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Alan Bennett: Die souveräne Leserin

Die souveräne LeserinDie Queen liest – Ein Buch über die subversive Kraft des Lesens

Beim Staatsbesuch in Kanada ist die Queen „übellaunig“. Ihre emotionale Befindlichkeit zeigt sie ganz auf ihre Art:

„Im hohen Norden warteten die wenigen Eisbären, die sich auftrieben ließen, lange auf Ihre Majestät, und als die sich nicht blicken ließ, machten sie sich auf einer vielversprechenden Scholle davon. Zahllose Holzstämme verkeilten sich im Fluss, Gletscher kalbten ins eisige Meer, alles vom königlichen Gast unbeachtet, denn die blieb in ihrer Kabine.“

Was ist passiert, dass die Queen, die ihre Aufgaben immer pflichtbewusst wahrnimmt, immer pünktlich und adrett erscheint, nun nicht einmal mehr zu den Niagara-Fällen fahren möchte?

Die Queen hat entdeckt, wie wunderbar das Lesen ist. Gemeinsam mit ihrem persönlichen Leseberater Norman, der vor diesem Sprung in die Höhen des königlichen Beraterstabs Küchenjunge war, hat sie eine Lesekiste für den Staatsbesuch in Kanada gepackt. Die ist aber niemals angekommen, und nun sitzt sie ohne Lektüre und geistige Nahrung in der Natur Kanadas. Von ihrem Leseeifer ist der Hof nämlich wenig begeistert. So warnt ihr Privatsekretär, Sir Kevin, sie geradezu: durch das Lesen mache „man sich unzugänglich“, Lesen sei geradezu „eine selbstsüchtige Beschäftigung“. Und da die Queen  so uneinsichtig ist, sorgt Sir Kevin selbst dafür, dass die Bücherkiste nie in Kanada ankommt.

Alan Bennett, ein in Deutschland eher unbekannter englischer Dramatiker, hat ein ganz wunderbares Buch über die Queen und ein ganz wunderbares Buch über die (subversiven) Wirkungen des Lesens geschrieben. Zwar schaut Queen Elisabeth ganz neugierig vom typisch roten Buchcover des Wagenbachverlags, ihr Name oder der ihres Gatten oder ihrer Kinder wird im Buch jedoch niemals erwähnt. Und so ist das Buch eine Phantasie darüber, was passieren würde, wenn eine Queen das Lesen entdeckte.

Dabei lernen wir Leser Vieles über das Leben der Queen, die uns im Laufe unserer Lektüre mit ihrer klaren Beobachtungsgabe der Menschen in ihrer Umgebung und ihrer wunderbar spitzen Zunge richtig ans Herz wächst. Wir lernen Vieles über das strenge höfische Protokoll, das kaum Luft zum Atmen und der Queen vor allem keinen eigenen Entscheidungsspielraum lässt. Und natürlich lernen wir Vieles über das Lesen. Am Anfang liest die Queen aus Pflicht, im Laufe der Zeit aber liest sie immer mehr aus Lust. Sie entdeckt die vielen Autoren, wird immer kundiger beim Lesen und immer anspruchsvoller. Schritt für Schritt verändert das Lesen die Wahrnehmung  ihrer Umwelt und sie will – wie unerhört – mehr und mehr mitentscheiden. Und zum Ende hat das Lesen die Queen so verändert, dass sie zum ersten Mal in ihren Leben eine wirklich eigene Entscheidung trifft.

So lehrt uns Alan Bennett, welche ungeheure Kraft die Bücher haben, welches erzieherische Potential sie geradezu bereithalten. Und das lehrt er uns nicht mit dem erhobenen Zeigefinder, sondern in einer humorvoll und mit Augenzwinkern erzählten Geschichte über die Queen. Und schon spinnt der Leser den Gedanken weiter: Was wäre wohl, wenn der der ein oder andere deutsche Politiker  das Lesen anfinge…?

Alan Bennett: Die souveräne Leserin, Wagenbach Verlag 2008