Immer, wenn es auf Katrins Seite wieder den Hinweis auf eine neue Blogparade gibt, dann weiß der Leser: Es muss schon wieder ein Jahr herum sein. Das kann aber doch gar nicht sein: Gerade erst sind so viele Blogger dem Beispiel der – mittlerweile ganz verschollenen – Bücherphilosophin gefolgt und haben mit so viel Freude jeden Sonntag einen Sonntagsleser-Beitrag verfasst, um so die Blogwoche noch einmal Revue passieren lassen. Gerade noch ist es Frühling und überall fliegen die Blogstöckchen durch die Gegend, gefährlich scharf geworfene, manchmal auch solche, die im Laufe der Fluges die Form, also die Fragen, ändern. Darüber lassen sich die Blogschreiber noch einmal aus einer anderen Perspektive kennenlernen, aber schon häuft sich auch Unwillen wegen der vielen herumfliegenden Stöckchen, die beantwortet werden wollen und dadurch die Zeit zum Lesen und Darüberschreiben stehlen. Gerade erst wurde der Leipziger Buchpreis vergeben und alle Welt liest Sasa Stanisics Roman „Vor dem Fest“ und diskutiert über Sprache und Erzählstimme(n) – und natürlich auch Katja Petrowskajas „Vielleicht Esther“, auch wenn sie ohne Preis geblieben ist. Gerade erscheinen die Herbstprogramme der Verlage, obwohl wir alle noch stöhnen, weil wir nicht einmal alle Bücher lesen konnten, die uns der Frühling beschert hat. Da half auch die Sommerzeit nicht viel, um mit dem Lesen auch nur annähernd nachzukommen. Und ist nicht gerade erst die Longlist zum Deutschen Buchpreis veröffentlicht worden – und eine heftige Diskussion entbrannt, ob genug Frauen nominiert wurden, genug kleinere Verlage, überhaupt die „richtigen“ Titel? Gerade erst haben wir doch Longlistlesen 2014 ins Leben gerufen und gemeinsam die vielen Titel gelesen, Besprechungen geschrieben, diskutiert und bei den nominierten Büchern auch überzeugende Romane gefunden: auch eine Art literarischer Salon. Bei dem Spaß, den wir dabei gehabt haben, ist es fast nicht mehr so wichtig gewesen, dass Lutz Seilers „Kruso“ den Preis letztlich gewonnen hat. Ja, dann sind wir ja doch schon im Herbst angekommen und einige Blogschreiber haben sich gegen trübes, nasskaltes und vor allem graues Wetter Besonderes überlegt: Sophie befragt wöchentlich Schrittsteller über ihr Schreiben und andere Schrullen , Tilman fragt Leser danach, welche besonderen Lesetechniken sie im Laufe der Zeit herausgebildet haben , und Birgit hat keine investigativen Mühen gescheut, die abwegigsten Leseabgründe ihrer Leser zu erkunden, schamrote Ohren inklusive. Und schon gab es auf dem ein oder anderen Blog Weihnachtsbuchempfehlungen zu lesen. Dann neigt sich das Jahr wohl doch dem Ende entgegen – dann passt da wohl tatsächlich auch Kathrins Buchrückblick. Also los: 1. Welches war das Buch in diesem Jahr, von dem ich mir wenig versprochen habe, das mich dann aber positiv überrascht hat? (und Begründung) Von den Büchern, die ich lese, verspreche ich mir ja immer etwas, eigentlich ganz viel sogar, nämlich ein interessantes oder gar spannendes Thema, lebendige und vielschichtige Protagonisten, eine besondere Sprache. So sind es vielleicht eher die Autoren, die zum ersten Mal einen Roman veröffentlicht haben oder die Autoren, denen ich zum ersten Mal im Buch begegne, die mich besonders positiv überrascht haben. Mir sind aus diesem Lesejahr besonders zwei Autoren in Erinnerung, die mich so positiv überrascht haben: Zsofia Ban mit ihrem Roman „Als nur die Tiere lebten“, weil der Leser in diesem Buch Geschichten liest, als würde er ein Fotoalbum durchblättern, das Fotoalbum einer ganz unbekannten Familie, deren Geschichten sich beim Blättern mehr und mehr zu einer Geschichte zusammenfügen. Und Martin Kordic mit seinem Debütroman „Wie ich mir das Glück vorstelle“, weil er den jugoslawischen Bürgerkrieg mit seinen umglaublichen Verwerfungen aus der naiven Sicht eines Jungen erzählt. 2. Welches war das Buch in diesem Jahr, von dem ich mir viel versprochen habe, das mich dann aber negativ überrascht hat? (und Begründung) Bei dieser Frage fallen mir auch gleich zwei Titel ein: Lukas Bärfuss´ „Koala“, die Geschichte um den Suizid des Erzähler-Bruders, der so unverständlich ist, dass der Erzähler versucht, den Suizid durch das Totem-Tier des Bruders, dem Koala, näher zu kommen. Dabei erzählt er über die Hälfte des Buches die Besiedlungsgeschichte Australiens. Das lässt mich zumindest ratlos zurück. Und letztlich habe ich mich mit Joshua Cohens „Vier neue Nachrichten“ sehr schwer getan. Erhofft habe ich mir Geschichten, die die Folgen unseres Umgangs mit den vielfältigen Möglichkeiten des Internets umkreisen. Das stimmt zum Teil ja auch, aber es sind immer die ganz kaputten Typen, die er schildert, die, die ihr Leben mit Drogen, Pornos und anderen unliebsamen Verhaltensweisen verbringen. 3. Welches war eure persönliche Autoren-Neuentdeckung in diesem Jahr und warum? Katja Petrowskajas „Vielleicht Esther“ hat mich tief beeindruckt. Sie erzählt die Geschichte einer Recherche- und Erinnerungsarbeit auf den Spuren der verstreuten Familienmitglieder, die die Erzählerin quer durch Osteuropa und durch das letzte Jahrhundert führt und dabei auch die Gräuel von Babi Jar, einer Schlucht in Kiew, und den Nazi-Lagern in einer unglaublichen beeindruckenden Sprache erzählt. 4. Welches war euer Lieblings-Cover in diesem Jahr und warum? Das ist ganz eindeutig Matthias Zschokkes „Die strengen Frauen von Rosa Silva“. Normalerweise wandert ja kein Buch ohne umfängliche Recherche, ob Inhalt und Sprache mich auch wirklich überzeugen können, in mein Regal. Dazu recherchiere ich ausgiebig auf zahlreichen Blogs, informiere mich noch bei allen auf Perlentaucher gelisteten Rezensionen, schaue dann noch bei den Zeitungen vorbei, die dort nicht gelesen werden, und lese abschließend noch die Verlagsinformationen zum Buch. Bei diesem Buch war es ganz anders: Ich habe das Cover gesehen, kannte weder den Autor noch konnte ich mir einen Reim auf „die strengen Frauen von Rosa Silva“ machen, aber der farblich etwas verfremdete Blick auf die venezianische Häuserfront hinter dem Wasser reichten völlig zum schnellen Kaufreflex aus (ich hoffe, Facebook liest hier nicht mir, sonst bekomme ich ab Januar noch besser auf mich abgestimmte Werbung….). Und ihr könnt euch mein Entsetzen nicht vorstellen, als ich es voller Vorfreude aufklappte – und es war eine Email-Geschichte! Und ich hasse doch Briefe-Romane! Aber es stellte sich dann doch heraus: Der Inhalt ist mindestens so gut wie das Cover. 5. Welches Buch wollt ihr unbedingt in 2015 lesen und warum? Karen Köhlers Erzählungen „Wir haben Raketen geangelt“ liegen auf dem Stapel, da möchte ich ja nun schon wissen, ob die euphorischen Kommentare auf fast jedem Blog auch wirklich stimmen. Sogar solche Rezensenten sind voll des Lobes, die über sich selbst schreiben, sie seien eigentlich keine Liebhaber von Erzählungen. Da muss ich mir unbedingt auch ein Bild machen. Und dann liegt hier noch der Roman-Klotz von Nino Haratischwili. „Das achte Leben (Für Brilka)“ habe ich in Anbetracht der gewaltigen Seitenzahl extra für die Weihnachtsmuße aufbewahrt. Und nun will ich endlich etwas erfahren über das letzte Jahrhundert in Georgien, über die acht Leben und die Schokoladenherstellung. Ich bin gespannt. Und ich habe hier mal Annas Fragen übernommen, die sie ihrerseits in die Blogparade hineingeschummelt hat, ts, ts, ts. 6. Welches Sachbuch war dir in den letzten zwölf Monaten wichtig? Das ist für mich Jaron Laniers „Wem gehört die Zukunft?“. Die Frage, was mit unseren Daten im Internet nicht nur mit Blick auf die Datensicherheit auf der einen bzw. Rundum-Überwachung auf der anderen Seite geschieht, sondern auch mit Blick auf uns selbst als Produzenten dieser Daten, empfinde ich als eine der wichtigsten Fragen im Moment. Bisher bin ich leider über die ersten dreißig Seiten nicht hinausgekommen, vielleicht schaffe ich das ja im kommenden Jahr (vielleicht ein „guter Vorsatz“ für das neue Jahr?) 7. Welches Buch hast Du in diesem Jahr wiedergelesen? Gezwungenermaßen – aber wirklich nicht ungern – Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ und Kehlmanns „Die Vermessung der Welt“. 8. Welche Bücher wären spurlos an dir vorbei gegangen, wenn nicht andere BloggerInnen dich darauf aufmerksam gemacht hätten? Ganz viele, die ich jetzt gar nicht alle aufzählen möchte. Ich lese ja gerade die Blogs, um immer wieder Neues und Spannendes zu entdecken. Sylvains Tessons Tagebuch aus der Einsamkeit am Baikalsee hätte ich beispielsweise nie entdeckt und auch „Die Bibliothek der ungeschriebenen Bücher“ wäre ohne die Blogs völlig unentdeckt an mit vorbeigegangen. Petra Hartliebs „Wundervolle Buchhandlung“ hätte ich ohne die lobenden Besprechungen auf den Blogs gar nicht erst in die Hand genommen, das Buchcover hat mich gar nicht angesprochen. Und so füllt sich durch die Blog-Leserei auch noch Regalbrett um Regalbrett mit ungelesener Lektüre. Dafür steht für jede Gelegenheit und Lust und Laune das richtige Buch griffbereit. Nun wünsche ich euch allen ganz wunderbare und erholsame Feiertage – am besten mit vielen neuen Büchern und genügend Zeit zum Lesen – und verabschiede mich bis zum Neuen Jahr aus dem elektronischen Lesesaal.
Veröffentlicht auf21. Dezember 2014
Liebe Claudia,
was für eine schöne Einleitung, in der du auch noch mal das „Drumherum“ in Erinnerung rufst! Und dank dir rutschen jetzt „Vielleicht Esther“ und der Trumm „Brilka“ doch ein bisschen höher auf der gedanklichen Wunschliste. Auch dir und euch eine schöne Weihnachts-/Lese-/Ferienzeit.
LG, Anna
Liebe Anna,
vielen Dank für Deine netten Worte, aber wenn schon Jahresrückblicksrevue, dann auch richtig, habe ich gedacht. Und mich auch gerne wieder an die ein oder andere Blogaktion neben den „normalen“ Besprechungen erinnert. Nun aber zum Plätzchen essen und zum Lesen :-).
Wunderbare Feier- und Lesetage, Claudia
Das hast du wirklich schön zusammengefasst, liebe Claudia! Bei Karen Köhler bin ich übrigens auch neugierig, ob der ganze Hype berechtigt ist – find das doch bitte mal für mich raus, ja? 😉 Ansonsten wünsche ich dir auch schöne Feiertage (mit „für Brilka“, dessen Leseprobe mich irgendwie nicht zum Weiterschmökern überzeugen konnte…) Ganz herzlich, Karo
Liebe Karo,
vielen Dank für die lobenden Worte! Ich bin bei beiden Büchern auch sehr gespannt und fürchte fast, ich habe mir für die paar freien Tage viel zu viel vorgenommen. Zumal ich auch noch Joshua Ferris auf dem grauen Sofa liegen habe und auch nach über hundert Seiten nicht so recht weiß, ob ich den Gedankenmahlstrom dieses ziemlich unsympathischen Zahnarztes (und das nicht nur, weil er Zahnarzt ist und dann auch noch die unappetitlichsten Fehlbildungen in den Mündern seiner Patienten auf das unangenehmste beschreibt), der dann aber doch mal immer wieder mit treffenden Beobachtungen überzeugen kann, bis zum Ende der vielen Seiten ertragen kann. Mal schauen. Und dann lese ich selbstverständlich gerne einmal nach, wie es mit Karen Köhlers Erzählungen so ist und ob nicht sämtliche Blogbeiträge durch irgendwelche dubiosen Versprechungen sowieso gekauft sind… :-). Die Brilka-Leseprobe hat mich auch noch nicht zu solchen Euphoriestürmen gebracht, wie sie zum Teil zu lesen gewesen sind, ich gehe also höchstens verhalten positiv ans Lesewerk. Und werde dann berichten.
Viele Grüße und wunderschöne Feiertage, Claudia
Liebe Claudia,
wie schön, hier auf bekannte Bücher zu treffen, die ich auch gerne gelesen habe – Vielleicht Esther gehört ebenfalls zu meinen Jahreshighlights und der Brocken von Nino Haratischwili liegt hier bereits für den Inselurlaub.
Ansonsten habe ich mir gleich noch Zsofia Ban notiert, ich scheine an dem Buch nicht vorbeikommen zu können angesichts deiner Begeisterung.
Mit den Geschichten von Karen Köhler wünsche ich dir übrigens ganz viel Freude – in meinen Augen ist der Hype mehr als berechtigt und ich hoffe, die Geschichten gefallen dir ebenso gut wie mir.
Liebe Grüße
Mara
Liebe Mara,
so schnell geht es und schwupps, ist schon wieder ein Jahr um. Dabei haben wir uns doch soeben erst in Frankfrut getroffen, naja gut, ein paar Wochen ist es schon her :-). Damals haben die achte Leben ja schon erste Schatten geworfen. Und ich bin gesapnnt, wie wir beide den Roman erleben werden, nun da er ganz oben auf unseren Lesestapeln liegt. Und Karen Köhler eben auch. Wahrscheinlich wird mir das schlankere Buch vorher in die Lesequere kommen, so nach dem Motto, das ist ja schneller gelesen als Ninos Jahrhundertroman.
Viele Grüße und viel gute (Lese-)Zeit auf der silversterraketenarmen Insel, Claudia
Liebe Claudia,
da hast du mich aber zum Lachen gebracht mit deinem wunderbaren Vorspann! Und dass du eine ziemlich disziplinierte Bücherregal-Bestückerin bist, hatte ich mir zwar gedacht, war aber doch überrascht zu lesen, wie sehr. Muss gleich unbedingt noch mal einen Blick auf „Die strengen Frauen von Rosa Silva“ werfen, bei denen du so hinreißend schwach geworden bist. 😉 Den Freude-Wünschen von Mara zu Karen Köhlers Erzählungen kann ich mir nur anschließen – verbunden mit herzlichen Weihnachtsgrüßen natürlich.
Liebe Maren,
Dich zum Lachen gebracht zu haben, freut mich ja ganz besonders! Was meine Bücherentscheidungen betrifft, so habe ich mich hier natürlich beim Beschreiben des langwierigen Prozesses sehr kurz gefasst :-). Aber es stimmt schon: Bei Zschokke habe ich mich so vom Bild leiten lassen, dass das Buch ruckzuck in meiner Büchertasche gelandet ist, noch bevor ich mich näher damit beschäftigt habe. Da hat der Verlag bei mir jedenfalls mit dem Cover genau richtig gelegen. – Und was Karen Köhler betrifft: Ich weiß ja, ich MUSS es lesen, keine einzige zumindest im Ansatz kritische Stimme habe ich dazu gelesen. Genau die richtige Weihnachtslektüre also. Dir wünsche ich auch eine tolle, erholsame, fotogene und lesefreudige Weihnachtszeit!
Ganz herzliche Weihnachtsgrüße, Claudia