Drama, Lesen

Ferdinand von Schirach: Terror

Darf ein Luftwaffenpilot ein von Terroristen entführtes Flugzeug abschießen, um so zu verhindern, dass das Flugzeug in einem voll besetzten Fußballstadion zum Absturz gebracht wird? Genau diese Frage verhandelt von Schirachs Theaterstück „Terror“. Verhandelt es im wahrsten Sinne des Wortes, denn die Zuschauer erleben nicht nur die Gerichtsverhandlung auf der Bühne, sondern sind selbst die Schöffen, die abstimmen über eine Verurteilung oder einen Freispruch des Piloten.

Es sind immer wieder diese moralisch und auch rechtlich fast unlösbaren Fragen, die, in Literatur verarbeitet, dem Leser und Zuschauer nicht nur zeigen, was Rechtsstaatlichkeit im besten Sinne bedeutet, nämlich eine sachliche, möglichst emotionslose Abwägung verschiedener Argumente, sondern ihn auch einbeziehen in diesen Abwägungsprozess, ja, von ihm eine Stellungnahme einfordern. Im letzten Jahr hat Ian McEwan in seinem Roman „Kindeswohl“ solch eine Gerichtsverhandlung erzählt, in der die Parteien sich mit guten Argumenten ausgetauscht haben darüber, ob einem jungen Mann, der aber noch nicht volljährig ist, eine Bluttransfusion gegeben werden soll, auch wenn er und seine Eltern dies aus religiösen Gründen ablehnen. Gerade die Schilderung dieses Gerichtsverfahrens, dieses Abwägens der verschiedenen Positionen, dieses Ringens darum, was nun das Beste sei, was auch aus der Sicht des Rechtes das Beste sei, ist eine ganz beeindruckende Szene, die, über den aktuellen Fall hinaus, zeigt, welchen wichtigen Beitrag diese gerichtlichen Konfliktlösungen zum Bestehen unserer Gesellschaften leisten.

Und nun greift von Schirach eine Thematik auf, die im letzten Jahr nach dem Anschlag auf die Satirezeitung Charlie Hebdo, der sich jetzt gerade jährt, und den Terroranschlägen im November in Paris, eine ganz besondere Brisanz bekommen hat, sodass der zugrunde liegende Sachverhalt uns gar nicht mehr so entfernt, so fantastisch vorkommt, auch wenn von Schirach das Stück deutlich vor den Ereignissen in Frankreich geschrieben hat.

Lars Koch, Major der Luftwaffe, hat eine Lufthansa-Maschine mit einem Luft-Luft-Lenkkörpergeschoss abgeschossen. Die Maschine, auf dem Weg von Berlin nach München, ist von Terroristen gekapert worden, sehr schnell haben sie aus dem Cockpit bekannt gegeben, dass ihr Plan ist, das Flugzeug in das Münchner Stadion zu lenken, dorthin, wo gerade 70.000 Zuschauer das Länderspiel Deutschland gegen England anschauen. Den Dienstvorschriften in diesen Situationen folgend sind Jagdflieger der Alarmrotte aufgestiegen, haben versucht, Sichtkontakt zum Cockpit des Flugzeuges herzustellen, haben versucht, die Maschine von ihrem Kurs abzudrängen, haben auch einen Warnschuss abgegeben, konnten mit diesen Maßnahmen jedoch nichts erreichen. Und dann hat Lars Koch, als die Maschine sich ca. 25 Kilometer vor München zum Anflug auf das Stadion in den Sinkflug begeben hat, gegen den ausdrücklichen Befehl des Ministers entschlossen, das Passagierflugzeug abzuschießen: Er hat 164 Passagiere getötet, um 70.000 Zuschauer im Stadion zu retten.

Die Sache scheint klar, den Zuschauer mag wundern, dass Koch überhaupt vor Gericht steht, immerhin hat er dafür gesorgt, dass nicht noch ein viel größeres Unglück passiert ist, als dass die Passagiere des Flugzeugs getötet wurden. Koch, so sieht es zu Beginn der Verhandlung aus, hat entschieden gehandelt, eher scheint er sich für einen Orden empfohlen zu haben, als dass er sich für diese Tat vor Gericht verantworten muss.

Das Gerichtsverfahren aber, die Vernehmung Kochs, die Vernehmung seines Vorgesetzten, des Oberstleutnants Lauterbach, die Vernehmung der Zeugin und Nebenklägerin Meiser, die immer wieder bohrenden Fragen der Staatsanwältin und ihr Plädoyer sowie das des Verteidigers, eröffnet dann doch ganz neue Blickwinkel auf diesen zunächst scheinbar so ganz klaren Fall. Wichtige Fragen werden geklärt, nämlich warum das Bundesverfassungsgericht das Luftsicherungsgesetz 2005 als nicht verfassungskonform zurückgewiesen hat, das solch eine Handlung durch die Bundeswehr erlauben würde; was die in Art 1 des Grundgesetzes festgeschriebene Würde des Menschen denn sei; ob es nicht andere Möglichkeiten zum Schutz der Zuschauer im Münchener Stadion gegeben hätte; was innerhalb des Flugzeugs passiert sei, was die Passagiere getan haben, was der Pilot noch hätte tun können; welches Verhältnis es gebe zwischen Moral und Gesetz und was das aussage über die Verfasstheit des Rechtsstaates; welche Bedeutung das „kleinere Übel“ in Fällen des Überlebens habe und wie Terroristen handeln können, wenn sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes in ihre dunklen Überlegungen einbeziehen.

Am Ende der Plädoyers mag der Leser, mag der Zuschauer nicht mehr so klar in seiner Haltung sein wie zu Beginn der Verhandlung. Der Zuschauer im Theater, der mit der Eintrittskarte auch die Aufgabe des Schöffen erworben hat, der soll nun entscheiden, ob Koch freigesprochen oder verurteilt wird. Der Leser aber kann sich Zeit lassen mit seiner Entscheidung, kann abwägen, die Argumente noch einmal nachlesen, gedanklich erproben, welche Konsequenz die eine oder die andere Entscheidung hat. Was die Konsequenz der Verurteilung Kochs betrifft, so wird über die Höhe des Strafmaßes übrigens an keiner Stelle gesprochen, allein der Vergleich mit einer ähnlich gelagerten, aber schon lange zurückliegenden Geschichte lässt aufhorchen, dass von „lebenslänglich“ ja gar nicht die Rede sein muss.

Vielleicht greift der Leser auch noch zu Schirachs Essaysammlung „Die Würde ist antastbar“ und liest dort den ersten gleichnamigen Artikel, der den Untertitel trägt „Warum der Terrorismus über die Demokratie entscheidet“ (2013). Dort führt der Autor, übrigens zum Teil wortwörtlich die Argumentation der Staatsanwältin vorwegnehmend, einige Beispiele an, die erschreckend zeigen, an welchen Stellen unser Grundgesetz, auch der Art 1, in jüngster Zeit immer wieder aufgeweicht wird, um den Staat und die Bevölkerung vermeintlich gegen den Terrorismus zu schützen. Da werden Terroristen gleich mal zu Feinden erklärt, für die qua Bezeichnung das eigene (Bürger-)Recht nicht gelte: Terroristen, die den Staat angreifen, sind danach vogelfrei, sie werden zu Rechtlosen. Nach dieser Theorie dürfen sie gefoltert werden, wenn sie unsere Gesellschaft zerstören wollen – ein Lager wie in Guantanamo wäre [dann] auch in Deutschland legal.“ In diesem Zusammenhang sieht von Schirach auch das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung (auch wenn er auf die aktuelle Version hier nicht eingeht), das ebenfalls die Grundrechte der Bürger beschneide.

Man mag den Fall der Flugzeugentführung aus der Sicht der Bedeutung der Gesetze sehen oder aus der Perspektive des „kleineren Übels“. Der Richter, ein wohl weiser Mann, erzählt, bevor die Schöffen ihre Stimme abgeben, vom griechischen Philosophen Karneades. Der hielt 115 Jahre vor Christus Geburt im Rom an zwei aufeinanderfolgenden Tagen Vorträge. Am ersten Tag argumentierte er für einige Rechtsthesen, am zweiten dagegen: „Die Zuhörer waren empört. Dabei bewies Karneades nur, dass die Wahrheit keine Frage der Argumentation ist.“

Wer auf die Abstimmungsergebnisse in den Theatern schaut, die hier nachgesehen werden können, hat einen ersten Blick auf diese „Wahrheit“. Er hat bei diesem Blick auch eine Erklärung fürvon Schirachs Essayuntertitel: „Warum der Terrorismus über die Demokratie entscheidet“: Die Bedrohung muss nur groß genug sein, und schon haben wir eine Antwort auf das eingangs beschriebene moralische und auch auf das rechtliche Dilemma und werfen dabei auch ohne weiteres rechtsstaatliche Prinzipien über Bord.

Ferdinand von Schirach (2015): Terror, München/Berlin, Piper Verlag
Ferdinand von Schirach (2015): Die Würde ist antastbar, München/Berlin, Piper Verlag

Hier geht es zu den Besprechungen der Theateraufführungen in Berlin/Frankfurt und in Düsseldorf.

Und hier könnt ihr die Besprechung des Dramas von Christoph nachlesen.

 

19 Kommentare

    • Dabei wünsche ich nicht nur viel Spaß, sondern vor allen Dingen: eine ganz anregende Lektüre. Auch wenn ich eine Entscheidung gefunden habe, so ganz zufrieden macht sie mich auch nicht. Und so geistert mir dieses Dilemma immer noch ordentlich im Kopf herum.
      Viele Grüße, Claudia

  1. gkazakou sagt

    Hochinteressante Besprechung eines bemerkenswerten Textes.

  2. Christoph sagt

    Danke für die Verlinkung (und natürlich auch die interessante Rezension)!

    Eben habe ich mir eine Eintrittskarte für eine der Theatervorstellungen reserviert. Ich bin mal gespannt, wie ich mich dann bei der Abstimmung entscheide. Nach wie vor bin ich nämlich recht unentschlossen — und umso mehr ich über das Thema nachdenke, umso schwieriger fällt mir eine Entscheidung…

    • Lieber Christoph,
      ich möchte ja nun auch unbedingt ins Theater und am liebsten gleich ganz viele Schüler und Studierende mitnehmen. Mal schauen, ob das so klappt, wie ich mir das vorstelle. – Mir geht es so, dass ich das Vorablesen eher als Vorteil empfinde, weil ich nun die Argumente schon ganz anders hin- und hergeschoben habe und viel länger die Konsequenz der einen oder der anderen Option prüfen konnte. Und weiß auch, dass meine Entscheidung für die Prinzipien des Rechtsstaates nicht unbedingt menschlich „unproblematisch“ sind. In den 1970er Jahren, als der Staat durch den RAF-Terrorismus expresst wurde, hat er jedenfalls standgehalten. Wie aber wäre die Diskussion damals weiter verlaufen, wenn es nicht geklappt hätte, die Lufthansa-Maschine in Mogadischu zu befreien? Und nun sind bei großen Veranstaltungen gleich immer Tausende Menschen bedroht. Trotzdem: wo ist die Grenze, wenn wir anfangen, unseren Rechtsstaat Stück für Stück aufzugeben? —
      Ich bin aber auf jeden Fall einmal sehr gespannt, wie Gerichtsverahdnlung wirkt, wenn man sie so unmittelbar im Theater erlebt, inwiefern sie anders wirkt als beim Lesen. Vielleicht berichtest Du ja auch von Deinem Theaterbesuch?
      Viele Grüße, Claudia

  3. Ich war auch eine dieser Leserinnen, die zunächst dachte: Ist doch klar, der Pilot hat richtig gehandelt und muss deshalb freigesprochen werden! Menschenwürde hin oder her. Erst durch das Stück habe ich aber verstanden, dass wir, indem wir uns im Namen unseres Gewissens über das Gesetz stellen, unseren demokratischen Rechtsstaat verraten – genau das, was die Terroristen ja wollen. Mich hat der Text also wirklich zum Nachdenken gebracht!

    • Liebe Karo,
      ich habe auch noch lange nach der Lektüre ziemlich viel über das Problem und auch die Konsequenzen beider Entscheidungsvarianten nachgedacht. Es gibt eben überhaupt keine zufriedenstellende Lösung. Aber: beunruhigend ist schon, wie die Bürger sehenden Auges Stück für Stück und ohne großes Bedauern den Rechtsstaat aufgeben, wenn die Bedrohungslage nur da ist. Wo ist dann die Grenze? Denn absoulte Sicherheit wird es nicht geben, merkwürdigen Köpfen wird immer etwas Neues einfallen. – Ja, „Terror“ ist ein sehr guter Text bzw. ein sehr gutes Drama, das tatsächlich ganz massiv zum Nachdenken herausfordert.
      Viele Grüße, Claudia

      • Du sagst es: Es gibt keine zufriedenstellende Lösung, kein richtig oder falsch. Vor diesem Dilemma verschließen viele Menschen die Augen, weil sie die Welt gerne sauber in schwarz und weiß geteilt haben wollen (und Entscheidungen gerne abgenommen bekommen). Und gleichzeitig gibt es vor Gericht ja nur die Entscheidung zwischen schwarz oder weiß, also schuldig oder nicht. Ich hoffe, der Text erreicht möglichst viele Leute, um sie über die wirklich wichtige Frage unserer Zeit aufzuklären: Wollen wir in einem demokratischen Rechtsstaat leben oder in einem wertekonformen Sicherheitssystem? Da kann einem schon schwindelig werden.

      • Liebe Karo,
        ich hoffe auch, dass der Text – oder auch das Theaterstück – viele Menschen erreicht. Viele Bühnen spielen es ja und es scheint auch viele Besucher anzuziehen. Ich habe mich ja schon gefreut, mit meinen 13ern ins Theater nach Düsseldorf zu fahren – wird nichts draus: alle Aufführungen bis Ende Februar sind ausverkauft. Schade. Ich wäre sehr gespannt gewesen auf die Meinungen der Schülerinnen und Schüler – und vielleicht hätten wir ja auch tiefergehend über das Wesen des Rechtsstaates nachdenken können, denn die Debatte um die Würde des Menschen begegnet uns ja auch in anderen Themenbereichen, im Umgang mit Daten beispielsweise.
        Viele Grüße, Claudia

    • Fürs Lob vielen Dank, liebe Jutta! Das ist wirklich ein Text gewesen, der sehr herausgefordert hat, weil er eben eine Entscheidung einfordert. Und jede Option führt zu unangenehmen Konsequenzen, nichts stellt wirklich zufrieden. Selbst beim Nur-Lesen grübelt man ja, für welche Option man im Theater stimmen würde. (Und als Lehrerin finde ich das natürlich noch einmal richtig gut und hoffe, dass ich viele Schüler und Studierende ins Theater bewegen kann.)
      Viele Grüße, Claudia

      • Liebe Claudia, ich habe einige wenige Semester Jura studiert, denen ich aber ein paar für mich damals erstaunliche Einsichten in die Grundrechte verdanke. Dass es z. B. nicht mit ihnen vereinbar ist, einem Menschen, der nur noch wenige Stunden zu leben hat, Blut zu abzunehmen – auch wenn damit das Leben von einem Kleinkind gerettet werden könnte, wenn er nicht zustimmt. Oder 10 Kindern. Oder 100. Ich habe damals begriffen, dass man Menschen nicht zum Mittel machen darf, aber ich habe nicht begriffen, dass diese Fallbeispiele ausnutzen, dass allgemeine Regeln praktisch logischerweise zu unbefriedigenden Ergebnissen im sehr speziellen Einzelfall führen können. Heute bin ich überzeugt, dass wir diese Grundrechte verteidigen müssen und es gleichzeitig,sein kann, dass ich in eine Situation kommen könnte, in der ich mich nicht gesetzeskonform verhalten würde, weil mir das Gesamtergebnis falsch vorkäme. Aber das würde nicht gegen die allgemeine Richtigkeit der Regelung sprechen und deswegen würde ich eine darauf resultierende Verurteilung auch akzeptieren.
        Aber so genau wolltest du es vielleicht gar nicht wissen 😉

      • Liebe Jutta,
        doch, genau so genau wollte ich es wissen!!! Denn Du erklärst mit Deinen Beispielen und als Rechts-Expertin noch einmal sehr deutlich, dass nicht das eine Leben gegen das andere verrechnet werden kann. Dazu gibt es auch im Drama einige Beispiele, um dieses mit Blick auf die Würde jedes Menschen deutlich zu machen. Von Schirach zeigt in seinem Essay ja weitere Beispiele auf, in denen heute ganz konkret unsere Grundrechte aufgehoben werden – und niemand nimmt daran wirklich Anstoß. Gerade heute habe ich noch mit einer Kollegin über diesen Fall diskutiert und sie brachte dann noch die Problematik der in Zukunft möglicherweise vollkommen selbstständig fahrenden Autos mit ein. Wenn das Auto ein Hindernis wahrnimmt und ausweicht: nach welchen Kriterien macht es das? Ist der Softwareentwickler zur Verantwortug zu ziehen, wenn das Auto einer Mutter mit Kind ausweicht, dafür aber auf eine Verkehrsinsel mit 20 Passanten fährt? Diese Thematik wird uns also auch in anderen Themenkreisen noch beschäftigen. – Und Du machts auf den anderen Seite ja auch genau deutlich, dass Du durchaus Verständnis für Lars Koch und seine Entscheidung hast, dass Du, wärst Du in seiner Situation gewesen, möglicherweise ähnlich gehandelt hättest. Und wahrscheinlich würde ich es, säße ich im Cockpit und würde den Sinkflug Richtung Stadion beobachten, genauso machen. – Vielen Dank also für Deinen sehr „genauen“ Beitrag!
        Viele Grüße, Claudia

  4. Ich empfehle allen, die sich dafür aussprechen, die Maschine mit den 164 Passagieren abzuschießen, um das Leben der 70.000 im Stadion zu retten, sich für einen Moment vorzustellen, selbst einer der 164 zu sein. – Vielen Dank für diese großartige Besprechung, Claudia!

    • Liebe Maren,
      genau diese Frage wird auch Lars Koch im Gericht gestellt, nämlich wie er sich entschieden hätte, wenn seine Frau und sein Sohn an Bord gewesen wären. Er muss sie aber – soweit ich mich erinnern kann – nicht beantworten. Koch hat eben die Zahlen abgewogen – 164 Menschen in dem einen Fall, wahrscheinlich 164 + 70.000 Menschen in dem Fall, wenn er nichts tut. Rein menschlich kann ich diese Entscheidung sogar gut verstehen – weswegen der Richter auch bei der Begründung der Verurteilung auf ein anderes, ähnlich gelagertes Beispiel verweist, in dem die Beteiligten zwar verurteilt wurden, sie aber ein sehr geringes Strafmaß bekamen. So blieben die Grundrechte gewahrt.
      Viele Grüße, Claudia

  5. Liebe Claudia,
    danke für diesen wirklich erhellenden Beitrag – ich werde dann jetzt wohl mal meinen ersten Schnarch in Betracht ziehen müssen. Was aber viel wichtiger ist, wie Du die Vieklschichtigkeit des Problems herausgearbeitet hast mit der Folge, dass man erstmal innehält und sich fragt: Wie hätte ich entschieden? Und ich muss gestehen, ich bin noch zu keiner Lösung gekommen.

    Maren sagt zurecht: Ich empfehle allen, die sich dafür aussprechen, die Maschine mit den 164 Passagieren abzuschießen, um das Leben der 70.000 im Stadion zu retten, sich für einen Moment vorzustellen, selbst einer der 164 zu sein.

    Man kann den Satz aber leider auch genau umdrehen und sich vorstellen, einer der 70.000 zu sein.

    Es ist keine Frage der Menge, sondern der Moral, der Ethik und der Abwägung, auch der juristischen Abwägung, wie Jutta es so wunderbar auf den Punkt bringt:
    Heute bin ich überzeugt, dass wir diese Grundrechte verteidigen müssen und es gleichzeitig,sein kann, dass ich in eine Situation kommen könnte, in der ich mich nicht gesetzeskonform verhalten würde, weil mir das Gesamtergebnis falsch vorkäme. Aber das würde nicht gegen die allgemeine Richtigkeit der Regelung sprechen und deswegen würde ich eine darauf resultierende Verurteilung auch akzeptieren.

    Liebe Claudia, da ist gesellschaftlich noch ein weites Stück zu gehen, ich bin bloss nicht sicher, ob sich auch nur 1/10 der Bevölkerung die Mühe machen wollen. Die CSU und andere Rechtsfunke (wenn ich den Focus und die Springer-Medien mal so nennen darf, haben sich jedenfalls schon für den einfacheren Weg entschieden. Aber der führt ganz sicher weit weg von unseren Grundrechten und wir müssen aufpassen, dass das nicht passiert. Aber wie. Ich glaube, wir müssen immer wieder drüber reden und schreiben.

    Liebe Grüße und vielen Dank nochmal für diesen großartigen Beitrag
    Kai

    • Lieber Kai,
      ich muss gestehen: „Terror“ ist auch mein erster Schirach gewesen. Hat sich aber ja wirklich gelohnt.
      Wie immer – fast 😉 – stimme ich Dir in allen Deinen zusammenfassenden Abwägungen sehr zu. Und dass es noch ein weites Stück zu gehen ist, zeigen ja auch die Abstimmergebnisse im Theater. Ich finde die Ergebnisse erschreckend, vor allem, wenn man bedenkt, welche gesellschaftliche Gruppe ins Theater geht. Da möchte ich nicht wissen, wie so eine Abstimmung in breiteren gesellschaftlichen Kreisen ausfallen würde.
      Es ist auch ein kritischer Punkt bei dem Stück, dass die Zuschauer, nachdem sie abgestimmt haben, eine Urteilsbegründung sehen, die ihrem Ergebnis entspricht. Dadruch mag es passieren, dass die Mehrheit des Publikums zumindest sehr in seiner Meinung bestärkt wird. Es gibt also keine weitere Auseinandersetzung mit der Abstimmung, was auch – zugegeben – schwierig ist, wenn man solch eine Konstruktion wählt. Da bleibt zu hoffen, wenn die Bühne dann doch ein Stück der Schillerschen „moralischen Anstalt und Schule praktischer Weisheit“ sein soll, dass die Menschen zu Hause noch einmal intensiv über Rechtsstaatlichkeit und die Würde des Menschen nachdenken.
      Und was Du zu einigen gesellschaftlichen Strömungen in unserem Land schreibst: so ganz mit der Gesetzeslage kennen sie sich ja tatsächlich nicht aus – und gehen lächelnd darüber hinweg, selbst wenn sie mit der Nase auf die entsprechenden nationalen und internationalen Gesetze hingeweisen werden. Und bekommen jetzt durch die widerlichen Vorfälle in Köln natürlich weiteren Rückenwind. Das ist schon beängstigend.
      Lieber Kai: vielen Dank also für Deinen ausführlichen Kommentar – und spannende Lektüre von „Terror“.
      Viele Grüße, Claudia

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