LongListLesen 2014

LLL 2014 Kurzporträt (2): Lukas Bärfuss: Koala

dbp_longlist_2014Auch Lukas Bärfuss ist mir als Autor unbekannt, keinen seiner bisherigen drei Romane habe ich gelesen. Immerhin haben einige Blogger-Kollegen im Frühjahr schon „Koala“ gelesen und den Roman so vorgestellt, dass er mir als sehr lesenswert erschien. Aber irgendwie sind wir doch noch nicht zusammengekommen, der „Koala“ und ich. Nun gibt es also – zum Glück – eine zweite Chance.

Lukas Bärfuss ist ein Schweizer Autor, der Dramen und Romane schreibt. Schaut man auf die Themen, denen er sich widmet, so wird deutlich, dass Bärfuss immer wieder einen genauen Blick sucht auf die aktuellen gesellschaftlichen und politischen Fragen und Probleme. In seinem Theaterstück „Zwanzigtausend Seiten“ (2012) zum Beispiel beleuchtet er die Beziehungen der Schweiz zum Nazi-Regime in den 1930er und 1940er Jahren und fragt danach, wie wir heute mit diesen Erinnerungen, mit dem Wissen über das, was in der Vergangenheit passiert ist, umgehen. Die Rezensenten erklären, dass Bärfuss in seinem Stück zeige, dass immer dann, wenn das Wissen nicht nützlich ist, immer dann, wenn es nicht dazu beitrage, finanziellen Gewinn zu erzielen, es gesellschaftlich opportun zu sein scheint, das Wissen zu vergessen.

In seinem Roman „Hundert Tage“ (2008) schaut Bärfuss wiederum auf ein politisch brisantes Thema: Ein Entwicklungshelfer gerät in den Völkermord in Ruanda. Über dessen Erlebnisse dort kann auch der Frage nachgegangen werden, welchen Beitrag auch die Entwicklungshilfe zur politischen Entwicklung in Ruanda und letztendlich zum Völkermord geleistet hat.

In  „Koala“ blickt Bärfuss wiederum auf ein gesellschaftliches Tabu, den Selbstmord nämlich, und spannt von dort den Bogen nach Australien, zu den Koalas. Der Selbstmord des Bruders treibt den Ich-Erzähler um, er fragt sich, welchen Anteil er hat an dem Entschluss des Bruders, nicht mehr leben zu wollen und fühlt sich schuldig, weil er das Gefühl hat, nicht genug geholfen, dem Bruder sozusagen nicht genügt zu haben. Und er merkt, dass das Thema Selbstmord kein gesellschaftlicher Gesprächsgegenstand ist, er trifft immer wieder auf ein Schweigen, obwohl doch, so hat Bärfuss recherchiert, Selbstmord die häufigste Todesursache der 20- bis 40-Jährigen ist.

Bei der Beschäftigung mit dem Bruder, mit seinem Motiven, mit seinem Leben, stößt der Ich-Erzähler wieder darauf, dass der Bruder als Kind den Spitznamen „Koala“ bekommen hat und fragt sich, ob dieser Spitzname dem Bruder gegeben wurde aus einem tiefen Wissen heraus, dass damit genau ein wichtiger Wesenszug beschrieben wird, oder ob sich, gerade andersherum, der Bruder im Laufe seines Lebens in Richtung auf das Wesen dieses Tieres entwickelt habe. Koalas nämlich leben so ziemlich genau ein unserem Lebensstil entgegengesetztes Leben: Sie sind wenig aktiv, kennen keinen Ehrgeiz, Leistungsprinzipien sind ihnen gar völlig fremd. Trotzdem sind sie bis heute, wo sie nun doch kurz vor dem Aussterben stehen, eine recht erfolgreiche Spezies gewesen. Und so beginnt der Erzähler sich auch für die Geschichte der Koalas in Australien zu interessieren und ist mittendrin in der Besiedlungsgeschichte des Kontinents und in der Geschichte, wie der Mensch mit seiner Umgebung, mit Natur, mit Tier, mit anderen Menschen, umgeht.

Wenn Ihr etwas über den Autor erfahren möchtet, könnt Ihr einen Blick auf seine Homepage werfen, ihr könnt die Seite des Wallstein Verlags besuchen, ihm in einem Interview auf dem Blauen Sofa bei der Leipziger Buchmesse lauschen oder Euch hier einen Überblick verschaffen über die durchaus kontroverse Sicht des Feuilletons auf den Roman.

Ich bin jedenfalls  gespannt, wie Bärfuss diesen Übergang gestaltet, von der Brudergeschichte zur Geschichte der Koalas und stelle mir die Frage, welche „Gedanken für das Leben“, so steht es im Verlagsprospekt, sich aus der Lektüre ergeben.
Und warum möchtet Ihr den „Koala“ lesen? Ich bin gespannt auf Eure Antworten, verlose wieder ein Buch und warte auf Euer Lesefeedback.

Und die Gewinnerin ist Birgit von SätzeundSchätze. Viel Spaß beim Lesen!

6 Kommentare

  1. Diesmal verzichte ich, denn ich habe das Buch zwar noch nicht gelesen, es steht aber auf meiner Leseliste, weil ich Lukas Bärfuß daraus schon zweimal in Leipzig und in Krems daraus lesen hörte und mich der Zusammenhang zwischen Selbstmord und Koala auch sehr interessiert, bin aber gespannt wie es den anderen gefällt, da ich diesbezüglich schon viel verschiedenes gehört habe, die einen brechen es ab, die anderen finden es sehr spannend und das Kleist schon auf den ersten Seiten zitiert und das Rätsel dann nicht aufgelöst wird, finde ich auch sehr spannend, da wollte ich immer hinausschreien, das ist Kleist, der da gemeint wurde

  2. Kurzportrait ist ja leicht untertrieben 🙂 Aber interessant! (so, jetzt durfte ich auch mal bei Dir meckern…)

  3. klingt spannend!

    ich würde den roman gerne lesen, da mich das thema suizid seit langem interessiert (übrigens, so habe ich gelernt, sei der begriff „selbstmord“ zu vermeiden), es gab in meinem bekanntenkreis suizide und ganz banal: als jugendliche war ich großer fan von nirvana, da kommt man um das thema gar nicht rum.
    in der uni habe ich ein seminar zu dem thema „literatur und suizid“ besucht. interessant hierbei war, dass es zu verschiedenen epochen auch unterschiedliche arten des suizids gab, zb frauensuizide (verarbeitet u.a. in madame bovary) um 1850 oder schülersuizide (verarbeitet u.a. in unterm rad) um 1900. es muss nicht immer nur der nervige werther sein!

    vielen dank und grüße aus frankfurt

    • natürlich sollte ich noch meine richtige emailadresse hinterlassen 😛

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