Reportagen

Meike Winnemuth: Das große Los

Winnemuth_1Was tun, wenn man eine größere sechs- oder gar siebenstellige Summe im Lotto gewinnen würde: Erst einmal die notwendigsten materiellen Wünsche erfüllen – das Traumauto, das Traumhaus, das Pferd, das Boot – oder mit dem Geld etwas ganz anderes anstellen, nämlich endlich das Studium beginnen, das man immer schon mal anfangen wollte, eine lange Reise machen, die man sich immer schon mal erträumt hat, eine Auszeit nehmen vom Beruf oder gar einen Neuanfang starten in einer anderen Stadt, einem anderen Land, einem neuen Beruf oder, oder, oder. Beim Überlegen wird schnell klar, dass hier um die fast schon philosophische Frage geht, was man so völlig anderes anstellen könnte mit dem eigenen Leben – aber vielleicht ist ja auch alles genau so gut, wie es gerade ist (so ergeht es ja Jocelyne in Delacourts Roman „Alle meine Wünsche“).

Meike Winnemuth hat das große Los erwischt, 500.000 € hat sie gewonnen bei „Wer wird Millionär?“. Sie hat sich zu der Rateshow beworben, weil sie als freie Journalistin ein finanzielles Polster haben wollte, um nicht jeden Auftrag unbedingt annehmen zu müssen. Und sollte sie eine größere Summe gewinnen, dann hatte sie auch schon einen Plan:

Dabei war die Antwort auf meine Frage doch ganz leicht, ich hatte sie ja schon während der Sendung gegeben, als Jauch mich fragte, was ich mit dem Gewinn machen würde. Ein Jahr lang raus aus Deutschland hatte ich gesagt, jeden Monat in einer anderen Stadt wohnen. Zwölf Monate in zwölf Städten, die ich mir schon immer mal angucken wollte. (…) Zudem war ich neugierig: Wie wäre es, ein Jahr lang genau das Leben zu leben, das ich mir selbst ausgesucht habe? Ohne Verpflichtungen, ohne Routinen, ohne Kompromisse? Ein Jahr lang nur tun, was ich will? (S. 6)

Und so macht sie sich im Januar 2011 auf die Reise, zuerst nach Sydney, dann folgen Buenos Aires, Mumbai, Schanghai, Honolulu usw. In jeder Stadt erkundet sie, wie die Menschen leben, was sie in ihrer Freizeit tun, welche besonderen Restaurants es gibt, welche ungewöhnlichen Erlebnisse sich bieten. In Sydney klettert sie zum Beispiel am frühen Morgen, angeseilt wie ein Bergsteiger, auf der Harbour Bridge herum und sieht die Oper so klein wie ein Spielzeug. Sie besucht einen gastronomischen Buchklub und genießt das Essen, das Reden über das gemeinsam gelesene Buch – und eine Maniküre. In Buenos Aires lernt sie halbtags Spanisch und scheitert am Tango – schon allein, weil kein Mann auch nur annähernd an ihre Größe heranragt. In London schläft sie in einem Kino und verunsichert die anderen Besucher des Science Museum, weil sie dort als Kakerlake verkleidet herumläuft. In Kopenhagen bestellt sie sich ein individuell gestaltetes Fahrrad, von Tel Aviv aus fährt sie erst ans Rote Meer, um tauchen zu lernen, dann ans Tote Meer, um im Salzwasser die obligatorische Zeitung zu lesen. Sie interessiert sich immer ganz besonders für die außergewöhnlichen Geschichten und Menschen und bringt damit auch immer wieder die Leser zum Staunen.

Manche Städte schließt sie ganz schnell in ihr Herz, bei anderen braucht sie ein paar Tage, um sich an den anderen, ungewöhnlichen Rhythmus zu gewöhnen, mit wieder anderen, mit Mumbai und mit Havanna, wird sie gar nicht recht warm. Sie schreibt das so plastisch, dass man als Leser eigentlich sofort losfliegen möchte, nach San Francisco und Schanghai – oder eben genau weiß, um welche Städte man besser einen weiten Bogen macht.

Im Laufe des Jahres verschieben sich nach und nach die Themen des Reiseberichts. Nach fünf, sechs Monaten stehen neben den Erlebnissen auch immer mehr Reflexionen. Meike Winnemuth beginnt nachzudenken darüber, was das Jahr und die andere Art, es zu verbringen, aus ihr macht, ob sie sich wohl ihr altes Leben wieder vorstellen kann, wie sie ihre Freundschaften in Hamburg wieder aufnehmen kann, ob sie vielleicht sogar in einer anderen Stadt leben möchte, San Francisco könnte sie sich zum Beispiel vorstellen. Immer mehr sammelt sie auch die Geschichten von Menschen, die es in ihrem Leben geschafft haben, in Alternativen zu leben, z.B. Rechtsanwältin zu sein in London, aber auch Schauspielerin in Sydney, die also, wie sie sagt, das „Sowohl – Als auch“ umsetzen können. In Kopenhagen kommt ihr auf einmal ihre Kindheit in den Sinn, in Tel Aviv denkt sie darüber nach, welche Bedeutung der Glaube, welche Bedeutung verschiedene Werte für sie haben. Und so ist die Reise in die 12 Städte auch eine Entdeckungsreise ins eigene Ich.

Immer deutlicher und konkreter wird dann auch die Frage, wie die Rückkehr in ihr altes Leben sein wird. Am Ende ihrer Reise, auf einem Frachter, mit dem sie sich ganz langsam von der Dominikanischen Republik aus Europa wieder nähert, stellt sie sich dann die bange Frage, wie es wohl zu Hause sein wird:

Denn dort werden einige Fragen auf mich zukommen: einfach zurück ins Geschirr und business as usual? Unvorstellbar. Aber wie geht es weiter? Vor allem, wie geht es ohne Reisen weiter? Ich habe zwar schon jede Menge Aufträge und Termine, der Januar ist zu meinem Erschrecken bereits ausgebucht mit Arbeit und Verabredungen, aber wie es mir dabei gehen wird, ob in mir nicht alles dagegen rebelliert, wieder zuhause zu sein – keine Ahnung. Keine Erfahrungswerte. Ich werd´s ja sehen. (S. 302)

Es fällt ihr dann tatsächlich schwer, wieder zuhause anzukommen. Ein paar Tage lang steht ihr Koffer im Flur, sie packt in nicht aus, so als wollte sie gleich wieder los. Ein Kollege, der mehr Erfahrung hat mit dem Reisen und dem Wiederkommen, versucht ihr Mut zu machen:

[Er] sagt, er sei hinterher immer monatelang schlecht gelaunt. Wobei die schlechte Laune abnehme. „Früher war es ein Jahr Wegsein, ein Jahr schlechte Laune. Dann ein Jahr Wegsein, ein dreiviertel Jahr schlechte Laune. Jetzt nur noch ein halbes. Es wird also besser. (S. 313)

Meike Winnemuth hat ein sehr spannendes, Mut machendes und nachdenklich stimmendes Buch geschrieben über ihr Projekt, 12 Monate lang in 12 Städten rund um den Globus zu leben und dabei auch der Frage nach dem guten Sinn des Lebens nachzugehen. Sie hat das gewonnene Geld nicht – bürgerlich und fürsorglich und auf die Sicherheit im Alter bedacht – zum Abbezahlen der Wohnung oder des Hauses gebraucht, sondern dazu genutzt, einen neuen Akzent in ihrem Leben zu setzen, der vermutlich, das deutet sie in ihrem Buch nur an, ihr Leben auch über das Jahr hinaus verändert hat. Neugier und Lebensfreude haben sie, auch wenn sie mit einigen Ausnahmen alleine unterwegs war, das Jahr gut getragen. Und Neugier und Lebensfreude vermittelt sie auch dem Leser.

Übrigens: Als sie ihr Jahr vor allem mit Blick auf die finanzielle Situation bilanziert, stellt sie fest, dass sie die gewonnenen Euro für ihr Projekt gar nicht gebraucht hätte. Aber das gilt wahrscheinlich vor allem, weil sie als Journalistin das Jahr über weiterarbeiten konnte, und gilt eher nicht für die Leser ihres Buches, die nun auch Lust auf eine solche Tour hätten, deren beruf aber an einen Ort gebunden ist.

Meike Winnemuths Blog, den sie in dem Jahr ihrer Reise geschrieben hat, könnt ihr bei hier  nachlesen.

Für das Magazin der Süddeutschen Zeitung hat sie in den einzelnen Städten Leseraufträge erledigt. Ihre Berichte davon sind hier nachzulesen.

Meike Winnemuth (2013): Das große Los. Wie ich bei Günther Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr München

10 Kommentare

  1. Ich habe es auch angefangen zu lesen und bin schon ganz gespannt. Vielen Dank für die ausführliche Rezension

    • Dann wünsche ich Dir ganz viel Spaß bei der Lektüre. Ich mochte das Buch sehr und würde gerne sofort starten – vielleicht nicht unbedingt sofort für 12 Monate, aber ein paar könnte ich mir gut vorstellen.
      Viele Grüße, Claudia

  2. Hach, deine Besprechung bedeutet mal wieder einen gezielten Gang in die Buchhandlung 🙂 Anna

    • Dann freue ich mich jetzt schon auf Deine Besprechung und hoffe, dass Dir der Reisebericht genau so gut gefällt wie mir!
      Viele Grüße, Claudia

  3. Hallo Claudia,
    Deine Rezension klingt ja sehr begeistert. Ich habe seinerzeit Winnemuths Blog verfolgt. Hat Sie für ihr Buch die Episoden ausgearbeitet? Gibt es zusätzliche Kapitel? oder ist es weitgehend eine Übernahme der Bloginhalte? Das würde mich interessieren und Du kannst es sicher beantworten.
    Sehr amüsant ist übrigens auch ihr Blogprojekt „Das
    kleine Blaue“
    . Darin schildert sie, wie es sich anfühlt, ein Jahr lang das gleiche Kleid zu tragen.

    • Ich habe den Blog damals nicht verfolgt und jetzt auch nicht wirklich viel gelesen, mehr nur so „herumgesurft“, denn es war mir einfach zu viel Text, den ich hätte am PC lesen müssen und ich bin wirklich nicht der Bildschirm-Leser. Einiges kam mir schon bekannt vor, aber ob da jetzt wirklich ganz, ganz viele oder eher ganz, ganz wenige Unterschiede sind, das kann ich nicht sagen. Die Form ist jedenfall eine andere, weil Meike Winnemuth im Buch über jeden Monat bzw. jede Stadt einer bestimmten Person einen Brief gechrieben hat.
      Wenn Du dem Blog gefolgt bist, dann hast Du ja bestimmt viel unmitelbarere Eindrücke gewinnen können, kleinere Häppchen zwar, dafür aber jeden Tag ein Erlebnis. Das entfaltet dann bestimmt noch einmal eine ganz andere Wirkung.
      Viele Grüße, Claudia

  4. Pingback: Blogstöckchen | buchpost

  5. Pingback: Meike Winnemuth: Das große Los (2013) | buchpost

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