Romane

Grégoire Delacourt: Alle meine Wünsche

Beim StöbernDelacourt_Alle im Besten Buchladen hat das Umschlagbildes mein Interesse geweckt: Faden, Nadel, Knopf und Stoff. Und als ich dann auf dem Klappentext gelesen habe, dass die Protagonistin einen Weblog über Sticken, Nähen und Stricken betreibt, bin ich neugierig geworden  – auch wenn ich beim Hinweis auf den hohen Lottogewinn erst einmal einen recht kitschigen Inhalt befürchtet habe.

Jocelyne Guerbette ist die Besitzerin eines Kurzwarenladens in Arras. Sie lebt dort mit ihrem Mann, die beiden Kinder gehen schon ihre eigenen Wege. Seit ein paar Monaten betreibt sie unter dem Namen „Zehngoldfinger“ einen Blog, der so schnell so viele Leserinnen anspricht, das es schon fast unheimlich ist:

Ich schreibe darin jeden Morgen über die Freuden des Strickens, des Stickens, des Nähens. Ich stelle Stoffe und Wolle vor, Bänder mit Pailletten, aus Samt, Satin und Organdy; Baumwoll- und Elstikspitze, Tattenschwanzschnur, gewachste Schnürsenkel, geflochtene Kunstseidenkordel, Anorakkordel.

Und schon kommt eine Journalstin und möchte sie interviewen für einen Beitrag in der Zeitung:

Sie haben schon tausendzweihundert Besucher am Tag, ruft die Journalstin, tausendzweihundert, allein hier in der Gegend. (…) Ihr Blog ist überraschend. Ich habe hundert Fragen. Warum wollen jeden tag tausendzweihundert Frauen etwas über Stoffe lesen?Warum plötzlich diese Begeisterung für das Stricken, die Kurzwaren … das Greifbare? Glauben Sie, dass wir an berührungsmangel leiden? Hat das Virtuelle die Erotik getötet?

Mit den den Zwilligen, die den benachbarten Friseursalon betreiben, geht sie ab und zu in der Mittagspause essen und da die beiden jede Woche Lotto spielen, überreden sie Jocelyne, die dieser Art von Spielerei im Grunde nichts abgewinnen kann, doch einmal eine Reihe zu tippen.

Und nun  reist Jocelyne nach Paris, zur Zentrale von Francaise de Jeux. In Hervé Meuniers exklusivem Büro befühlt sie den dicken, weichen Teppich, schaut auf die großen Gemälde an der Wand, bestaunt die Aussicht. Bevor sie aber ihren Scheck bekommt, immerhin geht es ja um 18.547.301 Euro, die sie bei ihrem Experiment gewonnen hat, muss sie noch mit der hauseigenen Psychologin sprechen:

Sie braucht vierzig Minuten, um mir zu erklären, dass das, was mir passiert, eine große Chance und ein großes Unglück ist.  Ich bin reich. Ich werde mir kaufen können, was ich will. Ich werde Geschenke machen können. Aber aufgepasst. Ich muss mich hüten. Denn wenn man Geld hat, wird man plötzlich geliebt.

Und dann holt die Psychologin aus und erklärt ausführlich, was ein Lottogewinn doch für ein Unglück sei. Sie spricht von den Bettelbriefen völlig Fremder, von Selbstmorden anderer Gewinner, von dem veränderten Blick der Familie und der Freunde auf sie, weil alle nicht mehr sie sielbst, sondern nur noch ihr Geld sehen, und letztlich auch von ihrem Ehemann, der sie nun verwöhnen wird, einschläfern, geradezu vergiften.

Jocelyne fährt nach Hause, versteckt den Scheck in einem Schuh, sagt niemanden etwas und lebt ihr ganz normales Leben weiter. Es ist nicht so, dass die Psychologin ihr so einen großen Schreck eingejagt hat, vielmehr mag sie ihr Leben, so wie es ist. Sie mag ihren Mann mit seinen Ecken und Kanten – auch wenn sich beim Lesen sehr viele Ecken und Kanten zeigen – sie mag ihre Freundinnen und vor allem mag sie ihren Laden mit seinen Produkten, die es erlauben, etwas Eigenständiges zu erstellen: Sie ist, bei aller Bescheidenheit ihres Lebens, recht zufrieden damit.

Aber sie fängt auch an zu überlegen:  sie könnte auf einen Schlag alle Wünsche ihres Mannes erfüllen,  sie könnte den Zwillingen den ersehnten Mini kaufen, ihrem Sohn eine Créperie, ihrer Tochter eine Wohnung in London. Über ihre eigenen Wümsche führt sie lange Listen, aber darauf notiert sie meistens Wünsche, deren Erfüllung nichts mit Geld zu tun hat.  Sie ist noch zu keiner Entscheidung darüber gekommen, was sie mit den Lottogewinn tun wird, da wird ihr diese Entscheidung aus der Hand genommen. Und damit bewahrheiten sich dann doch die schlimmsten Prognosen der Psychologin. Am Ende hat sie zwar ein großes Haus an der Cote d`Azur und ihr schwer kranker Vater lebt endlich bei ihr, aber sie hat auch vieles verloren.

Ktischig wird die Geschichte nicht, denn die Ich-Erzählerin Jocelyn ist keine larmoyante Person. Zu ihren Erinnenungen und ihren Gefühlen hält sie Distanz, sich selbst betrachtet sie durchaus mit Ironie. Die Brüche in ihrem Leben und die Katastrophe, die nun über sie hereinbricht, beschreibt sie zurückhaltend, fast beiläufig.  Natürlich nehmen ihre Erlebnisse sie mit, die positiven wie auch die negativen, aber sie lässt sich von keiner Seite vereinnahmen, sondern bleibt sich selbst treu, kühl reflektierend. Einmal bleibt sie sich vielleicht sogar zu sehr treu, aber diese Lebenslüge erkennt und überwindet sie schließlich. So ist dies ein dünnes, schönes Buch, vielleicht gar nicht so sehr über das Stricken und Sticken und den Lottogewinn, als vielmehr über Liebe und Lüge, über Verrat und Gerechtigkeit, also über das ganz normale Leben.

3 Kommentare

  1. Liebe Claudia,
    wie unterschiedlich doch die Lesewahrnehmung sein kann. Ich fand „Alle meine Wünsche“ ganz schrecklich LIEBESKÜMMERLICH.
    Falls Du meine kritische Rezension dazu lesen magst, füge ich nachfolgend meinen Besprechungs-Link ein:
    https://leselebenszeichen.wordpress.com/2013/03/21/alle-meine-wunsche/

    Natürlich schreibe ich nicht nur VERRISSE – ich kann auch loben 😉

    Mit herzhaftem Gruß (übrigens aus Deiner Nachbarstadt)
    Ulrike von Leselebenszeichen

    • Liebe Ulrike,
      sicherlich ist „Alle meine Wünsche“ keine GROSSE Literatur – und ganz ehrlich: ich kann mich an kaum noch eine Begenheit aus dem Roman erinnern, eine nachhaltige Wirkung hat er also auch nicht -, aber ich mochte, dass es eine Geschichte rund um das doch sehr prusselige Hobby „Stricken“ war. Da habe ich dann wohl auch ein bis zwei literarische Augen zugedrückt.
      Viele Grüße entlang der Wupper, Claudia

      • Liebe Claudia,
        dann hast Du dich also wortwörtlich BESTRICKEN lassen …
        Danke für Deinen tapferen Lesebesuch bei mir.

        Scharfzüngige 😉 Grüße aus der Klingenstadt,
        Ulrike

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