haben mit ihren Geschichten, die zu einem meiner Leseschwerpunkte auf dem Blog passen, weil sie sich nämlich mit dem Thema „Flucht und Entwurzelung“auseinandersetzen. Und dazu kommt, dass beide Autoren auch Lyriker sind, also einen ganz besonderen Umgang mit Sprache haben, was ihre Bücher noch lesenswerter macht.
Anyuru, Johannes (2015): Ein Sturm wehte vom Paradiese her, München Luchterhand Literaturverlag
Sinha, Shumona (2015): Erschlagt die Armen!, Hamburg, Nautilus Verlag

Und Doris Knechts Roman einer Frau, die völlig überschuldet aus ihrer Insolvenzabwicklung aussteigt und im Haus ihrer Großeltern im Wald untertaucht ist ein Lesegenuss, weil hier mit der Überschuldung nicht nur ein aktuelles Thema verhandelt wird, sondern weil Knechts Protagonistin auch einen sehr scharfzüngigen Blick auf sich und unsere Gesellschaft hat.
Knecht, Doris (2015): Wald, Berlin, Rowohlt Berlin Verlag

2. Welches war das Buch in diesem Jahr, von dem ich mir viel versprochen habe, das mich dann aber negativ überrascht hat?
Hier möchte ich auch gleich drei Titel nennen, die mir noch ganz besonders als Leseenttäuschung in Erinnerung sind. Zwei Romane sind dabei, einmal der in diesem Jahr erschienene von Louis Begley, der, so haben wir beim Kommentieren gemutmaßt, leider nicht mehr auf der Höhe seiner Schriftstellerei zu sein scheint. Karl Wolfgang Flenders Roman „Greenwash“ hat ein sehr aktuelles Thema, das wir allerorten entdecken können, wenn nämlich Unternehmen dubioser, unsozialer oder umweltschädigender Taten überführt werden und sie dann PR-Kampagnen starten, die doch noch irgendetwas gegen das Imagedesaster tun sollen. Das Thema ist gut, die Umsetzung aber sehr unbefriedigend. Ähnliches ist zu Roberts Kischs „Tatsachenroman“ zu sagen, der die Entlohnungssysteme in Möbelhäusern anprangert, dafür aber auch eine Erzählform gefunden hat, die nicht überzeugt.

3. Welches war eure persönliche Autoren-Neuentdeckung in diesem Jahr und warum?
Ich habe zwei Autorinnen entdeckt, die sich wiederum mit dem Thema „Flucht und Entwurzelung“ auseinandersetzen, einmal mit Blick auf unsere eigene deutsche und europäische Geschichte in Katja Petrowskajas unglaublich beeindruckend und dicht erzähltem Buch „Vielleicht Esther“. Und einen bewegenden Einblick in die kambodschanische Geschichte und die Verbrechen gegen die eigene Bevölkerung habe ich aus Madeleine Thiens Roman „Flüchtige Seelen“ gewinnen können.

4. Welches war euer Lieblings-Cover in diesem Jahr und warum?
Ich habe mir noch einmal die Buchcover angesehen. Mich hat keines so richtig überzeugt.

5. Welches Buch wollt ihr unbedingt in 2016 lesen und warum?
Für 2016 liegen schon einige Bücher auf dem Stapel. Da ist zum einen Hanns-Josef Ortheils „Roman einer Passion“: „Der Stift und das Papier“ auf das ich mich freue, weil ich neugierig bin auf die Lektionen der Schreibschule, die Ortheils Vater mit seinem Sohn erprobt hat.
Dann möchte ich gerne Hennig Mankels „Treibsand“ lesen, in dem es ja, wenn ich den Informationen rund ums Buch Glauben schenken kann, nicht so sehr um eine Krankheitsgeschichte geht, sondern vielmehr um eine Klärung „wichtiger Fragen des Lebens“.
Und dann sind da ja noch die vielen Bücher aus dem mittlerweile immer umfangreicher werdenden „Regal ungelesener Bücher“, an dem ich immer wieder vorbei spaziere und mir nach jeweiliger Lust und Laune eines herausgreife, auf das ich jetzt gerade neugierig bin. Von den vielen interessanten Titeln des Frühjahrs ja mal ganz zu schweigen, dem neuen Roman von Michael Köhlmeier  zum Beispiel oder dem von Abbas Khider , dem Roman von Kamel Daoud

6. Welches Sachbuch war dir in den letzten zwölf Monaten wichtig?
Da hat es einige gegeben, die sich mit Themen auseinandersetzen, die mir neben oder flankierend zur Literatur auch wichtig sind, nämlich zum Thema der Flüchtlinge in diesem Jahr und hier insbesondere die Reportage von Wolfgang Bauer: Über das Meer , in dem er eine Gruppe syrischer Flüchtlinge bei ihrer Reise nach Italien begleitet und „Die Bekenntnisse eines Menschenhändlers“ von den beiden italienischen Journalsiten Andrea Di Nivola und Giampaolo Musumeci.
Und eine sehr einsichtsreiche Lektüre in das Thema Big Data und die Gefahren im Zusammenhang mit dem Sammeln und Auswerten von Daten hat mir Yvonne Hofstetter mit ihrem Buch „Sie wissen alles“ beschert.

7. Welche Klassiker hast du außerdem gelesen?
Wenn sie als Klassiker durchgeht, dann habe ich Heinrich Bölls Erzählung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ wiedergelesen und starke Parallelen gefunden zwischen den hysterischen 1970er Jahren und dem wiederum wegen des Terrorismus so hysterischen Heute. Als Ergänzung dazu ist auch der Film „Der Baader-Meinhof-Komplex“ sehenswert, bei dem zum einen der Weg der Radikalisierung so sehr deutlich wird, zum anderen aber auch so manche ideologischen Argumente auftauchen, die heute genauso irre sind, jedoch ein religiöses Mäntelchen tragen.

8. Welche Bücher wären spurlos an dir vorbei gegangen, wenn nicht andere BloggerInnen dich darauf aufmerksam gemacht hätten?
Da sind sicherlich einige Titel, die ich auf anderen Blogs entdeckt habe. Ich möchte hier aber noch einmal an ganz andere Formen des gemeinsamen Lesens erinnern, die mit Hilfe der Blogs dieses Jahr umgesetzt werden konnten – von Leserinnen und Lesern, die sich alleine wegen ihrer weit auseinanderliegenden Wohnorte normalerweise nicht zu einem bestimmten Termin rund um einen Tisch setzen, etwas Gutes essen und trinken und dabei hemmungslos über Literatur plaudern und diskutieren.
Das ist der neu entstandene Blog „Let´s talk about books“ , auf dem fünf Blogger über Kristine Bilkaus „Die Glücklichen“  debattiert haben.
Und zum anderen haben Kai und ich uns über unsere Lektüreerfahrungen von Shimona Sinhas „Erschlagt die Armen!“ auseinandergesetzt und dazu auch ein Interview geführt.

Nun wünsche ich Euch allen ganz wunderbare Feiertage, gute Erholung und beste Lektüren. Und freue mich schon aufs Wiederlesen und Kommentieren im Neuen Jahr!

7 Kommentare

  1. Ich lese diese „Blogparaden“ immer wieder gern, auch wenn ich selber so etwas nicht mache.
    Ortheils „Der Stift und das Papier“ habe ich auch „auf dem Plan“, aber das Buch kommt wahrscheinlich so schnell noch nicht dran. Ich bin schon mal gespannt auf Deine Eindrücke.
    Herzliche Grüße, Ingrid
    Schöne Feiertage haben wir uns ja schon auf meinem Blog gewünscht 🙂

    • Liebe Ingrid,
      diese Bücherrückblicke auf den Blogs finde ich zum Jahresende – auch wenn ich sonst Jahresrückblicke überhaupt nicht mag – immer sehr spannend. Dann finde ich noch einmal Tipps zu Büchern, die ich auch lesen wollte, was ich aber nicht geschafft habe, oder ich erinnere mich an eigene Lektüren. Und selbst durch mein Archiv zu wandern und zu schauen, was es in diesem Jahr gab, ist auch immer spannend. „Stift und Papier“ lässt sich im Moment ungewöhnlich an, mit wenig Handlung, aber sehr, sehr genauen Beobachtungen und Beschreibungen und einer sehr warmen Atmosphäre im Elternhaus des Protagonisten. Ich bin schon gespannt, wie es weitergeht.
      Auch wenn wir die guten Wünsche schon ausgetauscht haben: Weihnachtliche – oder wie der Wetterbericht gerade vermeldet: frühlingshafte 🙂 – Grüße, Claudia

  2. Hallo Claudia, was ich noch unbedingt loswerden möchte: Ich finde es einfach klasse, dass die Lektüren bei dir oft so sinnvoll ergänzen und Schwerpunktreihen ergeben. Du liest oft Bücher, die außerhalb meiner Comfort Reading Zone liegen, und das lese ich total gern, weil es mich bereichert, selbst wenn die Bücher dann nicht alle auf meine Liste wandern. Ich wünsche Dir und deinen Lieben schöne Weihnachtstage, superschöne Ferien und natürlich viele rechteckige Päckchen unter’m Baum 🙂 LG, Anna

    • Liebe Anna,
      vielen Dank für Deine lieben Worte – die sind ja schon ein Weihnachtsgeschenk für mich. Ich habe auch bei meinem Archivrundgang gemerkt, dass ich in diesem Jahr sehr themenorientiert gelesen habe. Es scheint so, als habe ich meine Leserichtung gefunden – und das ist bestimmt auch eine Folge des Bloggens, weil ich durch das Schreiben der Besprechungen viel genauer über die gelesenen Bücher nachdenke. Der Blog also auch als Geschmacksschulung. Mich interessieren aber sowieso und schon immer mehr die aktuellen politischen Themen, Besprechungen von Liebesgeschichten gibt es ja tatsächlich eher selten und Coming-of-Age-Romane nerven mich ziemlich. So hat halt jeder Blog so seine besondere und jeweils ganz individuelle Ausrichtung und macht auch das Bloglesen spannend und bereichernd. Bei Dir lese ich eben viel über die englische Literatur oder in diesem Jahr Deinen Mehrteiler über Deine Comenius-Lektüren. Das ist oft viel besser als das Feuilleton in meiner überregionalen Tageszeitung (kleine Überleitung zu einer immer wieder gerne befeuerten Diskussion :-)).
      Ich wünsche Dir auch ruhige und erholsame Feiertage in frühlingshaftem Ambiente und jede Menge Lesezeit! Claudia

  3. Liebe Claudia, ich kann mich Ingrid nur anschließen: Ich lese diese Bücherrückschauen und -ausblicke auch richtig gern, selbst auf die Gefahr hin, an manch ein Werk erinnert zu werden, das eigentlich schon längst gelesen sein wollte. 😉 Den „Treibsand“ von Henning Mankell kann ich empfehlen – ich mochte besonders diese ganz eigene kluge Art, die eigene Geschichte, die eigene Endlichkeit zu verweben mit dem, was blieb von längst vergangenen Kulturen, und ebenso dem, was dermaleinst von uns bleiben wird. Ortheils „Der Stift und das Papier“ liegt auch bei mir schon bereit, aber vorher will ich noch seine „Berlinreise“ lesen. Freu mich schon auf deine Leseeindrücke!

  4. Stefanie sagt

    Vielen Dank für den Rückblick. Jetzt heißt es nach vorn schauen z.b. mit Joachim Meyerhoff. “ Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke. “
    “ WALD “ fand ich großartig und “ Erschlagt die Armen “ liegt hier. Treibsand habe ich mittendrin aufgegeben…….gähn…., war wohl grad nicht dran bei mir so viele lebenskluge Ein und Ansichten…….Na denn, guten Rutsch und ein tolles Bücherjahr 2016 🙂

    • Ein wunderbares Bücherjahr 2016 wünsche ich Dir auch! Und was Du zu „Treibsand“ schreibst, hört sich ja nicht so ganz gut an. Bin gespannt, wie die „Ein- und Ansichten“ bei mir ankommen!
      Viele Grüße und einen schönen und guten Rutsch, Claudia

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.